Aus einem solchen Leben sprudelt Leben

Petra und Franz BurgerWenn ein Mann im Internet seine geforderten Daten für die Mitgliedschaft bei der KMB Oberösterreich  eintippt, weiß er noch nicht, dass ein paar Tage später ein großes Kuvert mit Folder und Infomaterial kommt. „Was gibt dir Kraft?“, steht auf der ersten von sieben weiteren Postkarten, die verschiedene Kraftquellen ansprechen: Freundschaft, Beziehung, Natur, Hoffnung, Stille, Glaube, Liebe und Menschlichkeit. Glaube mittendrin. Mein Artikel im aktuellen Männermagazin Ypsilon.

„Glaube ist das Wagnis, sein Leben von Gott bestimmen zu lassen. Der Mensch kommt zum Glauben, weil Gott an ihn glaubt.“ Wer sagt so einen Satz? Christoph Friedrich Blumhardt (1842–1919) war ein württembergischer evangelischer Theologe, Pfarrer und Kirchenlieddichter, später auch Landtagsabgeordneter für die SPD. Er gilt als der Begründer der christlichsozialen Bewegung in der Schweiz und in Deutschland. Um den Satz auf der Spruchkarte der KMB zu verstehen, lohnt es sich, ein etwas ausführlicheres Zitat aus seiner Weihnachtspredigt über die grenzenlose Liebe Gottes aus dem Jahre 1896 in Ruhe und langsam zu lesen: „Die Liebe Gottes zerschmelzt alles Schlechte, alles Gemeine, alles Verzweifelte; die Liebe Gottes zwingt auch den Tod. Aber es muss eine Gottesliebe sein; eine Liebe, die auch die Feinde liebt; eine Liebe, die unentwegt durch alles hindurchschreitet wie ein Held und sich nicht beleidigen, nicht verachten, nicht wegwerfen lässt; eine Liebe, die mit dem Helm der Hoffnung auf dem Haupt durch die Welt schreitet. Wir haben es bis jetzt nicht genug gewagt, zu sagen: Jesus ist geboren, und darum sind alle Kreaturen geliebt. … Jesus will als die grenzenlose Liebe Gottes verstanden werden. In dieser Liebe will er die Flamme sein, an der wir uns rein brennen. Es ist nur die Liebe, nur das Erbarmen Gottes, das uns in sein Gericht nimmt, damit wir frei werden von allem, was uns jetzt zu Sklaven und unglücklichen Menschen macht, die heute leben und morgen im Dunkel des Todes verschwinden.“

Influencer für die Kraft des Glaubens

P. Johannes Pausch ist Prior des 1993 gegründeten Europaklosters Gut-Aich in St. Gilgen. Der Benediktiner ist Priester, Psychotherapeut und „profund kräuterkundig“. Mit seiner Lebenssicht und den daraus folgenden Lebenstipps ist er heute ein gefragter Mann. 8.000 bis 15.000 sehen seine Impulse im Internet. Launig meint er: „Man hat mir erklärt, dass ich jetzt ein Influencer bin.“ Die KMB Österreich hat ihn als Hauptreferenten für die Sommerakademie Ende Juli nach St. Pölten eingeladen. „Glaube als Kraftquelle“ war sein Thema. Dort erzählt er in seiner launigen Art, was Menschen über ihn sagen: „Er füllt Geist in Flaschen ab.“ Die Orte dafür sind die Kirche und die Kellerei. P. Johannes meint mit einem spitzbübischen Lächeln: „Ohne Humor ist der Glaube sehr dürftig, kann man im Grunde nicht glauben.“ Und er erzählt von einem Mann, der zu seiner Sterbensdiagnose recht salopp meinte: „Auch das wird mich nicht umbringen.“ Pausch kommt zum Punkt: „Glaube heißt in Beziehung leben.“ Immer geht es um Berührung, um Beziehung auf allen Ebenen: „Essen ist beispielsweise unter diesem Aspekt nicht einfach die Zuführung von Kalorien, sondern gemeinsames Teilen, ein Verkosten und damit Eucharistie.“

Wer singt, lebt leichter

Für den Kräuterkundigen ist Glaube nicht einfach das Verbreiten von dogmatischen Lehrsätzen, sondern hat mit Tun zu tun, mit Denken und Handeln, mit Haltung und Grundhaltungen dem Leben gegenüber, mit konkretem Verhalten. „Der Glaube hilft mir, mein Verhältnis zu mir, zum Du, zur Natur, zur Welt und zu Gott zu bestimmen.“ Glaube ist von Bildern geprägt. Manche „Lebensbilder“ heutiger Menschen machen ihm Sorgen, weil sie das Leben zuschütten. Glaube ist „sinn-voll“ leben und das heißt, mit allen Sinnen zu leben. „Ich muss meine Sinne einschalten, wenn ich sinnvoll leben will.“ Der Vortragende spricht von Reduktion für eine neue Wahrnehmung. Zweifel, Verluste, Scheitern, Hindernisse sind Geschwister des Glaubens und damit auch Quellen des Glaubens. Der aus einem Wirtshaus stammende Ordensmann sieht gerade im Singen eine Quelle der Lebensfröhlichkeit: „Wer singt, lebt leichter.“ Ebenso gehören Geschichten, Gleichnisse und genauso Schweigen zu einem lebendigen Glauben.

Kraftquellen und Krafträuber

Unkraut jäten gehört zu seinen Kraftquellen. Launig betont der Kräuterexperte, „dass wir in Gut-Aich kaum Unkräuter haben“. Warum? Sie kennen die positiven Wirkungen von ganz vielen Pflanzen, die landläufig als Unkräuter tituliert werden. Sport, Bewegung, Musik und gutes Essen lassen das Leben sprießen. „Eine Wassersuppe mit Weihrauchgeschmack hingegen macht hantige Gesichter.“ Als Krafträuber identifiziert der Benediktiner Beziehungslosigkeit, Konflikte, Langeweile, Ignoranz, Blödheit, unehrliche Menschen sowie Hektik und Stress. Das alles lässt eine „trostlose Vergangenheitsorientierung“ wachsen und „nimmt der Zukunftsorientierung die Nahrung“. Der weit verbreitete innere und äußere Leistungsdruck macht den Menschen zu schaffen. Zeit, Geld und Gefühle werden nach gängigen Marktlogiken gesehen und zum Einsatz gebracht. Vieles verkümmert. „Einfach gemeinsam wach leben“ haben die Ordensgemeinschaften Österreich als innere Dynamik in die Welt gesetzt. Wer sich das zu Herzen nimmt, ist einem Leben in der Spur Jesu nicht fern und wird täglich aus den Quellen genährt. Ein herzhaftes Lachen und kräftiger Applaus des Auditoriums begleiten P. Johannes von der Bühne bei der Sommerakademie.

Gott kommt uns entgegen

Zurück zur Spruchkarte am Beginn. „Glaube ist das Wagnis, sein Leben von Gott her zu leben“, würde man wahrscheinlich heute sprachlich treffender sagen. Auf meiner Facebookseite hat die Frage „Was gibt dir Kraft?“ innerhalb von wenigen Stunden 74 Kommentare ausgelöst. Ein Zeichen dafür, dass diese Frage echt lebensrelevant ist. Anna Mirijam Kaschner, Generalsekretärin der dänischen Bischofskonferenz, schreibt kurz „Beten“ dazu, Maria Wright, Verantwortliche für den Benediktweg in Österreich, meint: „Mit lieben Menschen auf dem Weg sein.“ Josef Geißler findet Kraft bei „einer kühlen Halben nach der Radlrunde“ und Agnes Kaiser beispielsweise beim „Eisbaden“. Michaela Lugmaier, PGR-Verantwortliche in der Diözese St. Pölten, schreibt: „Stille, die Bibel als Quelle der Inspiration, mein Glaube bzw. meine Gottesbeziehung, Spaziergänge, Begegnungen und Gespräche mit weisen, lebenserfahrenen und klugen Menschen, Musik hören.“ Im Grunde kreisen alle Kommentare um „gelingende Beziehungen“. Dazu gehört nach Ansicht von Gabriele Neuwirth, Präsidentin des Verbandes katholischer Publizistinnen und Publizisten, auch „die Gewissheit, in Gottes Hand geborgen zu sein“. Eben: Kraft schöpfen aus dem Leben, das uns von Gott entgegenkommt.

Die Spiritualität des Alltags

Petra Maria und Franz Burger wohnen sozusagen am Gegenhang. Jederzeit können die Zeremonienleiterin und der Wirtschaftsinformatiker einen Blick auf „ihre Pfarrkirche“ in Gramastetten in Oberösterreich werfen. Die Morgensonne bescheint „ihr Platzerl“, welches sie sich zu Beginn der Corona-Pandemie geschaffen haben. Wasser plätschert leise über die Stahlskulptur. Kaffee und Kuchen zeugen von ihrer tiefen und weiten Gastfreundschaft, schon in aller Frühe. Das Gespräch hat immer eine ergänzende, eine dazulegende und offenherzige Tonalität. Glaube hat für sie mit einer „Spiritualität des Alltags, dem ganz konkreten Leben zu tun, dem sakramentalen Vollzug ihrer Ehe, einer freudigen Sexualität und einem Einander-Segnen und Segen-Sein“. Gemeinsame Rituale und Feiern geben Kraft und Energie, wenn Jung und Alt gemeinsam singen und beten. Franz erinnert sich an Taufen, „von denen viel Kraft ausgegangen ist“. Genauso bei anderen Lebenswenden. Petra erlebt, dass die Haltung der Dankbarkeit vielen abhandengekommen ist. Genau dieser „staunende und dankbare Blick“ ist ein Schlüssel für ein erfülltes Leben. Es ist nicht selbstverständlich, eine Arbeit zu haben, ein Einkommen, das einen Gestaltungsrahmen für das Leben ermöglicht, „beim Spazierengehen das Joghurt vom Bauern mit nach Hause nehmen zu können“, einen hohen Grad an Selbstbestimmtheit, an Spielraum und offene Gestaltungsräume vorzufinden. Beide sind sich einig, „dass der Glaube uns dazu führt, sich als Teil der Natur zu sehen. Der Glaube lässt uns den eigenen Platz finden.“ Wir stehen nicht drüber, sondern drinnen, in der Natur und im Geheimnis Gottes. Sie sprechen den Klimawandel an: „Ein erfülltes Leben wird in Zukunft nur in Einklang mit der Natur möglich sein.“

Glaube stiftet Verbundenheit

Ihr Leben hat sich über die Jahre in der Pfarre verändert. Loslassen ist ein Thema, älter werden, nachlassende Lebenskraft rundherum und Pflegebedürftigkeit der Eltern sind aktuelle Zumutungen. Vor langer Zeit gewonnene Einsichten ändern sich, der Glaube genauso. „Viele Dinge sind leichter zu tragen, wenn ich weiß, dass es da einen liebenden Gott gibt. Gerade in Krisensituationen fühlen wir uns getragen, fühlen uns mit vielen Menschen verbunden. Da gibt es Leute, die uns verstehen, ein Ohr für unsere Situation haben, uns suchen. Genauso umgekehrt.“ Petra und Franz erzählen von ihren „gewachsenen Verbundenheiten“ in der Pfarre und darüber hinaus. Sie erzählen von Weggefährtinnen und Weggefährten, mit denen sie sich in der Pfarrkirche zum Gottesdienst und nachher zum Frühschoppen treffen. Aus ihrem Engagement in und rund um „die Kirche“ haben sich Freundschaften entwickelt, auch bei ihren Kindern. Petra erzählt davon, dass sie den 350 Mitgliedern der Katholischen Frauenbewegung in der Pfarre einen Brief mit persönlichen Zeilen geschrieben haben: „Da gab es wunderbare Reaktionen darauf, Freude und Dankbarkeit für diese Kontaktaufnahme in kontaktlosen Zeiten.“ Gerade die Corona-Pandemie hat gezeigt, ob Pfarre „innerlich lebendig und beziehungsfähig ist oder doch nur äußerlich funktioniert“. Ein anderes Beispiel erzählen sie, das bei ihnen selbst Nachdenklichkeit hinterlassen hat. Zu Ostern haben sich wegen Corona spontan 23 ehemalige Ministrantinnen und Ministranten im Alter zwischen 15 und 23 Jahren gemeldet und „wieder ministriert“. Schmerzlich war, dass sich nachher von den Verantwortlichen der Pfarre niemand dafür zuständig sah, diese Kontakte weiter zu pflegen. „Da wird gerade viel verspielt“, meinen beide.

Wir legen das Unsere dazu

„Gehen wir oder halten wir dagegen“, war früher öfter die Frage. Beide sind in der Kirche gemeinsam engagiert, seit Jugendjahren. Heute ist Franz KMB-Obmann und Petra in der kfb tätig. Im Engagement haben sie sich gegenseitig in jungen Jahren gefunden, sind ihre jetzt erwachsenen Kinder groß geworden. Ein Stück Gelassenheit ist im Gespräch spürbar, liegt in der Luft und gleichzeitig ein Stück Demut, mit dieser Situation umzugehen. „Heute legen wir das Unsere dazu“, ist ihre liebevoll Antwort auf das, was die Institution Kirche an Aufmerksamkeit, Empathie und fürsorgliche Liebe nicht aufzubringen vermag. Flüchtlinge sind in ihrem Haus ein- und ausgegangen. Gastfreundschaft wird so gelebt, dass immer ein Stuhl frei bleibt für den Überraschungsgast. „Das schönste Weihnachten war, als einer der Flüchtlinge mit einer Flasche Rotwein vor der Haustüre stand und er dann mit uns gefeiert hat.“ Für beide ist klar, dass nicht die Worte, sondern das konkrete Tun wirken. Würde Jesus heute durch Gramastetten gehen, dann sind sie sich recht sicher: „Jesus wäre ein Ermutiger für das Gute. Er würde den Blick auf das Gelingende, auf das Schöne, auf das, was geht, lenken. Er würde das Nährende, Aufrichtende sehen und das Zehrende, Drückende als solches benennen. Jesus würde Vielfalt als besonderes Geschenk sehen und keine Charismen und Fähigkeiten – gerade von Frauen – links liegen lassen. Eine Geschwisterlichkeit auf Augenhöhe wäre ihm ein besonderes Anliegen.“

Petra und Franz sind sicher, dass eine Kirche, eine Pfarrgemeinschaft, eine kirchliche Gruppe dann lebensrelevant ist, „wenn sie Begegnungen, die tragen, aktiv pflegt, wenn sie Feiern und Rituale, die von Lebendigkeit geprägt sind, ermöglicht, ermutigt und gestaltet“. Aus einem solchen Leben sprudelt Leben.

[Erstmals erschienen im Ypsilon 4/2021]