Wenn Christian Kern heute angelobt wird

_ke1Übergänge bieten die Chance, von einer anderen Perspektive auf den Sachverhalt zu schauen. Die Sozialdemokratie in Österreich und in Europa steckt in der Krise. Jetzt schauen alle auf den Christian Kern und sehen dort die Lösung. Grundsätzlich ist es gut, über die neue Person Kern auf den Kern der Sozialdemokratie zu schauen. Gerald Oberansmayr schreibt im Solidarwerkstatt-Brief einen Gedanken und Wahrnehmung unter dem Titel „Der blinde Fleck“ nieder, der oder die vieles verstehen lässt: „Hinsichtlich des wohl zwingendsten Grundes existiert jedoch ein blinder Fleck. Dieser Grund kann in einem simplen Satz zusammengefasst werden: In EU-Europa kann keine sozialdemokratische Politik gemacht werden. Die gesamte EU-Konstruktion – also die EU-Primärverträge und Institutionen – laufen darauf hinaus, sozialdemokratische Politik, die diesen Namen verdient, zu verhindern. Die EU verpflichtet in ihren Grundlagenverträgen alle Mitgliedsstaaten zu einer „offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ und zum „Abbau aller Handels- und Investitionshemmnisse“ in der Weltwirtschaft. Und kaum etwas ist derart in politischen Zement gegossen wie die EU-Primärverträge. Sie können nur verändert werden, wenn in allen 28 EU-Staaten gleichzeitig eine Verfassungsmehrheit dafür zustande kommt. Schon in einem einzigen Staat so etwas zu erreichen, ist für soziale Bewegungen von unten äußerst schwierig. Schwierig hoch 28 ist aber faktisch unmöglich.“ Ich halte fest: Wir brauchen ein Europa, aber ein soziales Europa.

Wenn Kern diesen Kern der EU-Primärverträge hinterfragt und „Andersorte“ ermöglicht

Gerald Oberansmayr nimmt weiter den  Staatsrechtler Andreas Fishan von der Universität Bielefeld in den Mund: “Die konstitutionellen Grundlagen der Europäischen Union schotten diese gegen eine sozialreformatorische Politik ab, lassen eine Umstellung in Richtung einer solidarischen Ökonomie nicht zu, weil diese mit den normativen Vorgaben des europäischen Primärrechts nicht übereinstimmt.Die programmatischen Festlegungen des europäischen Primärrechts sind so eng, dass sie Politik nur in einer ganz besonderen, nämlich neoliberalen Weise zulassen“. Diese Analyse stammt aus dem Jahr 2008. Die Entwicklungen seither haben sie mehr als bestätigt. Auf Grundlage dieser EU-Verträge konnten die Machteliten sogar das völlige Scheitern des Neoliberalismus in der tiefen Wirtschaftskrise seit 2008 in eine „Radikalisierung des Neoliberalimus“ wenden, um den „Sozialstaat zu einem Auslaufmodell “ zu machen (EZB-Chef Mario Draghi). „Die SPÖ hat bei dieser „Radikalisierung des Neoliberalismus“ noch fleißig assistiert, indem gemeinsam mit der ÖVP sie z.B. den EU-Fiskalpakt durch den Nationalrat gewunken hat, der die gewählten Parlamente in der Budgetpolitik weitgehend entmündigt.“ Der Ökonom Stephan Schulmeister: „Mit dem EU-Fiskalpakt haben christ- und sozialdemokratische Politiker ihre Selbstentmündigung rechtlich abgesichert.“

Andersorte schaffen und den Menschen davon „erzählen“

In meiner Keynote am Donnerstag bei PfinXten werde ich unter anderem behaupten: „Die Botschaft kommt vom Kontext.“ Wer sich – wie die SPÖ – den gegenläufigen Kontext nicht bewusst macht bzw ihn nicht anspricht, wird weiter verlieren. „Sozial-demokratisch“ ist der Kern. Diesen muss Christian Kern wieder entdecken, mit allen oft unangenehmen Konsequenzen im eigenen Estabilishment. „Ökologisch-sozial-spirituell“ ist das Ziel von Papst Franziskus in seinem Werk #LaudatoSi. Auch bei ihm sieht man täglich, wie er Wege und Sichtweisen aufzeigt, von einem „technokratischen Menschen- und Gesellschaftsbild“ in das „ökologisch-sozial-spirituelle Weltverständnis“ zu kommen. Und der Papst sagt uns ganz klar: „Das Neue kommt am Rand.“ Er sieht genau dort jene „Andersorte“, die der Welt zeigen sollen, worum es tatsächlich geht: Um Werte, die die Menschenwürde ausdrücken. Um Sinn und Rituale, die den Menschen auf das Ganze inklusive seiner spirituellen Dimension öffnen. Und um Solidarität, den grenzenlosen Zusammenhalt über die eigene Sippe hinaus. Das schmeckt so wie in der SPÖ auch in der Kirche manchen „Würdenträgern“ nicht, weil sie an der „Macht des Mammons“ hängen. Auch hier ist der Vortrag von Sr. Martha Zechmeister hilfreich, für ChristInnen und SozialdemokratInnen und ebenso als tiefe Erinnerung für die „Christlichen in der Politik“. Unser Generalsekretär bei den Ordensgemeinschaften Österreich P. Franz Helm wurde am Pfingssonntag den ZIB1-SeherInnen nach der ZIB1 als „Kämpfer und Ermutiger gegen alle Entrechtung“ vorgestellt. Wenn heute Christian Kern angelobt wird, dann wünsche ich ihm, dass er diese „Fäden einer neuen Solidarität“, diese „Andersorte im Sinne des Gemeinwohls für alle“ aufgreift und den „Mammon-Gebilden und Mammon-Erklärungen absagt“. In Zusammenhang mit den Flüchtlingen hat der für mich als ÖBB-Vielnutzer gezeit: Geht doch! Vielleicht schafft er neue Solidaritäten. Dass er von Reinhold Mitterlehner schon als „hervorragender Manager“ gelobt wird, lässt wieder Zweifel aufkommen. Aber wie heißt es so schön: Der Zweifel ist der kleine Bruder des Glaubens, der Hoffnung.