Ein Friedhof ohne Einzelgräber in St. Gerold in Vorarlberg

Der Tag Allerseelen ist mir eigentlich lieber als Allerheiligen. Er ist frei von „Feierlichkeit“.  Die Seligpreisungen sind natürlich in Anbetracht der Heiligen, die in der Spur Jesu gelebt haben, eine der wesentlichsten Impulse für unsere Gesellschaft, wo alles auf Sieger, auf Goldmedaillen, auf Gewinn und Mehr ausgerichtet ist. Da gibt und gab es Menschen, die diese alternative und anders wertschätzende und wahrnehmende Spur Jesu voll aufgenommen haben. Die Heiligsprechungen sind mir dann aber doch wieder etwas aus der Spur gekommen, wenn sie wie in den letzten Jahren inflationär geworden sind. Allerseelen nimmt genau diesen „Stress“ heraus. Da wird unterschiedslos aller Menschen gedacht. Da ist selbst das Heiligen- und Seligen-Ranking ausgeschaltet. Der himmlische Hierarchie-Druck ist heraus. Es geht um die Vollendung aller Seelen, aller Lebensentwürfe und Lebensgeschichten. Dort in der Vollendung ist nicht Zeit, Raum und Hierarchie, wie wir sie uns vielleicht in der „Verlängerungsachse Welt Himmel“ vorstellen.

St. Gerold in Vorarlberg

Wäre Wien und Oberösterreich nicht so weit von Vorarlberg entfernt, hätte ich mich nochmals auf den Weg gemacht. Es ist etwa 20 Jahre her, dass ich mit meinen damaligen AusbildungskollegInnen im Rahmen unserer Österreichkonferenz in der Propstei St. Gerold im großen Walsertal war. Heute liest man auf der Website „Ort der Begegnung und Sinnfindung“. Pferdetherapie war damals schon etabliert und Künstler waren dort zu Hause. Die Patres von Einsiedeln sind 1947 wieder zurückgekehrt, nachdem sie in der NS-Zeit als unerwünschte Ausländer „abgeschoben“ wurden. 1958 kam Pater Nathanael Wirth nach St. Gerold und ihn haben wir eben vor etwa 20 Jahren getroffen. Er hat die Propstei „geöffnet“ und ins heute geführt.

Der beeindruckende Friedhof

Waldstimmung_11_2013Am meisten ist bei allen Schilderungen bis heute der Friedhof in Erinnerung geblieben. P. Nathanael hat einen radikalen theologischen Gedanken mit und zum Teil gegen die Menschen „durchgezogen“: Im Himmel sind wir alle gleich. Wir wissen, dass das letzte Hemd keine Taschen hat. Es bleibt uns nur jene Liebe, die wir verschenkt haben. Mit der Geburt und der Taufe hat uns Gott „beim Namen gerufen“. Einzig der Name ist das Bleibende. Das hat P. Nathanael auch  am Friedhof „durchgezogen“. Es wurden alle Einzelgräber eingeebnet und jede und jeder bekommt an der Friedhofmauer ein Schild mit den Vornamen und dem Familiennamen. Das ist es. Der Anblick des Friedhofs ist mir bis heute als „starkes Bild“ eingeprägt. Die Friedhofmauer mit den Namensschildern, die schöne grüne Wiese und die Blumen in der Mitte der Wiese ohne individuelle Zuordnung. Das letzte Grab, das damals in den 60-er Jahren eingeebnet wurde, war das einer Priestermutter, weil der Sohn sich lange geweigert hat. Wir in Kirchschlag haben am Friedhof die Vorschrift, dass es nur Metallkreuze und keinen Stein geben darf. Das ist nicht einfach zu erklären, wo mir der Steinmetz vor längerer Zeit lange erklärt hat, „dass man mit Stein besser trauern kann“. St. Gerold ist hier ganz radikal: Es genügt der Name. Ein Namensschild unter allen. Du bist bei deinem Namen gerufen.  Allerseelen. Ein unglaublich starkes Zeichen, worauf es im Himmel und auf der Erde ankommt. Loslassen auf die Vollendung hin.