Was gedenkt ihr zu tun

Friedensbanner Eigentlich eine Schande, denke ich über mich selber. Noch nie war ich in der Gedenkstätte im KZ Ebensee-Roith. Mit Bischof Maximilian Aichern bin ich schon in aller Frühe unterwegs. Don Mauro war der umtriebige, begnatete Pfarrer von Santa Lucia in Prato. Er ist an Covid verstorben. Zur Stunde, wo er in Italien begraben wurde, haben die Ebenseer eine Messe für ihn gefeiert. „Gib dem Frieden dein Gesicht“ hat die „Gemellaggio“ (Vergeschwisterung) von Ebensee und Prato verbunden. Es regnet, als wir vor der Kirche stehen.

Schon auf der Fahrt habe ich vom Bischof begeistert erzählt bekommen, wer und was diese Partnerschaft von Prato und Ebensee begründet hat. Er selber war oftmals bei den Austauschtreffen dabei, in Ebensee, in Prato. Als Hitler in Italien gegen seinen ehemaligen Verbündeten Mussolini vorgegangen ist, hat er in der Stadt Prato auch die Fabriken eingenommen, zu Waffenproduktionsstätten umgemodelt, die Arbeiter nicht wie üblich entlohnt und die Arbeitszeit und -bedingungen verschlechtert. Die Arbeiter haben sich gewehrt und Arbeiter wurden erschossen. Viele andere hat man in das KZ Ebensee verfrachtet, wo sie unwürdig zu Tode kamen. Einige haben überlebt. Sie haben dieses Andenken bei Gedenkfeiern hochgehalten, als tröstende Erinnerung und als Mahnung bis heute. Eine Freundschaft von Pratesen und Ebenseern hat sich entwickelt. Don Mauro war in seiner Arbeiterpfarre Santa Lucia dafür ein Treiber, die Stadt Prato, die Gemeinde Ebensee, die Pfarren und Diözesen haben sich schließlich „in einer Vergeschwisterung“ verbündet. Seit 1988 gibt es regen Austausch. Der Bischof schildert die Erlebnisse bei den gegenseitigen Besuchen, den Fahrten, den gemeinsamen Ausflügen, wie Familien die Gäste gegenseitig aufgenommen haben, Jugendliche dort wie da einander besuchten. Die Fahrt bis Ebensee vergeht wie im Flug. „Und jetzt ist Don Mauro gestorben. Er wird uns allen sehr fehlen.“  In der Kirche ist ein großes Bild aufgerichtet, ein guter Hirte steht neben dem Kelch, umgeben von der Stola. Daneben das Friedenszeichen dieser Freundschaft, ein Herz aus roten Rosen und andere Blumen am Boden. Ich stehe davor und ohne Dom Mauro persönlich zu kennen, spüre ich, dass mich hier ein „Friedensstifter und Brückenbauer“ anschaut. Mit unermüdlichem Eifer hat er Frieden, Freundschaft, Hilfe und Solidarität gestiftet, begründet in seiner Sicht auf das Evanglium. Wir alle nehmen Platz, feiern die Messe, hören die schöne Musik von der Empore herunter, die wertschätzende Predigt von Pfarrer Rockenschaub.

Bischof Aichern und Pfarrer Rockenschaub

Und heute?

Bei der Fahrt hinüber nach Roith in das ehemalige Konzentrationslager regnet es wieder. „Hier sind die Busse gestanden, die Leute haben sich verabschiedet, sind sich um den Hals gefallen und wir haben gewunken.“ Es ist zu spüren, dass Bischof Aichern wirklich oft da war, um dieser Freundschaft seine Wertschätzung zu zeigen, selber mitzuwirken. Am Friedhof im KZ war eine wegen Covid19 kleine Gedenkstunde. Wir stehen alle da mit Schirmen über unseren Köpfen. Viele öffentlich bekannte Gesichter. Eine kleine Abordnung aus Polen legt einen Kranz nieder. Bei allen Ansprachen in aller Kürze wurde darauf verwiesen, dass die Katastrope nie groß beginnt, sondern ganz klein anfängt. „Wehret diesen Anfängen.“ Junge Studierende lesen Biografien von Überlebenden vor, ebenso von Interviews mit Ebenseern, die man vor Jahren gemacht hat. Es schnürt mir den Hals zu.  Ein tiefes Fragezeichen krallt sich durch den Kopf, wozu der Mensch auf der einen Seite dem Menschen gegenüber fähig ist an Brutalität und Verachtung und auf der anderen Seite der Hilflosigkeit ausgeliefert scheint. Meine Gedanken verlassen für einen Moment diesen Friedhof am KZ und gehen zu den Flüchtenden heute, hin zum Domplatz, wo wir in aller Frühe aufgebrochen sind und heute wieder Zelte aufgerichtet werden, in denen Menschen aus Solidarität übernachten, um die Hartherzigkeit aufzuzeigen und aufzuweichen. Die Gedanken kommen wieder zurück  und meine Ohren hören an diesem Gedenkort eine Frage, die in mir hängen bleibt: Was gedenkt ihr zu tun?

Ich nehme noch eine rote Nelke und lege sie auf die große Steintafel der mahnenden Erinnerung. Auf der Heimfahrt gab es wieder viel zu erzählen. Ein Geschenk, mit so einem Menschen unterwegs zu sein.

Gedenken im KZAm Friedhof im KZ