Die Seele geht

sg„Wer weit geht oder sich auf eine Pilgerwanderung begibt, fordert nicht nur seinen Körper. Das Gehen hat auch eine mentale und spirituelle Dimension.“ Das ist meine Erfahrung, die ich in der aktuellen Ausgabe der Stadt Gottes beschreibe. Diese wirklich gut gemachte Zeitschrift geht an etwa 70.000 Leserinnen und Leser. Sie wird von den Steyler Missionaren herausgegeben. Ein engagiertes Redaktionsteam hat immer einen coolen Themenfokus. In dieser Ausgabe: Gehen und Pilgern. Also ganz Meines.

Das ist keine Leistung, das ist ein Geschenk

Wenn ich mein Weitgehen 2004 von Bregenz nach Rust über 28 Tage, 2009 von Kirchschlag bei Linz nach Assisi über 52 Tage und 2012 von Kirchschlag aus nach Norden in das Kloster Volkenroda in Thüringen über 24 Tage Revue passieren lasse und in einem Satz zusammenfassen müsste, dann würde ich sagen: Das Leben kommt mir entgegen. Als ich 2009 in Assisi angekommen bin, habe ich viele SMS an Freunde und Bekannte verschickt: „In Assisi angekommen. Ich bin da.“ Drei haben zurückgeschrieben: „Gratuliere zu deiner Leistung.“ Diesen drei Personen habe ich sofort geantwortet: „Das ist keine Leistung, das ist ein Geschenk.“ Die tiefe Haltung der Dankbarkeit ist eine Folge des Weitgehens.

Drei Dimensionen

Gehen und Pilgern hat aus meiner Erfahrung drei Dimensionen: körperlich, mental und spirituell. Das Gehen ist die Bestimmung des Körpers. Rucksack und mich selber habe ich nie gewogen. Ich zähle auch keine Kilometer oder Höhenmeter. Ich habe aber jedes Mal gespürt, dass der Körper im Gehen in seinen Rhythmus und in die Kraft hineinwächst. „Wie lange hast du hintrainiert?“, war eine häufige Frage. Meine Erfahrung: Wer nicht ganz bewegungsunfähig ist, wird die körperlichen Herausforderungen bestehen. Das Essen wird weniger, Müdigkeit wandelt sich nach etwa zehn Tagen in Lust an der Bewegung, kleinere körperliche Gebrechen werden „verschmerzt“. Früher oder später kommt die Phase, wo der Körper mit dir geht. Von dort kommt der Ausspruch: Pilgern ist Beten mit den Füßen. Die Füße waren sehr brave Beterinnen. Ich habe abgenommen.

Das Ziel imaginieren

„Wie hält man so weit gehen aus?“, fragten auch viele. Die Jerusalempilger sind ein halbes Jahr gegangen. Ich ja nur „relativ kurz“. Mental hat mir sehr geholfen, dass ich mir das Ziel immer wieder vor Augen geführt habe. In Bregenz habe ich die Zehe in den See gehalten und mir immer wieder vorgestellt, dass ich dieselbe Zehe in den Neusiedlersee halte. Auf der Stolzalpe habe ich mich so hingesetzt, dass ich nach Assisi „geschaut“ habe. Wer ein Haus gebaut hat, weiß den Unterschied, ob ich den Schotterhaufen als solchen sehe oder mir bei der Arbeit vorstelle, wie ich mit der Familie beim Essen sitze. Der Haufen wird gleich leichter. So ist es mit den vielen Schritten, die auf ein Ziel hin leichter gehen. Viel mentale Stärke schöpfe ich immer aus der unmittelbaren Begegnung mit den Menschen am Weg. Ich empfinde es als nährend, von den Lebensumständen der Menschen am Weg zu erfahren, „sich nähren zu lassen“. Zehrende Situationen und Begegnungen meide ich. Aber: So wie du denkst, bist du. So wie du bist, strahlst du aus. Und was du ausstrahlst, bekommst du zurück. In meinem Tagebuch nach Assisi ist vorne ein kleiner Zettel eingeklebt gewesen, der mir sehr wichtig war. Darauf stand: „Folgende Tageskoordinaten nehme ich mit: Jeden Tag gehe ich ca. sieben Stunden. Jesus lehrt uns beten – Vater unser. Einen Brief pro Tag schreiben. Kein Alkohol bis Assisi. Das Johannesevangelium ist mein Begleiter. Das Tagebuch führen.“ Es geht im Endeffekt darum, leer werden zu können, offen für Menschen und für Gott. Wer angefüllt in die Fremde geht, wird keine Fremde entdecken. Und Gottes hervorragendster Ort, unter die Menschen zu gehen, ist „in der Fremde und als Fremder“. Deshalb sind Gastfreundschaft und Offenheit das spirituelle Fundament. Es braucht nicht viel, sondern Wesentliches. Das Vaterunser an den verschiedenen Orten zu beten, hat mich spirituell unglaublich bereichert. So ging es mir auch mit den anderen Koordinaten. Briefe haben mir konkrete Menschen nahe gebracht. Keinen Alkohol zu trinken, hat mich klar in die Wahrnehmung geführt.

Drei Wochen sieben Stunden

Meine über 80-jährige Mutter hat zu mir 2004 sorgenvoll gemeint: „Du wirst dich noch umbringen mit deinem Gehen.“ Als ich sie nach 30 Tagen in die Arme schloss, hat sie mich angesehen und gemeint: „Du schaust ja jünger aus.“ Weitgehen nährt, ist heilsam. So rate ich Menschen oft, zumindest drei Wochen lang sieben Stunden am Tag in einem Stück zu gehen. Eine Kur dauert auch drei Wochen und früher hat man drei Wochen Urlaub gemacht. Das war aus meiner Erfahrung sehr klug. In diesen drei Wochen wirst du ein neuer Mensch, körperlich, mental und spirituell. Meine Erfahrung: Die Seele geht.

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