Stichwort Bildung: Müssen die alle so katholisch dreinschauen?

1antenne„Wie geht raus?“ – war das Thema eines Workshops mit dem Leitungsteam des kbw St. Pölten. Ausgangspunkt war, dass sich die Diözesanstelle des kbw St. Pölten seit einiger Zeit die Frage stellt, wie der Kreis an TeilnehmerInnen erweitert werden kann, der üblicherweise Veranstaltungen der pfarrlichen kbw’s besucht. Ein Schritt auf diesem Weg war eine gemeinsame Klausur des Büroteams und des Vorstandes, die ich begleiten durfte. „Das folgende Interview zeichnet ein paar der Gedankengänge dieses hochspannenden Nachmittags nach“, schreibt „antenne„, das Bildungsmagazin für alle Bildungsengagierten.

Im Folgenden stelle ich das Interview auch hier zur Verfügung:

Lieber Ferdinand, wir haben dich für das Thema „Teilnehmerkreis erweitern“ angefragt und du hast uns nahegelegt, die einfache Frage „Wie geht raus?“ ins Zentrum zu stellen. Warum?

Wer in der Erbsensuppe schwimmt, glaubt, die Welt ist grün. Wir sind in den verschiedenen kirchlichen und katholischen Milieus zu sehr mit uns selbst beschäftigt. Es wird zu viel im „inner circle“ abhandelt. Zu viel Energie geht in den Motor und ins Getriebe selber und kommt nicht auf die Straße. Kurzum: Wie geht raus?

Unser Teilnehmerkreis in den Pfarren wirkt oftmals sehr „eingeschworen“. Wo siehst du für uns als kirchliche Bildungsorganisation Chancen und Grenzen, diesen zu erweitern?

Darf ich ganz offen sein? „Die Pfarre“ alleine ist sehr oft für ein kbw schon eine massive Einschränkung. Da gibt es einen Pfarrsaal. Diese Möglichkeit des Zusammenkommens ist überschattet durch ein „moralisierendes enges Denken“ und so für viele nicht mehr zugänglich. Die Pfarre ist oft der Treffpunkt der letzten Frommen und Perfekten. Das sehen sie selber nicht so, aber die Außenwahrnehmung ist diese: Diejenigen, die hinkommen, müssen sich gewissen (katholischen) Erwartungshaltungen beugen. Das wird oft nicht ausgesprochen, aber für die Außenstehenden schwebt das über „der Kirche“. Dabei soll Bildung eine Grenzgängerin sein im Sinne des Ausprobierens, des Experimentierens, des Versuchens. Wer nicht vom Weg abkommt, bleibt auf der Strecke, bleibt auf der Strecke. Das verlangt von den Verantwortlichen selber ein weites Denken und eine hohe Anschlussfähigkeit. Das ist für die einen unglaublich spannend und für andere wieder anstrengend.

Welche Menschen sich angesprochen fühlen, hat viel damit zu tun, wer sie anspricht. Was gilt es aus deiner Sicht zu beachten, wenn wir neue Menschen – sowohl als MitarbeiterInnen als auch als TeilnehmerInnen – gewinnen wollen?

Neugierde und ganz Ohr auf der Basis von Empathie, der Kraft zum Mitfühlen mit den heutigen Menschen. Wir wissen von der Hirnforschung, dass die entscheidenden Dinge an den Synapsen des Gehirns, an den „Verknüpfungsstellen“ passieren. Deshalb glaube ich, dass die entscheidende Fähigkeit der Zukunft Synapsenfähigkeit sein wird. Menschen hinhörend ansprechen und unterschiedlichste Lebenskonzepte zuerst einmal wertfrei verknüpfen. Ich bin Weitgeher und Pilger. Ganz ehrlich: Das Fremde, die Fremden ist, sind interessanter als die gewohnte Umgebung. Das heißt jetzt nicht, einfach alles Bewährte aufzugeben. Bewährtes und Neues bereichern einander. Neues in der Kirche ist halt eher eine Fiktion als Realität. Und ganz ehrlich: Wo hat der Fremde, ein fremder Gedanke, eine fremde Lebensform überhaupt noch Platz? kbw’s sind für mich diese befruchtenden Räume, Freiräume für alle Facetten des Lebens. Die Neugierde der Fremden wird uns an die Wurzel führen. Kbw-Verantwortliche sind nicht Statthalter eines Systems, sondern Brückenbauer und damit Lebensstifter.

Neue TeilnehmerInnen brauchen wahrscheinlich auch neue Wege und Zugänge in der katholischen Erwachsenenbildung und damit im pfarrlichen kbw. Welche Wege siehst du?

„Müssen die alle so katholisch dreinschauen?“, fragte mich dieser Tage ein Markenentwickler bei der Durchsicht einer Ordenshomepage. Ungewöhnliche Zugänge verlangen ungewöhnliche Menschen. Wer Jugendliche dabei haben will, muss sie gestalten lassen. Was macht ihr da? Wie macht ihr das? Was bringt euch dazu, es so zu machen? Das sind schöne Fragen, um auf Augenhöhe mit neuen Menschen und Menschengruppen in Kontakt zu treten.
Für diese Wege müssen wir wohl einen Teil des traditionellen Rahmens und der Aufgabenfelder, in denen sich unsere ehrenamtlichen Engagierten vor Ort bewegen, überdenken. Welches Bild hast Du vom zukünftigen ehrenamtlichen Engagement für das kbw in der Pfarre?

Ehrenamtliches Engagement funktioniert dort auf Dauer wirklich gut, wo der konkrete Mensch sich mit seinen / ihren Fähigkeiten einbringen kann. Es geht immer um eine sinnvolle Aufgabe, ein gutes Miteinander und eine gute Anerkennungskultur. Der Mensch ist im Grunde „intrinsisch motiviert“, von innen her. Jede und jeder trägt etwas in sich, „was heraus will“. Diesen Fähigkeiten Platz und Raum zu geben, ist hervorragende Aufgabe der kbw-community. Bildung wird zur Bildungs-Community. Überall dort, wo ich ein wertschätzendes „Dazugehören“ erlebe, werde ich anpacken. Und immer auf Augenhöhe. Wir entdecken gemeinsam das Leben, das Gott ausgestreut hat. Für das Feld der Bildung darf es keine kirchlichen Barrieren geben. Jesus ist allen Menschen vorbehaltlos begegnet. Zu denen, die Vorgaben und Barrieren errichtet haben, war er äußerst kritisch. Denken wir in diesem Zusammenhang an die offene und wertschätzende Art von Papst Franziskus.

Dieses veränderte Engagement hat sicher auch Auswirkungen darauf, was wir als Bildung ansehen und was nicht. Wie grundlegend müssen wir unseren Bildungsbegriff überdenken?

Bildung ist Tun und Erleben. Emotionen spielen eine wesentliche Rolle, um sich Wissen aneignen zu können. Vorträge sind eher Erzählungen als wissenschaftliche Abhandlungen. Mir stehen auch bei meinen Vorträgen zu viele Sesselreihen. Es braucht gebildete Personen als „Bildungsstifter“ oder noch besser „Unruhestifter“. Bildung ist entdecken, ist Bewegung, ist Verknüpfen und ein Hinhören aufeinander. Bildung der Zukunft stellt die mächtigen Fragen und hat weniger Antworten. Die Gießkanne, der von oben Bildung und Wissen ausgießt, funktioniert nicht mehr. Wir müssen Bildung mit Vernetzen und Tun, Erleben verknüpfen.

Welche möglichen Aktivitätsflächen für ehrenamtliches Engagement siehst Du im kbw?

Wo können Menschen für ein Engagement Begeisterung entwickeln? Aus meiner Sicht gibt es 4 „Engagement-Flächen“. Es ist die Bühne (zB Theater), Musik (zB Chöre), Bewegung (zB Sport, Pilgern) und soziales Engagement (zB Flüchtlingshilfe). Ein kbw kann aus meiner Sicht das nicht einfach ausblenden. Wir kennen kbw’s, die bühnen- oder pilgergeprägt sind, mit sozialem Engagement oder musikalisch „herausragen“. Mein Tipp: Lassen sie Menschen ihr Talent in ihrem Umfeld entwickeln. Lassen sie sich ein wenig überraschen. Engagement braucht Raum.

Als kirchliche Organisation werden wir über die Begriffe Kirche, Religion, Glaube und Spiritualität definiert. Was verbinden moderne Menschen mit diesen Begriffen?

Wer Religion sagt, löst beim Zuhörer die Machtfrage aus. Wer Glaube sagt, hat mit der Rangelei des Rechthabens zu tun. Wer Kirche ganz vorne herträgt, wird bei 70% der Bevölkerung das Schließen der Ohren ernten, weil sie es mit „Amtskirche“ verwechseln. Wer Spiritualität betont, hat beim Gegenüber „Freiraum geöffnet“. Wir brauchen Kirche, Glaube oder Religion nicht verbergen. Aber was hängt oder steht in unserer Auslage? Am Plakat? Dazu muss man wissen, dass Institutionen und Normen oder Gesetze keine Anziehungskraft haben. Personen und Persönliches gepaart mit Werthaltungen dieser Personen umso mehr. Also: Persönlich werden und von den eigenen Werthaltungen reden. Stellen sie sich eine umgekehrt Bierkiste vor. Stellen sie nicht Kirche oder Institution drauf, sondern Menschen, die ihrer Begeisterung freien Lauf lassen. Das erzeugt einen Magnetismus.

Was können aus deiner Sicht Menschen in Zukunft sehen und erleben, wenn Sie zu uns kommen?

Orientierung, Lebenshilfe, tragende Rituale und eine fröhliche kbw-Community, die von gebildeten Menschen getragen wird.

Können wir Morgen auch noch mit anspruchsvollen Themen Menschen begeistern?

In jedem Fall. Das Leben wird immer anspruchsvoller. Es liegt an uns, den Menschen mit „entscheidenden Themen“ zu Hilfe zu gehen. Die Wochenzeitung „Die Zeit“ ist unglaublich anspruchsvoll und gewinnt Leserinnen und Leser, wo alle verlieren. Mut zur tiefen Qualität und zur ehrlichen katholischen Weite.

Für all das braucht es auch Öffentlichkeit und Medien. Was interessiert Medien heute im Bereich der Erwachsenenbildung?

Personen und Aktionen. Keine einfachen Vorträge. Inszenieren sie ihre Veranstaltungen und Ereignisse. Binden sie Medienleute schon in die Vorbereitung ein. Klingt ungewöhnlich und ist sicher für beide Seiten spannend. Laden sie als Inspiration einmal eine Lokalredakteurin, einen Lokalredakteur in die Jahresplanung ein. Medienleute wissen, was gelesen wird. Welche Themen werden gelesen? 1. Gesundheit 2. „Hoamatland“ und Regionales 3. Esoterik und Spiritualität 4. Zeit und Rituale 5. Kräuter, Natur und Retreat (Rückzug) 6. Bewegung und Pilgern
Zusammenfassend: Was sind nun die wesentlichen Aspekte von „weiten – hinausgehen – wachsen“? Wie kommen wir zu Menschen, die wir bisher nicht erreicht haben?

Mehr Mut und ganz Ohr. Ganz andere Orte aufsuchen. Mit ganz fremden Menschen mitgehen. Dort unterwegs sind, „wo euch keiner vermutet“. Der Rand der Gesellschaft wird die Mitte (Papst Franziskus). Persönliche Begegnung ist durch nichts zu ersetzen. Geht raus, denn die Weite liegt draußen und weniger drinnen.

Bildung kbw St. Pölten