Spiriwalk to Change

„Verändert weitergehen“ steht als großes Motto über den Startveranstaltungen der Ökumenischen Sommer.Bildung 2024 der Pädagogischen Hochschule Augustinum in Graz. Mit einer 14-köpfigen Gruppe bin ich im Raum Neuberg an der Mürz zwei Tage lang zu Fuss auf #Spiriwalk.

„Der Ort, wo du gehst oder stehst, ist heiliger Boden. Genau dort, wo ich bin, kann mich Gott entdecken und wir können lernen, seine Spuren zu lesen. Das Kloster ist die Welt, sagen die Franziskaner:innen. Weltanschauen geht eigentlich nur zu Fuß, alles andere ist zu schnell oder zu laut. Wir lassen uns auf diesem Weg finden, berühren, inspirieren.“ So ähnlich haben die Teilnehmenden in der Ausschreibung gelesen. Dass wir schließlich mehr als 1.100 Höhenmeter „rauf und runter“ unter die Fußsohlen genommen haben, war eine mentale Zugabe gleich von Beginn an. Im Hof des Münsters vor der beeindruckenden Fassade der gotischen Kirche haben wir uns im Kreis aufeinander eingeschwungen, das „innere Gummiringerl“ als Methode des Zusammenhaltes beim Gehen in der Gruppe auf dem Weg vor uns „aktiviert“ und die Zeit des Miteinander-Gehens in den Blick genommmen. 447, 441 und 444 sind die Wegnummern, die uns begleiten hinauf zur Michelbauerhütte auf der Schneealm und durch den Karlgraben wieder „runter“, quasi als Rundweg mit offen vor uns liegenden Steilheiten. Dass der Windberg (1.903 m) so heißt, hat die eine Hälfte der Gruppe im Abendrot und die andere Hälfte im Morgenrot gefühlt, beeindruckende Bilder für die Augen und alles, was sich hinter dem Auge nur erfreuen kann.  Das Smartphone hat allerdings bei den meisten das Erstlingsrecht der Betrachtung und des Festhaltens bekommen.

Identität als Ware, als Produkt

Das Digitale und das Haptische im Verhältnis zueinander war Grundthema. Geholfen hat uns dabei Byung-Chul Han mit seinem Büchlein Infokratie- Digitalisierung und die Krise der Demokratie. Auf Seite 16 steht der Satz, der religionsaffine Menschen nachdenklich stimmt: „So nehmen die Follower an einer digitalen Eucharistie teil. Soziale Medien gleichen der Kirche.: Like ist Amen. Sharen ist Kommunion. Konsum die Erlösung.“ Wir konsumieren uns zu Tode, während wir uns zu Tode verwirklichen. Konsum und Identität fallen in eins. „Die Identität wird selbst zur Ware.“ Wir erkennen, dass (fast) alles zum Produkt gemacht wird. Gut erkennbar am Spendenmarketing beispielsweise. Da genügt die Haltung „Solidarität“ nicht, sondern es muss eine Ziege sein, oder 20 Laufmeter Wasserrohre. Der Mensch tut sich leichter, wenn er ein „Helfen-Produkt“ kauft. Nachdenklichkeit geht am Spiriwalk mit, der durch die Steigung viel Atmen braucht. Dem Informationsregime (im Gegensatz zum früheren Disziplinarregime) gelingt es, die dauernde Überwachung als „gefühlte Freiheit“ wahrzunehmen. Frei sein heißt im Informationsregime nicht handeln, sondern klicken, liken und posten. Die Finger sind im emphatischen Sinne nicht mehr zum Handeln fähig. Sie sind bloß mehr ein Organ konsumistischer Wahl. Konsum und Revolution schließen einander aus. Jetzt „verstehen“ wir etwas besser, dass in der konsumorientierten Welt Veränderungen sehr schwer möglich sind, um im Weniger das Wesentliche zu sehen und zu erkennen. Was hat eine Frau vor Jahren in Rumänien angesichts der 300-jährigen evangelischen Wehrkirchen und ihre Niedergänge gesagt? „Was der Kommunismus nicht geschafft hat, ist dem Konsumismus gelungen.“ Die Pfarrgemeinden lösen sich auf. Das Handeln und der Zusammenhalt werden fragmentiert. Da rede ich keinem Kulturpessimismus das Wort, sondern dem „ungeschminkten Hinschauen“, eine wesentliche spirituelle Fähigkeit. Dazu braucht es Stille, Staunen und einfache vagabundierende Freiheit außerhalb des kapitalisitischen Marktprinzipes. Lisz Hirn, Philosophin, hat beim Brucknerfest 2024 auch das Innehalten und Weniger angesprochen. Ich meine: Runter vom Höllentempo.

Weite, Tiefe und Richtung

Unser Spiriwalk ist vor allem ein spirituelles Eintauchen in die wirkliche Wirklichkeit. Höhenmeter sind Höhenmeter, ganz haptisch den Füßen und der mentalen Kraft zugeordnet, zugemutet. Der ganze Körper ist in Bewegung und verlangt Fokus auf die Schritte, den Weg. Der Atem wird zur intensiven Mitweltwahrnehmung. Atmen. Atmen. Amen. Ja, so geht das. Es geht. Es muss gehen. The point of no return liegt weit hinten. Diese körperliche Herausforderung zeigt, dass Spiritualität als Weite, Tiefe und Richtung keine fade Angelegenheit ist. Jede Schweißperle kann erzählen, woher sie kommt und wozu sie gerade gut ist, auf den Boden tropft. Wer sein oder ihr Christsein lebt, ist nicht in der Bequemlichkeit beheimatet, sondern unterwegs mit einer Schweißperle auf der Stirn und immer ein wenig in Schwierigkeiten. Wir erleben in besonderer Weise, dass der Auf- und Abstieg unsere Wahrnehmung, unseren Hunger, den Durst schon verändert hat. Das Abendessen und Frühstück auf der Hütte schmeckt einfach anders, verändert, weil wir durch die intensive Bewegung in besonderer Weise „geöffnet“ wurden. Das über 200 Höhenmeter ergangene Abend- oder Morgenrot  schmeckte umso mehr. Das conviviale Leben nimmt Kraft auf gegenüber dem technogenen. Dort und da erklingt das Laudate omnes gentes, ein bischen mehrstimmig. Im gotischen Raum der Kirche des Münsters Neuberg an der Mürz geben wir dem Staunen und der Dankbarkeit Platz. Es ist gut gegangen. Wir wissen: Es geht verändert weiter, hinein in das neue Schuljahr.