Dem Leben in und mit der Kirche neu Raum geben

„Prüfe, ob das Buch wertvoll sein könnte“, fragt Georg Plank die Leser:innen im Begleitbrief zu seinem gerade neu erschienen Buch „Pastoralinnovation – Mit Kreativität, Inspiration und Kompetenz KIRCHE erneuern“, erschienen im Herder Verlag (2023). Er beschreibt darin gut leserlich seine reichen und vielfältigen Erfahrungen und Suchprozesse, um dem Grundauftrag der Kirche neu Leben einzuhauchen. Er beweist seine breiten Kompetenzen, wenn es um Innovation, wenn es um das Neue in den Kirchen, den Gemeinden und Initiativen geht. Quellen der Inspiration werden erschlossen. Das wird Früchte tragen. Ein fragmentarischer Zugang zum Buch.

„Entscheidend ist nicht der aktuelle Zustand von Christ:innen und Kirchen, sondern die innere Bereitschaft zum Besserwerden.“ Mein oranger Stift hat diese Zeile beim Lesen auf Seite 45 fest unterstrichen. Da vibriert schon die große Frage nach dem Wollen. Wollt ihr überhaupt? – ist eine zentrale Frage bei Lebendigkeit und Innovation. Plank schreibt ein Stück weiter unten von der Erfahrung der Wüste, in die ein nach Lebendigkeit suchendes Leben kommt, kommen muss. Siehe Jesus in der Wüste. Damit verbunden ist der „notwendige Hinauswurf aus der Komfortzone“ und eine tiefgehende Erprobung. Innovation in Kirche und Pastoral erfordert Menschen, „die bereit sind, ihre Komfortzonen zu verlassen, sich prüfen zulassen und Unannehmlichkeiten und Risiken nicht zu scheuen.“ Diese Sätz sind vom Autor nicht einfach hingeschrieben. Georg Plank hat seine fixe und komfortable diözesane Anstellung aufgegeben, um seiner inneren Stimme hin zur Pastoralinnovation und Firmengründung zu folgen. Das Buch schildert darin keinen Sieger oder Helden, sondern einen praktisch handelnden Christen, der in ehrlicher und einfacher Weise den neuen Vernetzungen (beispielsweise „Voneinander lernen“) nachgeht und Begeisterung spüren lässt, die professionellen Tools einer Erneuerungkultur im Rucksack. Er spricht in besonderer Weise Menschen an, die diese Begeisterung schon gelebt haben, vielleicht ermüdet oder enttäuscht wurden, und fragt sie: Was war ihre erste Liebe, die sie dazu motiviert hat, sich selbst, die eigenen Talente, Zeit und Ressourcen für das Reich Gottes einzubringen?

Nicht Äpfel sondern Bäume

„Das Ziel eines Apfelbaumes ist nicht Äpfel, sondern neue Apfelbäume.“ Ein Satz, der einen klaren Unterschied macht. Ein ungewöhnlicher Gedanke. Es geht nicht um „more of the same“. Es geht um die Frucht der Nachkommenschaft. Der Satz angewandt auf die gemeindliche Praxis bedeutet, das es nicht einfach um mehr neue Christ:innen geht, sondern um neue Gruppen. Es geht bei Innovation nicht einfach um mehr Leute, sondern um neue Leiter:innen. Es geht nicht um Megachurches, die Plank bei seinen verschiedenen Amerikaaufenthalten selbst erlebt hat, sondern um Geburtshelfer:innen für neue Gemeinden und Initiativen zur Ausbreitung desssen, was Reich Gottes genannt wird. Und hier lässt der erfahrene Theologe, Medienmensch und Personalentwickler keinen Zweifel, dass es keine „klerikalen Engführungen“ geben darf. Es lässt sich  nämlich nachweisen, dass die Pluralisierung des kirchlichen Personals seit den 50er-Jahren zu einer Ausweitung kirchlicher Handlungsfelder geführt hat. Neue Berufsbilder erweiterten bisher das „Anreizpanorama“ für kirchliche Präsenz in der Gesellschaft.

Erinnern und vereinfachen

Ganz fein reflektiert Plank die „Kraft des vergegenwärtigenden Erinnerns“. Dabei denkt er an das Obergemach, wo Jesus mit seinen Leuten das Abendmahl gefeiert und später die Jünger:innen gemeinsam die Zeit bis Pfingsten verbracht haben. Dort wurde Neues „ausgebrütet und ermöglicht“. Er plädiert für „Tagträumer-Netzwerke in Obergemächern“, wo Erfahrungen, Scheitern, Gelungenes gemixt wird, damit die Botschaft die Herzen neu entflammen kann. Zu viel riecht es nach „kalter feuchter Asche“. In diesen Momenten erinnert er an Jesus, der Feuer auf die Erde werfen will und wünscht, dass es schon entfacht wäre. Nicht umsonst spricht der Volksmund vom „Feuer der Begeisterung“.  Das alles fällt heute in die VUCA-Welt (volatil, uncertain, complex, ambiguous – flüchtig, unsicher, komplex, mehrdeutig), die er allerdings neu deutet: Vision, understanding, clarity, agility – Vision, Verständnis, Klarheit, Agilität. Plank plädiert auch für soetwas wie konstruktive Vereinfachung, ohne die pastorale Anstrengungen im Sand verlaufen könnten.

Ganz wenige am Anfang

Der Innovationsforscher im kirchenaffinen Raum lässt mich als Leser nicht alleine, wenn es darum geht, eine Vorstellung von Schritten oder Phasen einer Erneuerung zu verstehen. Mit einer Grafik von Everett Rogers („Rogers‘ Bell“) zeigt er mir, dass in einer normalen Bevölkerung etwa 2,5% „Innovatoren“ sind, 13,5% „Frühe Anwender“ und 34% eine „Frühe Mehrheit“ bilden. Das ist in etwa die Hälfte. Dann kommt mit 34% die „Späte Mehrheit“, um schließlich auch noch die „Nachzügler“ (16%) in einem sozialen System in das Neue hinein mitzunehmen. Sie reagieren misstrauisch, sind kaum vernetzt und schwer an der Vergangenheit orientiert. Im Gegensatz dazu sind die Innovator:innen (2,5%)  mit hoher Risikobereitschaft und Unsicherheitstoleranz ausgestattet, dazu vielseitig vernetzt und sie verfügen über die Fähigkeit, Neues in soziale Lebewesen „einzuschleusen“. Sie haben soetwas wie einen „Innovationsblick“: Wo oder wie könnten wir etwas verbessern? Weil Innovator:innen rar gesät sind, „muss jegliche Organisation die Augen und Ohren ihnen gegenüber offenhalten, innerhalb und außerhalb des Systems“.

Ein ungeschminkter Blick

Genau da sieht Plank ein paar wirkliche Defizite. Er benennt sich mit „Silodenken, Gruppenegoismen und Neidkultur“, die professionelles Arbeiten belasten. Missgunst, Neid, Eifersucht, Habgier und Intrigen gedeihen in der Kirche wie anderswo. Im 9. Kapitel „Voneinander lernen“ legt Plank eine Tatsache ungeschminkt auf den Tisch: „Nicht Offenheit und Kooperation führen zum Erfolg, sondern Stärke, Marktdominanz, harte Konkurrenz und strikte Geheimhaltung.“ Das glauben viele in wirtschaftlichen Zusammenhängen zu sehen. „Weit gefehlt“, wird konstatiert. Und Plank zitiert den langjährigen Senior Direktor von McKinsey Deutschland mit seinen drei Beobachtungen aus der Arbeit mit verschiedenen Diözesen in Europa: „In kirchlichen Organisationen herrsche erstens eine stärkere Misstrauenskultur als in Wirtschaftsunternehmen. Zweitens leisten sich kirchliche Organisationen schlechtere Führungskräfte. Und drittens gäben sich kirchliche Organisationen schneller mit dem Mittelmaß zufrieden.“ (s 185) Das ungeschminkte Hinschauen beinhaltet schon die ersten Heilungsschritte, wenn man will. Klar sehen mobilisert die Heilungskräfte, wenn es gewollt wird. Und da ist es wieder, das Wollen. Es gibt viel Arbeit, wenn die Bereitschaft zur Kooperation, zum CoWorking wachsen soll. Mit Enthusiasmus schildert Plank gelungene Beispiele, wie große Dinge nur durch Kooperation entstehen und wachsen konnten. Gerade auch die „Fremdprophetien“ (also von systemfremden Personen) bereichern die eigene Entwicklung. Den synodalen Prozess der Weltkirche sieht Plank im Grund als ein großes „Voneinander lernen“.

Der Körper spricht

Mit besonderer Neugierde erreiche ich das 11. Kapitel zur „Organisationalen Körpersprache“. Wenn du gehst, dann ist das Gehen die Predigt. Ein Lieblingsatz von mir, dem passionierten Weitgeher und Pilger. Hier wird die „Körpersprache“ eines sozialen Lebewesens wie einer Pfarrgemeinde analysiert.“ Was möchtet ihr, dass die Menschen, die unser Tun, unser Miteinander, unsere Feier, unsere Organisation gerade erlebt haben, daheim in der Familie oder am Arbeitsplatz von uns erzählen?“ Eine mächtige Frage, die eine ganze Pfarrgemeinderatsklausur oder auch KA-Österreichkonferenz füllen kann. Eine Marke, eine Identität ist das, was Menschen über dich oder uns sagen, wenn wir nicht im Raum sind. Das liegt nahe an der Mundpropaganda, die so und so sein kann. Plank analysiert gekonnt Diskrepanzen, spricht von Makro- und Mikroexpressionen, legt die dahinterliegenden Haltungen offen und spricht von einem Kulturwandel, einem Wechsel vom „Behauptungsmodus in den Erlebnismodus“.  Das muss gewollt sein. Also wieder: Es braucht den Willen dazu. Es geht um Kompetenzen in diese Richtung, um einen Befreiungsschlag aus der klerikalen Selbstfesselung und um „purpose“, Zeichen und Werkzeug der Liebe Gottes tat-sächlich zu sein, verbunden mit allen Menschen. Das „Prinzip der Selbstführung“ zeugt genauso von einer neuen Kultur wie das „gemeinsame Bemühen um Ganzheitlichkeit“ und das „Bauen auf einen gemeinamen Sinn“. Plank legt in jedem der elf Kapitel einen „prophetisch-kritischen Zugang“ vor, um dann in eine „Biblische Perspektive“ einzutauchen, die sich im „Biografisch-persönlichen Zugang“ widerspiegelt.

Das Feuer für die Würde

Bleibt am Schluß die große Frage, die sich im Lesen des Buches wirklich großflächig beantwortet hat: Wie kann durch die jeweilige Gestalt von Kirche am besten die Frohe Botschaft verkündet und dem Reich Gottes der Weg bereitet werden? Dazu meine Lieblingsfrage: Wie kommt mehr Liebe, Empathie, Compassion in die Welt? Kirche wird nicht propagiert oder gepredigt, sondern erlebt und erfahren. Das Buch ist in ein hellwachen Tonalität gschrieben, die Beispiele zeugen von geerdeter Lebendigkeit. Und dann rückt der Pastoralinnovator mit spürbarer Leidenschaft das „Premium-Kollektiv“ aus Hamburg und dessen Gründer Uwe Lübbermann in den Mittelpunkt, gleichsam als Schlußpunkt. Dort ist verwirklicht, was wir mit der zutiefst jesuanisch-christlichen Überzeugung verbinden: „Jeder Mensch ist gleich an Würde. Niemand darf diskriminiert oder ausgebeutet werden. Jede:r  hat Rechte und Pflichten und es gibt keinen Grund, dass sich irgendjemand als wichtiger, besser oder herausragender empfindet als andere.“ (s 250) Mein abschließender Blick geht über die Literaturliste, die Plank’s vielfältige, teils überraschende und originellen Zugänge untermauert. Auch wenn Bischof Hermann Glettler im Geleitwort von einem „Lern- und Lehrbuch“ spricht, habe ich mich beim Lesen immer als Mitlernender erlebt. Vielleicht liegt in der Art des gemeinsamen Lernens das neue Lehren. Möglich wär’s. Und wie war jetzt nocheinmal die Frage im Begleitbrief? Siehe oben. Ich meine: „Das Buch ist wert-voll und empfehlens-wert!“ Für jede und jeden.