Das Ziel liegt am Weg

Es war eine echte Überraschung („Surprise factor“), gerade für mich selber. Etwa zur Hälfte des Weges nach Wittenberg treffe ich auf eine Tafel, daraus wird eine Idee und diese bringt ein „Umdenken“. Einen Schwenk. Bis dorthin waren „Wittenberg“ und „Freiheitgeht“ die Hashtags oder „Keywords“. Angesichts der großen erläuternden Tafel zur Via Porta vor der Basilika in Waldsassen kamen verschiedenste Dinge durcheinander.

Freiheit geht

Die Goldsteig-Südroute liegt hinter mir. Mehr als 350 km von der Haustüre weg. Jetzt gilt es einen konsequenten Nordkurs einzuschlagen. Der tschechische Anteil des Weges liegt vor mir. Es geht gut. Der Körper hat die Bewegung nach gut einer Woche wieder gut aufgenommen. Etwa 30 bis 35 Kilometer liegen täglich hinter mir. Übernachtungen finden ist bis jetzt immer gelungen, wenn auch nicht einfach. Ich merke, ich bin sehr früh dran (März). Es begrüßen mich weniger Frühlingsblumen sondern mehr Winterreste und Schnee.  Anstatt wärmer wird es von Tag zu Tag kälter. Die wunderschöne Gegend im Mühlviertel, Bayrischen und Oberpfälzer Wald schläft noch. Die Bauern bearbeiten diesen noch schlafenden Riesen mit Gruppern, Eggen, Saatmaschinen und Güllefässern. Das Querfeldeingehen wird damit immer „gschmackiger“. In Waldsassen wird das „Freiheitgeht“ mit einem Schlag „schlagend“.
Das Ziel „Evangelisches Kloster Volkenroda“ und der „Ökumenische Pilgerweg VIA PORTA“ mischen alles in mir so auf, dass ich mir die Freiheit gebe, das neue Ziel, das mir auf meinen Weg gelegt wird, aufzunehmen. Über große Entscheidungen schlafe eine Nacht. So getan. Nach dem Fühstück ist klar: Freiheit geht und das Ziel liegt am Weg. Ich gehe nicht nach Wittenberg, sondern in das mehr als 300 Kilometer entfernte Kloster Volkenroda. Mir bis heute unbekannt.

Vollkommen blank und alles verkehrt

Schwester Sophia von Waldsassen ist nicht ganz „unschuldig“. Sie hat mir ein kleines Heftchen mit einer Wegbeschreibung von Volkenroda nach Waldsassen in die Hand gedrückt. Ich kenne bis dahin weder Volkenroda noch die Via Porta. Ich bin blank, was diese kommenden Gegenden, der Weg auf das Ziel hin und das Ziel selber betrifft.
„Nach Sachsen“, habe ich immer geantwortet, wenn jemand gefragt hat, wohin ich gehe. Jetzt würde die Antwort „Thüringen“ lauten. Jetzt fragt aber keiner mehr, außer die Personen, die ich am Weg treffe. Das Heftchen mit der Wegbeschreibung ist sehr hilfreich. Ich muss es nur von hinten nach vorne lesen und beim Gehen selber oft in den „Rückspiegel“ schauen, weil vor etwa 2 Jahren dieser Weg tatsächlich von Volkenroda aus markiert wurde. Viele Hinweise und Täfelchen waren daher aus der Perspektive von Volkenroda her sichtbar, aber nicht gleich von der „umgekehrten Seite“. Das war Tag für Tag eine schöne Übung und eine gute praktische gedankliche Herausforderung. Ich verband diese „verkehrte Darstellung“ auch immer ein wenig damit, dass ich als Katholik in das evangelische Kloster gehe. Da bietet sich auch ein „verkehrter Denkansatz“ an. Und so weiß ich heute: Mein eigentliches Ziel begegnete mir erst am Weg. Ich habe mir die Freiheit genommen und habe Ziel und Weg neu „einprogrammiert“. Heute weiß ich: Es war gut, dass ich dieses Ziel und den daraus resultierenden Weg genommen habe.


Warum?

Es hat keine anonyme touristische Stadt auf mich gewartet, sondern eine ganz besondere ökumenisch gesinnte evangelische Klostergemeinschaft aus Verheirateten, Frauen und Männern.
Außerdem gab es am Weg unglaublich viele Lebenserfahrungen zu sammeln. Diese werden in kommenden Blog-Einträgen zu finden sein.