Der Glockenschlag ist die einzig regelmäßig hörbare Zeit

dompfarreDas ist eine Aufregung. Ein Anrainer will wieder einmal die Domglocken zu Linz in der Nacht zum Schweigen bringen. Wieder einmal. Alle paar Jahre steht dieser „Wunsch“ nach „Ruhe im Domturm“ auf. Die Anwaltskanzlei hat einen perfekten PR-Coup für sich gelandet. Am Wirtshaustisch wird diskutiert. Im Zug nach Linz werde ich darauf angesprochen. Die Krone-Redakteurin als Aufdeckerin der Geschichte ist auf der Suche nach jemanden, „der den Dompfarrer zum Reden bringen könnte“. Im Pfarrgemeinderat hat man sich nach eingehender Beratung für das Weiterschlagen der Glocken durch alle 24 Stunden hindurch ausgesprochen. Auf Twitter habe ich einen Blogeintrag entdeckt, der schon sehr früh über diese Situation nachdenkt. Ich selber habe damals den Tweet abgesetzt: „Wer die Glocken bekämpft, wird sie immer störend hören.“

Frage der inneren Einstellung zur Umgebung

Wir haben als Familie von 1982-92 direkt neben dem Dom gewohnt. Es hat nicht lange gedauert, waren wir die Glocken gewohnt. Sie haben wie der Autoverkehr, der allgemeine Straßenlärm, die Stöckelschuhe am Gehsteig oder das Gröllen der Nachtschwärmer „hörbar“ dazugehört. Aber die Glocken haben wir sehr bald nicht mehr gehört. Diese Glockenschläge waren die einzigen regelmäßigen hörbaren Impulse. Alle anderen waren zufällig, chaotisch, penetrant oder einfach da. Meine These zu den Dingen rund um mich: Alles, was von außen auf mich zukommt, bekommt durch den inneren Spiegel, die innere Reflexionsfläche eine positive oder negative „Aufladung“. Je nachdem, wie ruhig oder aufgeregt mein Inneres ist. Im Zug reiste gestern eine junge Frau, die in Freilassing unter der Einflugschneise des Flughafens aufgewachsen ist. „Uns hat das überhaupt nicht gestört. Das hat dazugehört.“ Ihre Eltern haben signalisiert: „Es ist gut, dass wir hier sind.“ Und nicht: „So eine Sauerei das mit den Fliegern.“ Wohlgemerkt: Ich rede hier in keinstem Fall den Fliegern das Wort. Ich fliege nur im Notfall. Sonst reise ich. Aber das Beispiel der jungen Frau war gestern einfach da. Der Ärger, das Stören der Außenfaktoren hat mit der inneren Einstellung zu tun. Resilienz, Widerstandsfähigkeit wächst, wenn ich mich mit den nicht veränderbaren Umweltbedingungen arrangieren kann. Vieles im Leben macht krank, weil wir krank denken. Aber jetzt wieder zum Glockenschlag.

Der hörbare Rhythmus der Zeit

Wer in Osttirol im Virgental einige Nächte verbringt, kann auch bei offenem Fenster neben der nicht gerade leise rauschenden Isel schlafen. Das Rauschen macht etwas von der Ewigkeit hörbar. Wer in bergigen Gegenden wohnt, kann auch bei Wind das Fenster offen halten, weil er das ganz große Atmen der Welt hört. Die Glocke am Kirchturm schlägt ganz regelmäßig, ist die hörbare Zeit, ist der Schritt oder Gang durch die Zeit. Sie zeigt: Die Stille geht. Wer in dieses Geheimnis eintauchen kann, wird die Glocke außen nicht mehr hören. Es tut einfach gut, wenn das innere Ohr diesen äußeren Impuls wahrnimmt und dabei weitergeht. Stunde um Stunde und das vier Mal in der Stunde. Aber vielleicht fällt es unserer aus dem Rhythmus gekommen Seele heute überhaupt schwer, Regelmäßiges zu hören. Es ist entweder fad oder störend. Als Kranker, der nicht schlafen kann, kann ich den Fernseher einschalten oder auf die regelmäßige Glocke hören. Was beruhigt mehr? Was lässt die Seele mehr zur Ruhe kommen? Der dauernde individuelle Blick auf die Uhr oder das Hinhören können auf den regelmäßigen Impuls, von dem viele getragen sind. Ein Stück Transzendenz schlägt dabei an. Dieses regelmäßige Schlagen der Glocke hat etwas. Es würde fehlen. Das wollte ich sagen.

 

2 Kommentare

    • Gast auf Erden auf 22. November 2014 bei 23:05

    Glockenschlag soll die einzig hörbare Zeit sein? Das kann auch nur einer behaupten, der noch nie an der See war und nicht weiss, wie Blinde die Zeit erfassen können. Nebbich.

    • kaineder auf 23. November 2014 bei 09:28
      Autor

    Stimmt. Das Meer.

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