Der kanalisierte Mensch in den Vergiftungsfallen

reuelosWer das Buch von Rotraud Perner „Die reuelose Gesellschaft“ schon gelesen hat, kann weiterblättern. Ich bin gerade mit großem Gewinn dabei. Die Autorin, Psychotherapeutin, Juristin und evangelische Theologin wird kommenden Montag für die Video-Reihe „viel mehr wesentlich weniger“ im Wien-Kanal mit P. Erhard Rauch und P. Bernhard Eckerstorfer ins Gespräch kommen. Ich freue mich schon darauf, weil Perner ein paar ganz wesentliche Dinge anspricht, die für uns Menschen in einer durch und durch „kanalisierten Gesellschaft“ aufschauen und aufhorchen lässt.

Der ungeschminkte Blick

Haustafel„Das,  was den Menschen krank macht, ist die Lüge, das, was heilt, ist die Wahrheit“. So resümiert Perner ihre 40-jährige Berufserfahrung. Martin Buber hat darin schon eine Chance gesehen, wenn wir genau wahrnehmen: „Was mir widerfährt, ist Anrede an mich.“ Das habe ich beim Gehen gelernt, dass mir das Leben entgegenkommt, dass ich mir selber dabei begegne, wenn ich hinschaue und hineinhöre. „Der ungeschminkte Blick auf die Wirklichkeit ist der Beginn der Revolution.“ Perner sieht in den gesellschaftlichen Kräften inklusive der Medien ein einziges „Ablenkungsmanöver“. Beschleunigung: Wir denken selten oder überhaupt nicht darüber nach, wem die steigende Beschleunigung nützt. Schneller, größer, Ranking. Der allgegenwärtige Zeitdruck bedingt den Status: auf der Flucht. Gerade Medien, PR-Verantwortliche und JournalistInnen sind im Fluchtmodus. Dabei wollen sie am wenigsten sehen, dass die Zeitung von heute das Klopapier (heute über Umwege) von morgen ist. Eine oberflächliche Aufgeregtheit jagt schon die nächste. Heute mit Facebook und Twitter noch um eine Geschwindigkeitsstufe höher. Da verstehe ich die Aussage eines ehemaligen Landesrates in Oberösterreich, der auf meine Frage, ob ihm etwas fehlt, meinte: „Ich bin so froh, dass ich die Medienmaschinerie nicht mehr heizen muss.“ Perner spricht von „Memen“ (übrigens auch Genetiker), die sich heute vernetzt ausbreiten und zu einem „unerwünschten Zwangsdenken“ führen. Der Mensch hat viel gewonnen, wenn er oder sie sich den „ungeschminkten Blick“ bewahrt. Perner schreibt wörtlich: „Aus meiner Sicht liegt der Schaden … in der Zerstörung des Gefühls zur Erkenntnis von Gehirnwäschen und anderen Manipulationen.“ Werbung, Marketing und PR sind angeführt am Beispiel der Nahrungsmittelindustrie.

Die sieben Todsünden als Vergiftungsfallen

BockererPerner führt Hans Küng und sein Weltethos an. Die Zahl 4 begleitet sie. Eine Kultur der Gewaltlosigkeit und der Ehrfurcht vor dem Leben heißt: Nicht töten. Eine Kultur der Solidarität und einer gerechten Wirtschaftsordnung heißt: Nicht stehlen. Die Kultur der Toleranz und ein Leben in Wahrhaftigkeit heißt: Nicht lügen. Eine Kultur der Gleichberechtigung und Partnerschaft von Mann und Frau heißt: Nicht missbrauchen. Diese „Kulturen“ liegen allen Weltreligionen zugrunde. Eine gemeinsame Besinnung darauf würde viel „lösen“. Ich sage dazu: auch in der Kirche, auch in der Ordenskirche. Perner schreibt von einer „salutogenen Atmosphäre“. Gesund machend, heil machend, ganz machend. Ermutigend. Das braucht allerdings ein Stück Souveränität jedes einzelnen, der oder die die Angst vor Menschen überwunden hat. Isolation, Ausgrenzung und Ächtung sind nicht dann mehr als lebensbedrohlich eingestuft. Das fürchtet der Ofen der Konsumindustrie am meisten. Unabhängig denkende Menschen. Am Samstag 9. August fahre ich zu den Gedenkfeiern von Franz Jägerstätter, der angstfrei seinen gewaltfreien Weg des Gewissens gegangen ist. Für viele ein weiter Weg, ein zu weiter Weg.  Perner schildert sehr anschaulich die „vergifteten Botschaften“ an Manager von heute: „Manager sollen gierig sein und immer mehr anstreben. Sollen inaktiv – träge – sein sich den Shareholdern nicht widersetzen. Sollen ihre Ziele aggressiv – zornig – verfolgen. Sollen geizig mit dem Erwirtschafteten umgehen. Sollen imagebewusst – stolz – handeln und auftreten. Wie es anderen Menschen geht, soll ihnen egal sein. Sie sollen immer im Zustand des Neides sein, um die Konkurrenz zu bekämpfen.“ Die Ökonomie hat den Hochaltar besetzt, den Tabernakel erobert. Papst Franziskus hat die Ordensgemeinschaften vor diesem Mammon gerade dieser Tage gewarnt. Die Orden und wir mit ihnen sind gefragt als „prophetische Stimme und Hand in diesem Heute“.
Ich freue mich auf das Gespräch am Montag. Da fällt mir ein: Ich war im „Bockerer“ im Stift Wilhering. Ermutigender Widerstand mit ungeschminktem Blick.