Im System und am System

„Wir leben im Erfahrungsgefängnis. Wir leben in einem Gedankensilo. Es braucht die Kraft, sich die Dinge ganz anders vorzustellen. Es braucht nicht nur die Arbeit im System, sondern gerade heute die gestaltende Arbeit am System“.  Meinen Artikel für die nächsten ON habe ich abgeliefert. Jetzt fließt einiges nach. Es ist eine Zusammenfassung der Impulse von David Bosshart beim Ordenstag 2014. Diese drei Sätze werden mir weiter nachgehen. Es ist nicht einfach, im und am System gleichzeitig zu arbeiten. Und doch entfaltet beides die größte Kraft.

Weckt die Welt auf

Wels_1Lange mussten wir auf die deutsche Übersetzung des Schreibens von Papst Franziskus an die Orden warten. „Deutsch ist nicht mehr Umgangssprache in Rom.“ Das sehen Ordensleute, die mit Rom oder in Rom verkehren. Jetzt ist das Schreiben da. Hier zum Nachlesen. Es lohnt sich zurückzulehnen und hinunter zu lesen bis an den Schluss. Unter Punkt 2 kommt ein Satz, der auch die Präsidentin Sr. Beatrix Mayrhofer in der Predigt beim Ordenstag inspiriert hat: „Ich erwarte, dass ihr „die Welt aufweckt“, denn das Merkmal, das das geweihte Leben kennzeichnet, ist die Prophetie.“ Auch dieser Satz hat es in sich. Wenn ich ganz ehrlich bin, dann erlebe ich oft auch das Gegenteil davon. Zurückgezogenheit, Unterwürfigkeit, ja Angst, „der Welt da draußen zu begegnen“. Jetzt tue ich sicher einigen weh. Mir wurde in den letzten 2 1/2 Jahren irgendwie klar: Viele Ordensleute arbeiten brav, engagiert, fleißig, selbstlos im System. Im System des Krankenhauses, der Schule, der Kultur, der Spiritualität, die eigene Gemeinschaft zu erhalten. Eben im System. Wer allerdings die Welt aufwecken will, muss am System arbeiten. Am eigenen und an dem der Gesellschaft.  Es fällt aber leichter, im System zu bleiben als am System zu schrauben, mit ungewöhnlichen Ideen und kreativen Zugehensweisen. Wie David Bosshart festgestellt hat: Erfahrungsgefängnis, Gedankensilo. So wird es schwer gelingen, die Welt, die ihre „eigenen Wege geht“, aufzuwecken.

Die Sprengkraft der Geschichten

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Foto: Katrin Bruder

„Sie haben so viele biblische Geschichten und sie haben die Möglichkeiten, in Bildern und Analogien zu reden. Die Menschen lieben Geschichtenerzähler.“ Ich füge ein: Jesus hat den Menschen nicht durch Dogmen und Moral das Leben erläutert, sondern durch Gleichnisse, Geschichten und Begegnungen. Er war zu seiner Zeit wie der hl. Franziskus ein „Performer“. Öffentlich, darstellend und zeichenhaft handelnd. Das hat Realitäten geschaffen. Was sind die besonderen Möglichkeiten für Orden? Dieselben wir für jeden Menschen: Der Dialog, das Fragen, der Vertrauenskern. Und: In allem heißt es, das richtige Maß finden. Bosshart bezieht sich auf die Video-Reihe viel mehr wesentlich weniger“ und meint: „Jetzt heißt es klug zu interpretieren, was es konkret heißt: viel mehr und wesentlich weniger. Wir wissen im Bauchgefühl: Es kann so nicht weitergehen. Wir sind in der Wirtschaft brutal effizient geworden. Insgesamt sind wir im System nicht wirklich vernünftig.“  Die Menschen erkennen „vorgespielte Tatsachen“. Bosshart rät, öfter die Löschen-Taste zu drücken. „Denn: Es fehlt uns danach gar nichts.“ Das ist Arbeit am System: Das System verlassen, die Excel-Zelle meiden, die dauernden Rankings gezielt desavouieren, Auszeichnungen ablehnen, die Ränder als Mitte sehen.

Bleibt nicht Gefangene eurer Probleme

Wels_2Das ist jetzt alles Originalzitat aus dem Schreiben von Papst Franziskus: „Weiter erwarte ich von euch, worum ich alle Glieder der Kirche bitte: aus sich herauszugehen, um zu den existenziellen Peripherien zu gehen. „Geht hinaus in die ganze Welt“, war das letzte Wort, das Jesus an die Seinen richtete und das er heute immer noch an uns alle richtet. Da ist eine ganze Menschheit, die wartet: Menschen, die jede Hoffnung verloren haben; Familien in Not; sich selbst überlassene Kinder; Jugendliche, denen jede Zukunft versperrt ist; Kranke und verlassene Alte; Reiche, die satt sind an Gütern und im Herzen eine Leere haben, Männer und Frauen auf der Suche nach dem Sinn des Lebens, dürstend nach dem Göttlichen…“ Und weiter, was für mich selber genauso wie für den Vatikan gilt: „Zieht euch nicht in euch selbst zurück, lasst euch nicht von den kleinen Streitereien zu Hause belästigen, bleibt nicht Gefangene eurer Probleme. Diese lösen sich, wenn ihr hinausgeht, um den anderen zu helfen, ihre Probleme zu lösen, und um die gute Nachricht zu verkünden. Ihr werdet das Leben finden, wenn ihr das Leben hingebt, die Hoffnung, wenn ihr Hoffnung gebt, die Liebe, wenn ihr liebt.“ Persönlich weiß ich aus Erfahrung: Gehen, Bewegung und damit neue Begegnungen sind heilsam.