Schiedsrichter der Welt

Petrinum_1Folgende Wahrnehmungen und Überlegungen sind nicht für die Fußballweltmeisterschaft, sondern eher aus ihr heraus bei mir verdichtet aufgetaucht. Das runde Leder erfasst nicht „die Welt“, sondern jene Menschen, die damit spielen, im Stadion zuschauen und via „digitaler Vernetzungstechnik“  dorthin verbunden werden. Der Ball, die Spieler, eine große Leinwand und das WM-Bier schafft weltweit wieder kleine „Stadien“. Vom Mond aus ist das allerdings mit freiem Auge nicht zu sehen. Die Welt-Kugel dreht sich unaufgeregt weiter, während die WM-Kugel durch die Lüfte geschossen wird.

Der Schiedsrichter

Petrinum_2Ich erinnere mich noch gut, wie wir im Gymnasium mit Internat nach der Schule und dem Essen am Nachmittag den Fußballplatz gestürmt haben. Der Bewegungsdrang hat uns hinaus getrieben. „Wer spielt mir?“, hat irgendwer gerufen. Dann standen einmal 15 und wieder einmal 24 am Platz. Zwei haben dann gewählt. Das war gruppendynamisch nicht immer sauber, wenn die schlechteren Spieler am Schluss etwa so zugeordnet wurden: „Ihr zwei dort und ihr drei da.“ Wer geht ins Tor? Das war auch bald geklärt. Ball in die Mitte. Anstoß. Das Spiel war im Gange. Kein Pfiff. Kein Schiedsrichter. So haben wir meist 30 Minuten unseren Spaß gehabt. Und es wurde toller Fußball gespielt. Foul, Abseits, Elfer, Out, Seitenwechsel wurde in einem „kollektiven Aufschrei“ festgelegt. Manchmal lag der Aufschrei daneben und dann wurde heiß diskutiert. Nicht lange, aber heftig. Irgendwie lag dann der Ball am Elfmeterpunkt und einer nahm Anlauf. Es ging weiter, mit oder ohne Treffer. Irgendwer hat auf die Uhr geschaut und schrie laut: „Seitenwechsel“. Das war mit einer Pause verbunden. Wenn wieder alle am Platz waren, ging es weiter. Ohne Schiedsrichter. Nach Spielschluss wurde der Spielverlauf heiß diskutiert. Das Spielerkönnen, die (vergebenen) Chancen und die persönlichen Animositäten, die sich in spielerischen Aggressivitäten zeigten. Die Luft war draußen. Das Sitzfleisch zum Studium wieder geduldig.

Schiedsrichterlos

Dieser Tage habe ich meine damaligen Erfahrungen neben einem WM-Spiel (es war nicht gerade aufregend und es war Zeit zum „G’schichtldruckn“) ins Spiel gebracht. Ergeben hat sich eine sehr kontroverse Diskussion. Blödsinn. Das kann nie funktionieren. Bis dahin: Wäre ein spannendes FIFA-Experiment. Schiedsrichterlos. Ein Denken „Out of the Box“ ist in diesem Fall nicht nur fast, sondern ganz unmöglich. Einer meinte: „Da ist der römische Messablauf noch flexibler als irgend etwas bei einer solchen WM.“ Ich gebe ihm recht. Wenn ich mich wieder auf den Mond begebe und auf die Welt schaue, sehe ich fast nur mehr Schiedsrichter und Schiedsrichterdenken. Wirtschaft, Politik, Kunst, Religionen, Kirchen. Überall sind Pfiffe zu hören oder es wird nach einem Schiedsrichter gerufen. Es gäbe auch andere Formen des menschlichen Zusammenspiels. Ohne Schiedsrichter. Aus einem Community-Denken heraus, dem „Spiel im Mittelpunkt“ und der Lust an der Bewegung. „Dass ich nicht lache“, höre ich. Es geht nicht um das Spiel, es geht um die Milliarden und um die „emotionale Weltherrschaft“.  Ich verstehe. Wir waren damals schiedsrichterlos. Und es ging immer um (fast) alles. Emotional. Hätte einer sich als Schiedsrichter betätigt, wäre er arbeitslos gewesen. Oder im Abseits gestanden.