Das Aufgewühlt-Sein wird größer

900_IMG_7747Dieser Tage habe ich ein Email an meine Weggefährtinnen und Weggefährten geschickt. Darin habe ich mein „Aufgewühlt-Sein“ etwa so beschrieben: „Wir leben gerade in Zeiten, wo Aufrüster und Grenzzieher „am Zug sind“. Populistisch einsichtig erklären sie, dass wir uns und unseren auf globalen Schieflagen gründenden Wohlstand verteidigen müssen. „Abschließen. Grenzen dicht. Kein Weiterkommen. Route geschlossen.“ Das verkünden sie gerade in der ZIB2 wie einen Sieg. Es ist die größte Niederlage, die wir in diesen Tagen erleben. Solidarität und Menschlichkeit schwinden dahin. Christlich wird zum „Beiwort“ und durch die faktischen Taten zur Fratze entstellt. Sie reden von Hilfe und konnotieren das nicht mit Teilen, Loslassen, neuen Brücken, Friedensanstrengungen, aufeinander zugehen. Ich weiß ja nicht, ob ich das hier sagen soll, aber es hat mich heute tief berührt. Unsere Präsidentin Sr. Beatrix Mayrhofer hat im Gespräch gemeint: „Wenn wir ganz tief in uns hineinhören und das alles sehen, müssen wir doch ohne Vorbehalt sagen: Kommt!“ Ja. Auch wenn es uns verändert und etwas abverlangt, aber bleibt nicht im Krieg, im Dreck, auf der Flucht.“

Schwarz weiß

Faymann sitzt „Im Zentrum“ und erklärt wortreich: „Wir schaffen das nicht“. Was er nicht dazusagt, ist: Warum. Es ist der Egoismus, die sich ausbreitende Empathielosigkeit, die Unfähigkeit zur tiefen Reflexion darüber, woher unser Wohlstand kommt und die Not der anderen. Es gibt keine Überlegungsflächen mehr für das Nachdenken. Parolen werden ausgegeben. „Schwarz wird die Zukunft. Wir sind die Weißmaler. Wir retten das Abendland.“ Der Kardinal hilft mit seinen Pressestundenmeldungen mit, die „Ausnahme“ zu bestätigen. Die direkte Telefonverbindung ist Kurz. In der U-Bahn heute spielt ein etwa 16-Jähriger neben mir auf seinem Handy „Scharfschütze“ und schießt Figuren am Zebrastreifen gezielt ab. Das „Spiel“ heißt „Ins Eck gedrängt“ – soweit ich es sehen konnte. Sein Gesichtsausdruck ist angespannt und ganz bei der Sache. Was macht dieser junge Mensch? Wer macht diesen jungen Menschen so? Was tun Spiele und Social Media mit den Menschen?

Europa im Zeitalter des Nationalkapitalismus

900_IMG_7749Mein Freund Gerhard hat mir seinen Leserbrief geschickt, den er auch dieser Tage verfasst hat. Ich möchte ihn hier dazusetzen: „Hätte Angela Markel doch nur gesagt: „Wir können das schaffen!“ Das nämlich wäre unbestreitbar richtig gewesen. Europa könnte eine tatkräftige, offene, humanitäre und verantwortungsvolle Antwort auf die aktuellen und künftigen Flüchlingstreks geben. Doch Europa will es nicht, weil es kein geistiges Fundament mehr hat, das dafür tragfähig wäre. Christliches Abendland? Lediglich in kunsthistorischer Hinsicht trifft das noch zu. Das Christentum ist nur mehr bei den arbeitsfreien Feiertagen Kultur prägend. Von christlicher Wertehaltung ist in der offiziellen Politik nichts mehr zu entdecken, die Kluft der so genannt christlichen Parteien zum christlichen Milieu ist unüberbrückbar tief geworden. Dem Christentum kann das egal sein, seine Vitalität ist ungebrochen. Abgerissen ist auch die humanistische philosophische Tradition, aus der sich der Sozialismus speiste. Im tatsächlichen politischen Handeln spielt sie, gerade in ihrer internationalen solidarischen Konsequenz, keine Rolle mehr. Die Ideale der französischen Revolution sind zu Schlagwörtern verkommen. Freiheit? Sicherheit geht vor. Gleichheit? Nicht für alle. Brüderlichkeit? Eine Sache für lächerliche Gutmenschen. Und die Aufklärung? Wo bleibt die Vernunft? Auch die Überzeugung der vernünftig durchdachten, gut organisierten technokratischen Machbarkeit ist untergetaucht. Die Vernunftarbeit lohnt sich nicht für diese Aufgabe. Vernunft ist vom intellektuellen Werkzeug zum westlichen Abgrenzungsbegriff geworden.

Was also beherrscht die Debatte?

Europa hat den Geist des Kapitalismus verinnerlicht. Nicht erst, aber spätstens seit dem deutschen Mauerfall gab er die ideologische Leitlinie vor für die EU-Osterweiterung, für den Umgang mit Autokraten, Potentaten und Menschenrechtsverachtern. Möglichst viel für mich, nur das unbedingt notwendige für andere – diese Maxime durchzieht Politik und Gesellschaft. Pragmatisch und utilitaristisch auf das über jede Diskussion erhabene Ziel des ewigen Mehr gerichtet. Großbritannien ist das role model, das diese Haltung in der EU ohne Genierer auslebt. Und weil die Sucht nach dem Mehr nicht die erhoffte Befriedigung erzeugt, wird der Drang zur Verteidigung dieses Prinzips noch größer. Zugleich erleidet Europa einen dramatischen Rückfall ins seine alte, und schon einmal fast lethale Krankheit: den Nationalismus, die Illusion, dass alles so sein könnte, wie es imer schon war – überschaubar, geregelt, homogen. Nur eine Illusion, aber eine sehr süffige, deren Konsequenzen bisher abgefedert werden durch bestehende übernationale Strukturen. Das ist Europas herrschende Ideologie – Nationalkapitalismus. In der Nation isolIert, in Gier und Geiz vereint. „Wir müssen es schaffen!“ Das wäre die richtige Formulierung gewesen, denn das Schließen von Routen, die Abschiebungen in fragwürdige Drittstaaten, die Leugnung des Drucks wird das Problem nicht lösen. Das Problem wird größer und drängender werden. Was wird die Konsequenz sein?“
Mein Aufgewühlt-Sein wird größer!