Die Deutungshoheit über die Liebe

_Kirchchlag_Assisi_2009_GerlindeFerdlWenn meine Mutter über die Zeit ihrer jungen Liebe in den frühen 50er-Jahren spricht, dann schwingt eine ganz große Enttäuschung der Kirche gegenüber mit: „Sie haben uns mit ihren Vorschriften, Verboten und Geboten die Jugend gestohlen.“ In dieser Zeit hat die Kirche sich die Macht herausgenommen und die Deutungshoheit über die Liebe bis ins kleinste Detail für jede Person zu 100% durchgesetzt. Angstmache war die Deutungsmaschinerie, die im Beichtstuhlkarussell gefestigt und abgefragt wurde. Immer wieder begegne ich Menschen, die bis heute der Idee der Kirche treu geblieben sind und trotzdem sich das heute absolut nicht mehr gefallen lassen wollen. Aber die Gefahr besteht ohnehin nicht mehr. Die Deutungshoheit über die Liebe und das Beziehungsleben hat die Kirche längst eingebüßt. Bischöfe wie Krenn und Laun haben das Ihre dazu beigetragen. So entstand in den Köpfen der Menschen die Fratze der geheuchelten und klerikal verbrämten Kirchenvorschrift. Mit großer öffentlicher Wucht haben sie authoritätslos alles verdammt, was nicht dem kirchlichen Moralgesetz entsprochen hat. Die Säkularisierung war der Teufel und die Auflösung aller Bindungen der Untergang. Dass die Menschen heute lernen, die Verantwortung selber zu übernehmen, dabei stolpern, anderen Deutungsmustern zum Opfer fallen oder die lebenslange Verbundenheit nicht sehen können, ist auch heute Bischöfen wie Küng äußerst suspekt. Alles wankt, die kirchlichen Parameter stehen in der Luft, die Fundament erodieren, die Sakramentalität geht gerade mit der Sonne unter. Die Liebe ist nicht  mehr die Liebe. Stimmt. Aber wie kommt mehr Liebe in die Welt? Die Hoffnungszeichen sehen.

Die Liebe wird regionalisiert

Die Bischöfe tagen gerade in Mariazell. „Amoris laetitia“ haben sie sich beim Studientag vorgenommen. Die Enzyklika des Papstes hat für viele vieles offen gelassen. Keinen Zweifel hat der Papst daran gelassen, dass wir als ChristInnen die Kernfrage in uns tragen müssen: Wie kommt mehr Liebe in die Welt, was kann ich dazu beitragen? Das braucht nicht Kasualien, Kleinkrämerei, Besserwisserei oder das Herunterpredigen auf die Menschen, sondern die tiefe gegenseitige Ermutigung, das demütige Vorangehen. Voraussetzung dafür ist die ungeschminkte Wahrnehmung. Das Hinschauen und vor allem noch davor: das Hinschauebiko1n-Wollen. Vielleicht finden die Bischöfe den Mut, dass sie sagen: 1. Wir möchten dich unterstützen und nicht kontrollieren im Wachstum deiner Liebesfähigkeit. 2. Ganz gleich, als wer und wie du deine Liebe lebst, du hast unsere ungeteilte Wertschätzung und Akzeptanz. 3. Unsere „kirchliche Ordnung“ werden wir ausschließlich in den Dienst des Wachstums der Liebesfähigkeit unserer Community stellen. 4. Wir bitten euch, helft auch uns Bischöfen, diese Liebesfähigkeit zu leben, neu zu entdecken. Kardinal Schönborn hat in den letzten Jahren einen wirklichen Schwenk oder Wandel durchgemacht. Seit Franziskus Papst in Rom ist, noch um einige Quanten mehr. Er ist – so wird immer wieder erzählt – ein Seelsorger. Darin findet er eine tiefe Beziehung zu Menschen. Das habe ich selber von einem verstorbenen Journalisten gehört. Die Gespräche mit Gery Kessler haben ihn dieser Tage zu Aussagen bewogen, die er früher so nicht gemacht hätte. Was sehe ich? Ein Bischof kehrt den Seelsorger an sich heraus und geht diesen Pfad angstfrei und mutig. Ich wünsche den österreichischen Bischöfen, dass sie die Gunst der Stunde nutzen und die Regionalisierung der Rahmenbedingungen und Kontexte der Liebe für uns in Österreich neu und offen aussprechen. Es geht heute nicht mehr um Deutungshoheit, sondern um das Entfachen der Liebe, der Liebesfähigkeit.

2 Kommentare

    • fch auf 14. Juni 2016 bei 06:14

    ganz schnell (aus berlin): sehr klug, sehr am punkt – ich hoffe, die herren bischöfe lesen das aufmerksam und machen was draus, fch

    • Elmecker auf 21. Juni 2016 bei 14:45

    Ja nun wird auf die miesen Vorgangsweisen in den 50iger Jahren hingewiesen. Die Angstmache mit Macht hat viele unterdrückt.
    Nun glaubt der Autor die Fratze der Heuchler sei überwunden. Na die Verurteilung geschiedener Wiederverheirateten und der Umgang mit Schwulen in der heutigen Zeit lässt das Entfachen der Liebe schlecht aussehen. Die Amtskirche (der Katholiken) ist nach wie vor machthungrig und unterdrückend.

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