Zehn Tage und kein Tropfen Regen. Das war auch für mich neu. „Fluid Sunshine“ hätte ich zumindest aus Erfahrung erwartet. Die Weltanschauen-Reise 2024 (Besondere Orte in Cornwall erwandern) musste ohne die Erfahrung des Regens auskommen. Der mitgebrachte Regenschutz blieb eingepackt. Dafür wurden viele besondere Erinnerungen und gemeinsame Erfahrungen dazugepackt.
Wer mit dem Finger auf der Landkarte Cornwall ansteuert, muss den ganz westlichsten Zipfel unten an der englichen Insel suchen. Mit dem Zug fahren wir von London mit großer Geschwindigkeit mehr als fünf Stunden. Der Eurostar bringt uns von Brüssel, wo wir nach der Zugfahrt bis dorthin übernachtet haben, in den St. Pancras Bahnhof in London. Wir nutzen unsere Füsse und vertreten sie für eine Stunde durch London mit einem Abstecher in den Regents‘ Park bis Paddingten Station. Dort angekommen, haben wir einen kleinen Eindruck davon, was die Stadt ausmacht. Verkehr, unterschiedlichste Häuser und Architektur, angelegte Natur in Form des wunderbaren Parks. Beispielsweise. Wir können wieder sitzen, bis wir abends in St. Ives ankommen, direkt am Meer, ein Städtchen mit Flair, ein touristischer Sehnsuchtsort vieler Engländer:innen, sagt man. Gut vorstellbar. Das Cohort-Hostel gibt uns Unterkunft, die ersten Fish and Chips genießen wir.
Räume gehen auf
Erst einmal eingehen, nennen wir den ersten Tag. Die Strecke nach Lelant am Coast Path ist schon vielfältig. Er schlägelt sich aus der Stadt hinaus entlang der Steilküste, ja in der Steilküste selber entlang, fällt hinunter zum Sandstrand, wo wir unsere Zehen erstmals mit Atlantikwasser benetzen. Am Ende des Weges verlassen wir vor St. Erth den Coast Path und erleben eine besondere Kirche, einen besonderen Friedhof. Mehr als die Hälfte des Friedhofs wird über drei Jahre nicht gemäht, um den Bienen Futter zu bereiten. Bei uns unvorstellbar, dass Gräber im menschenhohen Gras „versteckt“ sind. Ein besonderer Anblick. Auch die alte romanische Kirche hat innen verschiedene Funktionen parat für Gottesdienst, Kinderplatz zum Spielen, den Küchenblock für Pfarrcafe und Tische zum Rundherumsitzen. Alles im Kirchenraum. Wir verweilen ein wenig und singen ein Lied. Der Bus bringt uns zurück zum Ausgangspunkt. Die Stadt St. Ives mit dem gerade wasserlosen Hafen (Ebbe) genießen wir.
Stockbusse mit Übersichtsgarantie
Alles hinein in den Rucksack, heißt es am folgenden Tag. Wir übersiedeln, sozusagen, mit vollem Gepäck. Es wird der erste „wirkliche“ Gang am Coast Path von St. Ives bis Zennor. Wir spüren die Schroffheit, die weite Milde und das Auf und Ab des Weges. Nicht allen ist der Weg gleich geläufig. Alle sind wir im wunderbaren Pub in Zennor angekommen. Vor dort fährt uns der Coaster (öffentliche Stockbus: Wochenkarte 25 Pfund/Person) nach St. Just zur zweiten Unterkunft für drei Nächte. Dort gut geschlafen genießen wir das typische cornische Frühstück, Kraft für den Tag. Unsere Gehstrecke führt uns heute von Pandeen über die aufgelassenen Bergwerksanlagen mit den Türmen mitten in der Natur zum Cape Cornwall, dem lange geglaubten westlichsten Punkt von England. Wer mit dem Finger auf der Landkarte gerade dort ist, der muss nach neuen Vermessungen und Berechnungen weiter südlich nach Lands‘ End. Der dritte Gehtag wird dort sein Finale finden, der Weg dorthin wieder ziemlich auf und ab, manchmal wirklich anspruchsvoll. Deshalb steht auch in der Reisebeschreibung „Trittsicherheit und genügend Ausdauer erforderlich“. In der Bucht mit dem kleinen Dörfchen Sennen machen wir ausgiebige Mittagsrast mit Bademöglichkeit. Die vielen Menschen am Strand sagen uns: Ferienzeit. Am weitläufigen Strand ist genügend Platz für alle. Die letzte Stunde gehen wir nach Lands‘ End, wo wir auf ganz viele Menschen treffen. Es ist ein besonderes Ausflugsziel. Der Coaster hat für uns 23 Reisende wider Erwarten gut Platz und wir fahren nach St. Just zurück, um ein drittes Mal im Commercial Hotel ein wunderbares Abendessen zu genießen, im Pub nebenan die cornischen Biere zu verkosten und gut zu schlafen. Ich würde nie ein Leihauto nehmen, um Cornwall zu sehen. Die Straßen sind schmal und immer von bewachsenen Steinmauern eingezäunt. Also keine weite Sicht. Der überall hinfahrende öffentliche Verkehr mit Stockbussen gibt immer und überall „Überblicke“.
Steg oder Boot, je nach Wasserstand
Der südliche Küstenabschnitt am Coast Path wird uns die nächsten Tage den Weg bereiten. Mit dem Bus nach Mousehole (sie sagen „mousl“) und von dort am Saum zwischen fluider und kristalliner Welt (Wasser und Festland) bis Porthcurno. Mitten drinnen eine kleine Bucht zum Baden und für die Mittagsrast eine kleine feine Gastronomie. Wir sind alle beeindruckt von der Gegend und gleichzeitig von unserem ausdauernden Gehvermögen. Ab heute habe ich den Eindruck, dass alle in ihren Gehmodus gefunden haben, zusammengehalten vom „inneren Gummi-Ringerl“. Der Busplatz mit Bahnhof ist gleich neben dem Long Boat Inn, unsere Bleibe für die nächsten drei Nächte. Die Insel St. Michel ist das nächste Tagesziel. Über den einen Steg gehen wir auf die Insel, die mit dem Schloss und dem Garten eine Besonderheit ist. Persönlich bin ich vom Garten an der Mauer nach Osten hin wirklich beeindruckt, auch davon, dass diese Insel immer noch bewohnt wird. Die Flut ist mittlerweile hereingekommen und der Steg für den Rückweg damit versperrt. Daher bringt uns ein Boot wieder ans Festland. Dort angekommen fahren einige die Strecke nach Penzance mit dem Bus zurück, die Mehrheit macht den Strandgang. Die Stadtührung mit Anne zeigt uns die Fischerstadt, die Hafenstadt, die Industiestadt und die Tourismusstadt, durch die Jahrhunderte immer irgendwie umkämpft.
Sanft und schroff
Portleven wird durch eine spontane Umstellung der Route unser letztes Geh-Ziel. Der Weg war auch mir nicht bekannt und ich bin begeistert von diesem Stück. Von Marazion gleiten wir auf Meereshöhe dahin, um dann wieder in den Klippen auf und abzusteigen, nie gefährlich, sanft und im Endeffekt etwa 700 Höhenmeter an diesem Tag gemacht. Um die Mittagszeit der längste Sand-Badestrand Cornwall’s, Praa Sands, wo wir uns im Meer abkühlen und das leibliche Wohl auffrischen. Der Weg danach wird immer mehr ein grandioses Auf und Ab, die Klippen vom Meerwaser ausgespült. Portleven ist eine wirkliche Hafenstadt mit einer jahrhunderte alten festen Hafenanlage und den Pubs und Kneipen, Kunsthandwerk und Tourismus. Wir bleiben und genießen, schauen den Jugendlichen und Erwachsenen von den Hafenanlagen ins Wasser springen, die meisten in Neoprenanzügen (siehe Wassertemperatur). Der Bus U4 nimmt uns wieder auf nach Penzance, der letzte Abend ein individuelles Herumstreifen, ein letztes Pint.
Körper, Geist uns Seele
Sechs Uhr Zwölf fäht der Zug (also: 6:12 Uhr). Gut, dass unser Hotel, das damals bei der Errichtung der Eisenbahn zusammen mit dem Bahnhof 1870 errichtet wurde, gleich nebenan liegt. Früh aufstehen, einsteigen und ab geht es heimwärts. Stundenlang gleitet die Landschaft Südenglands an unseren Fenstern vorbei, Schafweiden, Hausboote mitten in den Wiesen, wieder Blicke ans Meer, Städte und Dörfer, Erinnerungen vom Weg mischen sich immer wieder dazu. Der Zug nimmt mit jeder Haltestelle mehr Menschen auf, bis er am Ende in Paddington Station alle aussteigen lässt. Uns auch. Unsere Schritte zum St. Pancras Bahnhof sind am Coast Path gestärkt worden. Es bleibt noch Zeit zum Schauen, Trödeln und einfach Atmen. Der Eurostar nimmt uns wieder auf, unter dem Ärmelkanal durch bis Brüssel, dort in 20 Minuten in den ICE nach Köln umsteigen. Wir haben es sehr gut geschafft. Alles pünktlich. In Köln warten wir auf den Nightjet im Gaffel am Domplatz. Als Gruppe nehmen wir voneinander Abschied, sind gerührt ob der Erfahrung, wie tief unsere Gemeinschaft gewachsen ist in eine besondere Verbundenheit hinein. Wieder die Erfahrung: Das gemeinsame Gehen kann was. Der NJ kommt verspätet, aber er kommt. Alle verschwinden um etwa 23 Uhr in die Kojen, viele Gedanken und Erinnerungen im Gepäck. Wie schreibt eine Teilnehmerin aus dem Süden Österreichs, nachdem sie daheim angekommen war, via WhatsApp? „Körper, Geist und Seele haben profitiert von dieser wunderbaren Reise.“