Der Fall der Mauer. Ein Kommentar vom em. Betriebspfarrer Hans Gruber

Welch eine Woche für die Katholische Kirche im deutschsprachigen Rau. Eine Schreckensnachricht jagt die andere. Die KommentatorInnen ringen um Ausdrücke, die die Lage der Kirche beschreiben: Erdbeben, Tsunami, usw

Vatikanischer Granit

Neben Schreck und Eckel bewegen mich alten Pfarrer noch einige andere Gedanken. Aus der katholischen Jugendbewegung schöpfte ich den Mut als Schmiedegeselle Priester zu werden. Das Konzil der 60er Jahre bestätigte meine Hoffnungen, dass die Kirche keine alte unbewegliche Dame sei. So war ich mein ganzes Berufsleben bemüht, diese meine Kirche etwas nach vorne zu bewegen. 1966 war ich Gründungsmitglied der „Priestergewerkschaft SOG“. Neben liturgischer und disziplinärer Modernisierung agitierten wir an der Lockerung des Pflichtzölibats für Weltpriester. Wir kämpften um menschliche Behandlung heiratswilliger Kollegen. An der Regierungszeit des Papstes Johannes Pauls des II. wurde sichtbar, dass wir mit unseren Zielen auf vatikanischen Granit bissen.

Nur zwei Beschlüsse aus dem Dialog umgesetzt

1995 kam wieder Bewegung in die Sache. In Österreichs Kirche brach der erste Missbrauchsfall ganz oben aus: der „Fall“ Groer. Am daraus entstandenen „Kirchenvolksbegehren“ war ich aktiv beteiligt. 500.000 Unterschriften, dachte wir Akteure, könnte die Kirche nicht übersehen. Wir hatten uns getäuscht. Wenn nicht Bischof Weber gewesen wäre, hätte die Bischofskonferenz die Sache einfach ohne Reaktion ausgesessen. Weber rief 1998 den Dialog für Österreich zusammen. Von den 60 einstimmigen Beschlüssen der 300 Delegierten wurden zwei umgesetzt – durch Bischof Aichern. Alle anderen Reformvorschläge wurden in Schweigen und Untätigkeit erstickt. Oft wurde uns „Modernisierern“ gesagt: „Ihr liegt ja nicht so falsch, aber das kann nur gesamtkirchlich geregelt werden.“ Dieser Verweis hieß in der Regel: Lasst alle Hoffnung auf Veränderung fahren. Ein Wort von Bischof Erwin Kräutler kam uns jedes Mal in Erinnerung: „Brasilien hat riesige Probleme. Für Brasilien gibt es jedoch Hoffnung. Für den Vatikan aber nicht.“

20 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer

Das „Wunder“ des Mauerfalls nährte bei mir die Hoffnung, dass auch der Fels Petri irgendwann erschüttert werden könnte. In der Soziologie habe ich gelernt, dass eine etablierte Institution solange unverändert agieren kann, als ihre Mittel zur Regulierung und Disziplinierung wirksam sind. Ich hege die Hoffnung, dass die Kirche vor einem Mauerfall steht. Die DDR scheiterte an der Ökonomie und an der Ideologie. Es gibt gegenwärtig für beides Parallelen zur römisch-katholischen Kirche. Erstens gibt es gewaltige finanzielle Ausfälle für den Vatikan. Viele ehemals reiche nordamerikanische Diözesen, die für den Vatikan spendeten, sind pleite. Ähnlichres läuft in der Bundesrepublik Deutschland. Tiefgreifender ist die „ideologische Krise“. Jährliche Umfragen liefern stetig zu Tage, dass die Gläubigen um Welten von dem Abweichen, was der Vatikan als Lebenslinie vorgibt. Als Beispiel sehe ich die Differenz der offiziellen Sexualmoral zu dem, was heute gelebt wird – auch von KatholikInnen- schlicht desaströs. Erdbebenartig wurde nun in diesen Wochen bewusst, was ohnehin schon allgemein bekannt war, dass sie selbst nicht halten, was sie predigen. Die Auswirkungen sind katastrophal. Erneut wird sich ein Teil des Kirchenvolkes von der Amtskirche abwenden. In erster Linie nicht deshalb, weil die Priester „Sünder“ sind, sondern deshalb, weil sie das System verlogen finden. Dem als Dechant gewählte Pfarrer von Freistadt wird vom Bischof die Bestätigung verweigert, weil er mit einer Partnerin lebt. Andererseits wurden Kinderschänder weiter im Dienst behalten. Unglaublich.

Der Skandal hat den Papst persönlich erreicht

Noch bemühen sich die „Oberen“ um Schadensbegrenzung. Ich hoffe es gelingt ihnen nicht. Den Medien sei Dank,dass jetzt die ganze Welt weiß, was früher mit und hinter dicken Mauern verheimlicht werden konnte. Meine Hoffnung auf Veränderung stützt sich nicht zuletzt darauf, dass der Skandal nun auch den Papst selber erreicht hat.
Erstens hat er als Erzbischof in München einen Priester der wegen Kindesmissbrauch eine Norddeutsche Diözese verlassen musste in München wieder in Dienst genommen. Er wurde erneut straffällig. Nun bemüht man sich, den Papst rein zu waschen, indem man die Wiederbeschäftigung dem Münchner Generalvikar in die Schuhe schiebt. Als alter Gefangenenpfarrer hör ich da die Nachtigall singen: „Ich habe öfter als einmal den Prokuristen anstatt des Chefs im Häfen sitzen sehen!“ Zweitens hat Papst Benedikt als Chef der Glaubenskongregation an die 3000 Bischöfe der Welt erst 2001 einen Brief geschrieben, indem er befahl, mit Missbrauchfällen höchst diskret und geheim umzugehen. Er setzte damals noch den Tupfen drauf, in dem er auftrug, das Schreiben selbst unter Strafandrohung geheim zu halten.

Auf einem kochenden Topf ist nicht gut sitzen

Nun gibt sich der Papst „erschüttert“. Das glaub ich ihm. Auf einem kochenden Topf ist nicht gut sitzen. Gott gebe, dass es nicht nur den Papst erschüttert, sondern das ganze System. Allerdings berichtet der Vatikanexperte Andreas Englisch schon wieder von einem geistigen Schlupfloch für die päpstliche Verantwortung. Der Papst reagiere mit Verständnis auf Kirchenaustritte, weil er die Theorie der „Kleinen Herde“ vertrete. Er sagt: „Es ist besser eine kleine Herde zu haben“. Das macht mich als langjährigen Betriebspfarrer wütend. Jesus zielte doch nicht auf einen kleinen, elitären, konservativen Haufen. Er hat uns in die ganze Welt hinausgeschickt.

Frauenfrage als Angelpunkt für Männerkirche

Als junger Kaplan hatte ich über meinem Schreibtisch zwei Fotos hängen: ein Gruppenbild von 20 Kardinälen und ein Gruppenfoto des Obersten Sowjet. Der Vergleich war erstaunlich. Erstens glichen sich erstaunlich ihre ernsten, humorlosen Gesichter und zweitens gab es keine Frau unter ihnen. Mir war damals schon klar: autoritäre Systeme werden immer nur von alten Männern geleitet. Deshalb glaube ich, dass die Frauenfrage der Angelpunkt der Kirchenreform ist.

Hans Gruber ist nach wie vor ehrenamtlich in verschiedensten Seelsorgefeldern tätig und begleitet als Priester viele Frauen und Männer in der Arbeitswelt. Erreichbar ist er über das Urbi@Orbi ( urbi.orbi@dioezese-linz.at ), wo er auch ehrenamtlich tätig ist.