Den Karfreitag trotzdem ausgehen

Wie heuer 2022 auf Ostern, die Auferstehung, die Auferweckung, das Aufstehen zugehen? In einer Aussendung der KAÖ haben wir vorige Woche so begonnen: „Die heilige Woche steht vor der Tür. Jubel, Gemeinschaft, Verrat, Leiden, Gewalt, Tod und Grabesruhe. Ostern 2022 will nicht recht aufstehen. Bei vielen Menschen bleibt heuer der Karfreitag im Vordergrund und lässt die christliche Botschaft von der Auferstehung blass aussehen. Das sollten wir ungeschminkt wahrnehmen und uns nicht einfach darüber hinwegturnen.“ Es wird ein #trotdem-Ostern werden (müssen).

„Gerade die gewisse Sprachlosigkeit und Ohnmacht in diesen prekären und gewaltvollen Ereignissen wie beispielsweise dem Ukrainekrieg drücken schwer auf die Seelen. Die Liturgie kennt die Stille, das Schweigen, das einfache Da-Sein. Dorthin sollte heuer der Fokus der vielen „Feierlichkeiten“ gehen: Nachdenklichkeit und Ohnmacht ernst genommen können Ausgangspunkt für ein neues Aufstehen, ein Auferstehen, ein Auferwecken sein. Gott+ möge gerade in diesen liturgisch intensiven Zeiten unsere Wege mitgehen.“ So haben wir als Präsident:innenteam es formuliert und spürten dabei selber, dass selbst diese Worte ein tiefes Ohnmachtsgefühl auslösen. Wären da nicht jene Zeichen, die wir auch sehen: „Die Natur hat Anfang April erahnen lassen, was Hoffnung sein kann: Kleine Blüten, die trotz Trockenheit blühen, zartes Grün, dass zuerst durch eine Schneedecke verzögert, unbeirrt ins Leben drängt. Konkrete Hoffnung auch durch Menschen, die kreative Wege gehen, um Flüchtende nicht nur willkommen zu heißen, sondern genauso für Unterkünfte und Sicherheit sorgen. Kinder, die kleine Friedenstauben basteln und an Nachbarn verteilen. So wächst Ostern diesmal mehr von unten, entsteht aus unzähligen kleinen und großen Taten, wird ein „Osternetz“ mit leuchtenden Eiern, die zu suchen und finden es sich lohnt, sichtbar. Der Stein vor dem Grab mag heuer schwerer sein, doch die Zusage Gottes bleibt wider alle Hoffnungslosigkeit: Ich löse die Fesseln des Todes und hole dich heraus aus der Tiefe (Ps 116). 2022 wird mehr ein #trotzdem-Ostern sein, wenn wir ehrlich und mitfühlend bleiben wollen in diesen ungerechten und menschenverachtenden Tatorten von Gewalt, Hass und Ausbeutungen von Menschen und Mitwelt.“

Kinder und Kinder

Berührend, wie uns Kinder der benachbaren Volksschule einen Zettel in den Postkasten geworfen haben mit dem handgeschriebenen Text: „Der Krieg in der Ukraine ist sehr schlimm. Es wird viel herumgeschossen. Kinder (gelb angestrichen) flüchten mit oder ohne ihre Eltern (gelb angestrichen). Bitte spendet für die Kinder.“ Diese Volksschulkinder basteln und kreiiren Sachen, die sie bei jeder Gelegenheit zum Verkauf anbieten. Mit diesem Geld helfen sie. Im Bergdorf sind mittlerweile 17 gehörlose Unkrainer:innen in einem ehemaligen Gasthaus untergebracht. Der Krieg schickt nicht nur gesunde Menschen in die Flucht, sondern genauso leert er Heime und Hotspots mit Menschen, die auch dort „hinausfallen aus dem normalen Alltag“.

Angst und Überreichtum

Markus Marterbauer weist heute auf Twitter auf den A@W-Blogbeitrag hin, der die offensichtlich schleichenden Veränderungen auch in Österreich klasklar benennt: „Starke Einkommensverluste bei Arbeitslosen, Hilfsarbeiter:innen, Alleinerziehenden; schwere Belastung durch Wohnkosten; materielle Deprivation. Folge von Covid u Inflation.“ Und weiter: „Besorgniserregende Zunahme von Ängsten, sozialer Ausgrenzung u Armut ist politisch gemeinsam mit enormem Reichtum zu denken. Armutsfester Sozialstaat mit verlässlichen Untergrenzen braucht Begrenzung von Überreichtum: Stopp den Steuersümpfen, Vermögensregister, gerechte Steuern.“ Ein unglaublicher Überreichtum steht eine Angst vor tiefen Karfreitagen gegenüber.  Als KAÖ beziehen wir hier ganz klar Stellung und werden das mit dem Dossier „Arbeit und soziale Fairness“ rund um Pfingsten weiter untermauern.

Die Bombe schlug die Seele leer

Matthias Scharer fügt auf FB einen Kommentar zur letztwöchigen KAÖ-Presseaussendung an, den ich hier dazustellen möchte: „Eindrucksvoll!!! Die evangelische Tradition, mit ihrem Einsatz für den Karfreitag (auch als Feiertag), macht uns immer schon darauf aufmerksam, dass zu Ostern bleibend auch der verzweifelten Todesschrei Jesu aus Psalm 21 gehört: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“.“ Matthias schenkt uns in diesem Kommentar ein Gedicht von der deutschen Jüdin Ruth C. Cohn, das sie nach ihrer Emigration in die USA (vor der Naziverfolgung) geschrieben hatte und das an die gegenwärtige Karfreitagserfahrung anschließt.

Krieg

„Ihr Flieger, die Ihr Bomben saet,
Tragt auf zum Himmel mein Gebet
Und nehmt auf grossen Fluegeln mit,
Was ich in diesen Stunden litt.
Es ist nicht viel. Nur Fetzen sind.
In Fetzen riss man mir mein Kleid.
Verzeih mir, Gott, mein Mund geht schwer.
Die Bombe schlug die Seele leer.
Ihr Flieger, wenn Ihr aufwaerts zieht.
Sagt Ihm, ich sei so furchtbar müd,
Und bringt, wenn Ihr von Neuem kreist,
Die Bombe mit, die mich zerreisst.“

Cohn [1949] 1952_… inmitten aller Sterne …
Peter Thomas Fischer, New York, S. 6
(Berlin und Zürich: 1933 – 1940)

Es wird nicht anders gehen, als dass wir den Karfreitag in allen Dimensionen und Resonanzen „ausgehen“. Erst dann wird es möglich sein, die Osterbotschaft von der Dynamik des Aufstehens des Lebens zu hören.