Epochale Fähigkeiten

Baum am SteinKaum jemand, der Papst Franziskus und seine Einschätzungen nicht kennt:  „Wir leben nicht in einer Ära des Wandels, sondern erleben einen Wandel der Ära.“ Das Wort „Game Changer“ hören wir ebenfalls in diesen Tagen. Das bedeutet, dass sich nicht nur einzelne Spielzüge ändern, sondern das Spiel selbst getauscht wird. Tarock statt Schnapskarten, Badminton statt Fussball, Schwimmen statt Schifahren. Das verlangt epochale Fähigkeiten.

Paul M. Zulehner genießt die neuen Möglichkeiten, via digitaler Medien sein Wissen, seine Zahlen aus den Befragungen und seine Einschätzungen zu teilen. Gestern waren wir auf Zoom mit ihm zusammen. Die Nachwirkungen von Covid war einer der beiden Themenbereiche, die wir erörtert haben. „Was wird die Zeit nach Covid oder im Nachlauf mit Covid brauchen?“, war unser leitendes Interesse. Schon die Einschätzung, dass die Covid-Pandemie im Vergleich zur Klimakrise einen kleine Erscheinung gewesen sein wird, hat den Fragen nach der Zukunft nochmals eines draufgesetzt. Es wird auf unserem Gang in die Zukunft in jedem Fall „epochale Fähigkeiten“ brauchen, um mit den Herausforderungen umgehen zu können.

Fünf Ansätze für eine Wandel

„Die Weltgemeinschaft braucht Brückenbauer.“ Pontifex wird der Papst genannt. Gerade dieser Papst Franziskus ist mit besonderen „pontifikalen Fähigkeiten“ ausgestattet. Es braucht Menschen, die breit, auf vielfältige Art und in einer weiten Diversität „runde Tische“ beleben und moderieren können. In meinem Buch spreche ich öfters von einer „synaptischen Spiritualität“ und dem „elliptischen Denken und Handeln“. Es braucht Brücken untereinander, die unterschiedlichste Sichtweisen auf Augenhöhe zusammenführen. Mauern, Zäune, Befestigungsanlagen und Zement gibt es mehr als genug. Zu kristallin ist das Leben geworden, fluider muss es wieder werden, und verbündeter.
„Es geht um die Kunst des Balancierens.“ Gemeint ist  eine positive „Unsicherheit“, ein Wackeln und manchmal auch ein Stürzen. Das Fragment ist nicht defizitär zu sehen, sondern sucht das Ganze, das Wir. „Vom Ich zum Wir“ ist die Sehnsucht über die immer größer werdenden Gräben unserer Gesellschaft.
„Es kommt eine neue soziale Frage auf uns zu.“ Gewinner und Verlierer rücken weiter auseinander, bisweilen verschwinden sie aus dem jeweiligen Blickfeld. Auf der Oberfläche der Weltkugel wird der „Turbo- und Katastrophen-Kapitalismus“ flächendeckend installiert, vor allem gegen bewährte „Konnektive“ wie Dorfgemeinschaften, Gewerkschaften und soziale NGO’s. Das erste Testament kennt die Verirrungen Richtung „goldenes Kalb“ und dem „Mammon“. Der Kaptialismus mit seinem „monetarisierten Fokus“ (Alles Markt, alles Geld) treibt mit dem Keil der diesbezüglich Erfolgreichen die Menschen ins Misstrauen und auseinander. Solidarische Ökonomie, die dem Prinzip eines sozial-ökologisch-spirituellen Menschen- und Weltbildes folgt, führt leider ein kümmerliches Dasein, wird maximal für „Sehnsuchts-Werbe-Suijets“ propagiert. Ansonsten muss sich alles rechnen, vergrößern, wachsen, ausbreiten. Genau da ist es nicht mehr weit bis zum „überflüssigen Menschen“ (Ilija Trojanow).
„Die Ökologisierung der Ökonomie ist eine Herkulesaufgabe.“ Wir sehen das. Zuerst die Ökologie im Sinne von #LaudatoSi einschlagen und dann weiterkonstruieren. So wäre die Reihenfolge, das „Game Changing“, das neue „Hochfahren“. Nicht das Alte zuerst wieder voll anlaufen lassen und dann „Change“ rufen. Beispiel: Wenn das Auto einmal fährt, ist die Entscheidung gegen das Fahrrad oder die Öffis bereits gefallen.
„Auch Gott verschwand im Lockdown.“ Dieser Bereich interessiert „kirchenaffine Personen“ mehr als andere. Zulehner bestätigt, dass seine Umfragen zeigen, „dass nach der Pandemie 63 % weniger Leute in die Kirche gehen werden“. Die sogenannten „Sofa-Christen“ haben sich „digital eingerichtet“. Bei den Streaming-Gottesdiensten sind die Akteure mehr im Bild, also der Klerus. Deshalb befürchten viele, die digitalen Formen werfen uns in die „klerikale Kirche zurück“. Andererseits sind auf digitaler Ebene ganz neue Verbündungen entstanden. Zulehner sieht eine „grasrootreform“, die mit der etablierten Kirchenstruktur wenig bis gar nichts zu tun hat. Die Menschen tun, „was Sinn der Kirche ist, nämlich sich der Jesusbewegung anschließen, den Gründerideen nachzugehen und Netzwerke der Gastfreundschaft, der Herbergen zu knüpfen“. Gott war im Lockdown da, aber viele haben ihn in den ihnen gewohnten Erscheinungsformen nicht mehr gesehen. Er, sie wurde ihnen fremd. Eine Chance für eine neue „Gottsuche“ tut sich auf. Wir stehen am Tor in die Zukunft. In jeder Hinsicht.
Bedenke Mensch: Der Baum wächst auch am Stein.