Der Große Welt-Raum-Weg bewegt prägend

„Umi, aufi, owi und halbwegs“ waren die gefragtesten Worte an den sechs Tagen am Großen Welt-Raum-Weg von Bad Ischl bis nach Hinterstoder über das Tote Gebirge. Wie sollte man sonst dem Weg entsprechend Auskunft geben, wenn es um Wegführung, Beschaffenheit, Distanzen oder Wetter ging. Der vor uns liegende Weg mit den 14 Audio-Stationen ist im Rückspiegel betrachtet verbunden mit prägenden Erfahrungen und Erinnerungen. Der Weg macht etwas mit uns, individuell und als Gruppe. Die Hörstationen sind Sensibilisierungstankstellen. Unsere Weltanschauen-Gruppe mit 14 Frauen und Männer aus Österreich und Deutschland am Start in Bad Ischl hat sich dann doch etwas ausgedünnt auf acht Personen, die Hinterstoder gesehen haben.  Aber: Alles der Reihe nach.

Die „Kulturhauptregion Salzkammergut 2024“ (23 Gemeinden) hat viele Kinder geboren. Projekte großer Zahl sind entstanden. Der Große Welt-Raum-Weg ist als kirchliches Projekt über drei Jahre lang gewachsen. Das Gehör und das Hören spielen die Hauptrolle. Das Gehen über ein unwirtliches Gebirge, das fälschlicherweise als tot dargestellt wird, obwohl es voller kargem Leben ist, bildet die Basis, Bewegung im alpinen Raum, offen bis in den Welt-Raum. Unsere Reise Mitte August 2024 beginnt im Badezimmer daheim, der ersten „Hörstation“. Das Wasser, das Fluide wird meditiert. Die Audio-Tracks sind downgeloadet, die Ohrstöpsel angesteckt. Alles muss offline funktionieren, weil die kommenden 60 Kilometer und mehr als 3.000 Höhenmeter zu 95 % ohne Netz sind. Also 100 % offline. Das Smartphone muss im Flugmodus die Tracks abspielen können. Die Website zum Weg ist allen Fragen gewachsen, eine Anleitung jederzeit verfügbar.

Der Start in der Stadt

Am Vortag trudeln die Teilnehmerinnen und Teilnehmer am „großen Vorhaben“ im Hotel ein. Erste Kennenlernblicke und -gespräche. Der Zug bringt noch die Verspäteten. Katharina führt uns durch die Europastadt, gibt historische Einblicke und verschafft einen Eindruck von der „Salzkammergutseele“. Das Sudhaus hat jene Ausstellung parat, die uns das Salz und das Leben verstehen lernt, in die Herausforderungen der Zukunft stellt. Beeindruckend die künstlerischen Interventionen und Werke. Das Abendessen im Elisabeth genießen wir genau dann, als der Himmel das Regenwasser ausschüttet und mit orkanartigem Wind überall verteilt. Erste beklemmende Fragen kommen auf: Was tun wir, wenn uns das beim Gehen im Gebirge passiert? Es sei verraten: Wir wurden nie nass, obwohl es eine gewittrige Woche war. Im Hotel nächtigen wir schon in Mehrbettzimmern, damit uns am Berg das „Lagerschlafen“ nicht zu überraschend trifft. Das Kuchltheater bereitet uns ein Ausnahmefrühstück als „geschlossene Gesellschaft“. Siegfried ist ein Meister der Nachhaltigkeit, der Regionalität und des guten Geschmacks. Dann noch ein Herumschlendern in der Stadt, das Hineinhören in die Nikolauskirche mit dem Track 2. Spätestens hier merken wir, dass Christoph Viscorsum und Andreas Hagelücken ein Meisterwerk in der Audiowelt gelungen ist. Das hat nichts mit Podcast zu tun, sondern sind Kompositionen aus den Stimmen der besonderen Gespräche vor Ort, dort, wo wir hingehen. Teils kennen wir die Stimmen, teils sind sie unbekannt, alle ausdruckstark. Räume und Zeitachsen öffnen sich. Wir fahren mit dem Salzkammergut-Shuttle bis zur Rettenbach Alm. Das Gehen beginnt am Nachmittag, die Sonne und Wärme im Rücken, das aufziehende Gewitter als Antreiberin. Nach drei Stunden mit weiteren zwei Hörstationen sind wir auf der Ischler Hütte. Die Hüttenwirtin Renate empfängt uns. Das sich ausladende Gewitter mit Starkregen treibt uns 14 in die Hütte. Die besonderen „Körperwahrnehmungen“ nach diesem Aufstieg brauchen Zeit, die Füße ahnen, was weiter auf uns zukommt. Der Körper ist die Verbindung zum Raum, die Gedanken verlassen das Gewohnte, die Seele weiß noch nicht, was wirklich los ist. Das wunderbare Abendessen, die Abendgespräche und der Schlaf stärken uns.

Bald aufstehen und gehen

Der Wecker läutet um 4:30 Uhr. Das ist für manche so früh, dass es ohnehin egal ist. Es ist noch tief finster. Renate ist extra zum Frühstückmachen aufgestanden. Wir genießen es in aller Ruhe. Die ersten körperlichen Einwände tauchen auf. Aber wir gehen alle los, die Rucksäcke gepackt, viel Wasser dabei. Als Ziel haben wir für diese Tagesroute die Wildenseehütte. Die Selbstversorgung dort lässt alle einen Teil des Abendessens wie Nudeln und Sugo seit gestern im Rucksack mitwandern. Über zwei Stunden geht es Schritt für Schritt hinauf zur Hörstation „Geburt“. Der Weg ist noch feucht, aber gut begehbar. Die erste Erprobung der „alpinen Schwindelfreiheit“ erfolgt. Wir hören den Track 6, die Sonne im Gesicht, still und andächtig. Eva Weber hat im AVANTGARD/EN im Klostergarten in Gmunden eine Fahne aufgehängt mit „Atmen Atmen Amen“. Wir werden diese Worte in verschiedenen Situationen noch öfter sagen und hören. Beim Abstieg zur Abzweigung hatten alle Schutzengel mitgewirkt, dass ein rollender Stein keine größeren Verletzungen verursacht hat. Atmen Atmen Amen. Normalerweise geht der Weg zum Hochkogelhaus hinunter, was auch plausibel ist. Wir zweigen heute allerdings gleich ab hinüber zum Wildensee und Wildenseehütte (vor dem Appelhaus), steigen kräftig auf, genießen bei einer Trinkpause die phänomenale Aussicht, gehen wieder hinunter, um mit den Ohrstöpseln im Ohr der Hörstation 7 zum Gehen im Gehen zu lauschen: „Das Gedächtnis der Füsse“ und „der Weg schiebt sich uns entgegen“. Alles ermutigend am weiten Weg heute. Der lange Aufstieg mündet am Hochplateau beim Steinloch, in der Hörstation 8 als Vulva bezeichnet, Ursprung des Lebens, ganz innen und ganz außen. Dort hat auch das Mittagsschläfchen seinen Platz. Etwa 55 % der Tagesetappe sind gegangen. Jetzt geht es nur noch „umi und owi“, wo uns der Wildensee zum Baden einlädt. Alle genießen das kühle Nass nach dem doch schwierigen steinigen Karstweg. Da ist die Strecke zur Wildenseehütte direkt ein Auslaufen. Fast 9 Stunden Gehzeit waren erforderlich, um mit allen Pausen nach 11 Stunden das Tagesziel zu erreichen. „Das waren die besten Spaghetti, die ich in meinem Leben gegessen habe“, meint eine Teilnehmerin, die ein halbes Kilo Nudeln mitgetragen hat. Die Hütte in der Umgebung der Hütten der Bauern ist einzigartig, das Lager für uns alle gute Schlafstätte. Nicht einmal für ein Schnarchen war noch Energie da. Müdigkeit und tiefe Zufriedenheit treibt alle in den Hüttenschlafsack.

Aufhören können und absteigen

Um 7 Uhr starten wir in das Appelhaus, wo wir nach etwa 40 Minuten Gehen ein tolles Eier-Frühstück bekommen. Eine Teilnehmerin artikuliert das Ende ihrer Kräfte. Der Körper will nicht mehr und zeigt das mit einem Migräneanfall. Mit den für die Kranke Sorgenden „verlieren“ wir drei Personen, dazu muss eine Teilnehmerin abends beim Konzert mitspielen und steigt zum Grundlsee ab. Ein Blick in die Runde und zurück auf das Appelhaus zeigt uns: Wir sind ab jetzt 10 Personen im gebirgigen Welt-Raum. Schritt für Schritt geht es „umi“ auf die Pühringer Hütte. Die Hörstation am seichten Wasser hören wir in der prallen Sonne. Es zeigt sich allerdings schon, dass an einem Gewitter gebraut wird. Der Weg „umi, owi und aufi“ zur Hütte zieht sich. Der Elmsee ist mit der Hütte in Sicht, die ersten Tropfen kündigen vom Kommenden, die Schritte werden schneller, das Hüttendach ober uns und der Regen ergießt sich über das Tal. Glück muss man haben, und wir bleiben trocken. Ein Teilnehmer kann sein Knie nicht mehr überzeugen, schmerzfrei zu gehen. Er verlässt uns am nächsten Tag zusammen mit einer Teilnehmerin, die beim Steinvorfall eine Schramme abbekommen hat. Der Hüttenwirt Klaus bringt ein Schnapserl und erzählt von seinem Vorhaben, die Pühringer Hütte bis 2027 energieautark zu machen. Bravo, meine ich. Im Extrastüberl genau für uns 10 wird uns das Abendessen serviert, das wir im Rahmen der Halbpension bekommen. Tiefe und gute Tischgespräche entfalten sich. Die nächtliche Hörstation machen wir wegen des starken Regens bei der Hütte (normalerweise 300 m oberhalb). Der Schlaf kräftigt für die morgige längste Etappe zum Prielschutzhaus.

 

 

 

Der längste Pfad

Ab 6 Uhr wird das Frühstück bereitet. Wir schlängeln uns schon dazu. Gutes Brot, Butter, Käse, Marmelade und Porridge mit Kaffee oder Tee stärken uns. Um 7 Uhr verabschieden wir die Talgeherin und den Talgeher mit Umarmungen und nehmen den Aufstieg von mehr als 350 Höhenmeter in Angriff. Unglaubliche Überblicke fangen unsere Augen ein, während Herz und Lunge zusammen mit den Füßen sich am  Aufstieg abarbeiten. Oben am Rotkogelsattel auf 2009 m angekommen sitzen wir und hören: „Da Körper? Der is’ do.“ „Zukunft!? Wir haben immer das Gefühl, dass sie vor uns liegt … dass wir in diese Zukunft hineingehen.“ Atmen Atmen Amen. Und ab da geht es „umi“ auf das Prielschutzhaus durch eine unendliche phänomenale Steinwüste, wo in der Hörstation in der Nähe des Temelbergsattel (1.970 m) zu hören ist: „In der Steinwüste, wenn einen nur die Natur sieht.“ Der Abstieg von dort braucht Trittsicherheit für kleine Klettereien. Nur Gestein, Geröll und dort und da ein Grün. Die Belohnung für diesen sicherlich mühsamen Abstieg ist der Blick auf die Hütte. Das Wetter hat gehalten, obwohl schon ab der Mittagszeit Gewitter angesagt sind. Mein Tipp: Im echten Wetter gehen und sich nicht vor dem App-Wetter fürchten. Der kommende Vollmond stabilisiert die vorhandene Wetterlage. Das wissen wir seit Generationen. Klar ist aber: Ein Gewitter ist in den Bergen ein besonderes Gewitter. Noch ein zwei kleine Klettereien und der Weg läuft direkt auf das Prielschutzhaus zu. Das Panorama, der Ausblick, die Wegstrecken hinter uns verleiten zum Trödeln. Nach mehr als 7 Stunden Gehzeit und insgesamt 8 Stunden erreichen wir unsere letzte Hütte. Die Zimmer werden bezogen und die Sonnenliegen vor die Hütte gestellt. Über zwei Stunden hält das Wetter noch, dann Regen aus dem Gewitter. Eine gewisse Andächtigkeit erfasst uns ob des Wetterglücks, das nicht nur „halbwegs“ war, sondern für unser Gehen am Welt-Raum-Saum wunderbar. Die Gewitter hätten uns auch am Weg „erwischen“ können. Es wäre um einiges schwieriger gewesen. Und gefährlicher.  In jedem Fall sind wir glücklich, da zu sein, hier beim viereckigen Tisch am Kachelofen mit einem feinen Abendessen, das als Nachspeise einen Kaiserschmarrn serviert. Eindrücke werden ausgetauscht, das persönliche Erleben erzählt, die persönlich empfundenen Grenzüberschreitungen benannt. Grundtenor: „Der Weg bisher hat etwas mit mir gemacht, ich weiß nur noch nicht genau, was.“ Wir werden sehen und wir werden in Kontakt bleiben, versprechen wir einander. Eine letzte gute Nacht auf der sehr gastfreundlichen Hütte am Großen Priel.

Absteigen in den Alltag

Das überreiche Frühstück steht ab 6.30 Uhr zur Verfügung. Wir sind da, bereit für den Frühstücksgenuss und den Abstieg. War gestern das Trödeln im Raum, so ist heute die Vorfreude auf „unten“ vorherrschend. Der Abstieg bis zur Polsterlucke nimmt gute zwei Stunden in Anspruch. Wir genießen den Sonnenschein, die herumziehenden Nebel bis hin zum Schiederweiher. Ein Bad in der eiskalten Steyr soll uns wieder zivilisationstauglich machen. Die Hörstation 13 am Übergang zur Zivilisation am Parkplatz mit den vielen Autos und Schildern behauptet ganz lapidar und richtig: „Ich bin aus dem Gebirge herausgegangen und stehe dort, wo es weitergeht.“ Der Linienbus fährt genau dort zum Bahnhof Hinterstoder und der Zug bringt uns je nachdem weiter. Wir erinnern einander, dass wir die Hörstation 14 im eignen Wohnzimmer nicht vergessen. Auf der Website steht zur Route Folgendes: „5 bis 6 Tage im Gebirge | 14 Räume | 1 Steinwüste | 0 Blick auf die Zivilisation | 3000 Höhenmeter | 56 Kilometer | 2065 m höchster Punkt | 3 Jahre Produktionszeit – Wie kann ich Zukunft fühlen?“ Persönlich bin ich überzeugt, dass die Grundfrage der Zukunft sein wird: „Wie geht Reduktion, wie das Weniger, das Wesentliche?“
Wir waren dem sehr nahe.

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Was der Große Welt-Raum-Weg unbedingt braucht?

  • Alpine Trittsicherheit
  • Schwindelfreiheit
  • Ausdauer für bis zu 9 Stunden Gehzeit auf Karstwegen.

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Website zum Großen Welt-Raum-Weg

Die Route ist hier gut beschrieben, braucht allerdings als Gruppe etwa 15 % mehr Zeit als angegeben

Die Audio-Tracks zum Download sind hier zu finden

Weitere kirchliche Projekte im Rahmen der Salzkammergut 2024 sind hier aufgelistet

Ökologisch-soziales-nachhaltiges Reisen mit Weltanschauen