Es ist nicht leicht, Bekanntes neu zu sehen

Eine Frau mit Einkaufstasche spricht mich am Weg von St. Theresia nach Leonding an. „Sie sind der Herr Kaineder.“ „Ja, woher wissen sie das?, frage ich.  „Aus der Zeitung weiß ich das und ich wünsche ihnen alles Gute. Schauen sie, dass die Kirche am Boden bleibt. Mit unserer Pfarre bin ich eh sehr zufrieden“, gibt sie mir mit. Beim Hinaufgehen nach Leonding über die Felder geht mir das immer wieder durch den Kopf: am Boden bleiben. Das erinnert mich an meine Intention: eintauchen.

Eine Kletterwand am Kirchturm

Mit dieser Idee ist der Pfarrer von St. Teresia nicht durchgekommen. Bevor die Sanierung des Kircheturmes begonnen hat, hätte er sich vorgestellt, dass ein Jahr lang Leute am Kirchturm „herumkraxeln“.  Heute ist der Turm weithin eine Orientierungslinie am Horizont, auch für mich im Rückblick beim Weitergehen, um 470.00 Euro neu saniert. Es war höchst notwendig. „Wir brauchen neue Zugänge zu den Menschen“, ist der Pfarrer überzeugt. Es freut ihn, dass in seiner Pfarre wahrscheinlich die gröte SPIEGEL-Spielgruppengemeinschaft von Linz ist. Die Kirche ist ein Dom, ein gewaltiger Raum und wunderschön, wie der Pfarrer im Gespräch beim aufgetischten Frühstück meint. „Und doch fehlen für heute die fundamentalen Voraussetzungen. Der Raum ist nicht beheizbar und akustisch sehr schwierig“, weiß Manfred Wageneder. Wir reden vieles durch. Die Sekretärin erinnert daran, dass der kommende Pfarrpraktikant schon da ist.  Auch die Pastoralassistentin nimmt am Gespräch teil. Ich bedanke mich für die Gastfreundschaft und gehe meinen Weg über die Felder nach Leonding St. Michael.

Das wird ein besonderes Ostern

Schon im Vorfeld habe ich erfahren, dass Dechant Kurt Pitterschatscher am vormittag ein Begräbnis hat. Genau zu diesem Zeitpunkt komme ich am Friedhof an. Das Handy läutet: „Wann wirst du da sein?“, fragt Christoph Freilinger aus dem Urbi. Ich habe den Tag verwechselt und so bin ich nicht beim einzigen Termin, den ich vereinbart habe. Beim Gehen durch die Pfarren bin ich nicht nach Kalender gegangen und so ist dieses Missgeschick passiert. Die Zeit bekommt im Gehen eine besondere Qualität, nur keine geregelte. Ich mache noch schöne Fotos in der alten und neuen Kirche, entzünde das Licht und treffe kurz auf den Dechant. Er erzählt mir von Rufling und den seelsorglichen Aktivitäten dort. Er freut sich schon auf die Osternacht heuer, wo eine ganze Familie aus der ehemaligen DDR stammend getauft wird. „Das wird ein besonderes Ostern um 5 Uhr früh“, meint er freudig. Dann zeigt mir eine „Schneeschauflerin“ noch das Michaelszentrum. Sie hat den Schlüssel dafür im Auto. Eine wunderbare Location für Begegnungen und Veranstaltungen. Sie ist stolz darauf und ich finde es wichtig, dass sich viele mit den pfarrlichen Möglichkeiten identifizieren. Ich suche wieder den Weg am verschneiten Gehsteig Richtung St. Konrad. Mein Ziel ist es, nicht der Straße zu folgen, sondern querfeldein zu gehen. Es ist ein selten wunderbarer Wintertag in Linz.

Es geht immer noch mehr

Ich klopfe bei einer Straßenkreuzung den Schnee vom Transparent der Pfarre, das den Pfarrball „Flowerpower“ am 6. 2. ankündigt. Die Kirche ist Bruder Konrad geweiht und ein wunderbarer Raum, neu gestaltet von der Künstlerin Maria Moser. Ich mache einige Fotos und habe ein schlechtes Gewissen, weil ich um 13 Uhr bei „Pfarrkanzlei“ läute. Es wird sofort geöffnet. Drinnen schauen Prof. Zinnhobler, Pfarrsekretärin, Pfarrhaushälterin und der Pfarrer die Fotos von der gestrigen ökumenischen Vesper in der Kirche und von der Begegnung nachher, sozusagen als mittägliche Nachspeise.  Pfarrer Wimmer trinkt mit mir noch einen Kaffee und wir plaudern alle möglichen Themen durch. Er erzählt vom Ballteam der letzten Jahre. Sie haben nach ca. 15 Jahren um „Entpflichtung“ gebeten und er hat schwarz gesehen, dass sich hier noch jemand findet, aber: „Es haben sie wieder Familien gefunden und man hat den Eindruck, es geht immer noch mehr.“ Ich bin mir bewußt, dass ich ihm das „Mittagsrasterl“ gestohlen habe. So sind eben Pilger. Kommen und gehen, wann sie wollen. Der neue Vorplatz begeistert mich, diese Offenheit. Ein starkes Stück Offenheit und Zukunft am Froschberg, denke ich beim Hinuntergehen zum Bahnhof und weiter in die Hl. Familie.

Ein ganz intimes Platzerl im Sommer

Die Geschäfte haben sich wieder geändert. Das Neustadtviertel ist bekannt für den hohen Anteil an ausländischen MitbewohnerInnen. Es liegt eine angenehme Ruhe in den Straßen. Der Schnee bremst und deckt zu. Die Pfarrkirche der Hl. Familie wurde kurz nach der Jahrhundertwende bi 1912 gebaut. Bischof Hittmayr, der sich beim Krankenbesuch an Lazarettkranken infiziert hatte, hat die Kirche eingeweiht. Er ist mir in seinem konkreten sozialen Einsatz ein sehr sympatischer Linzer Bischof. Die Zeit meines Kommens ist ungünstig. In der Kirche bin ich nicht der Einzige. Eine Frau zündet auch ihr Licht an und betet. Das Bild der hl. Familie ist hier vollständig – mit Josef. Josef fehlt bei uns in Kirchschlag in der Annakirche. Ich gehe rundherum und entdecke hinter der Kirche ein blaues Schild verkehrt liegen mit „Praterstern“. Bin ich da in Wien? Wahrscheinlich ein Scherz. Ein ganz lauschiges Platzerl hier im Sommer, denke ich und gehe hinüber ins AKH.

Krankheiten öffnen Menschen

Gestern habe ich erfahren, dass eine Pfarrgemeinderätin von Kirchschlag im Krankenhaus liegt. Ich schließe – ohne es zu wissen – auf das AKH. Bei der Pforte wurde mir die Anwesenheit bestätigt. Zuerst gehe ich in die Kapelle, zünde mein Licht an und lasse meinen Rucksack bei der Seelsorge. Überraschte Gesichter mir gegenüber, als ich dort eintrete. Der Besuch bei der Kranken baut mich auf, weil es nichts Lebensbedrohliches ist. Es geht „nur“ um das Loslassen. „Nur“ ist hier falsch, denn loslassen ist eins der schwierigsten Kapitel im Leben. Wir reden in der Seelsorge beim Abholen des Rucksackes über die heilsame Wirkung des GEHENs und ich mache mich auf den Weg nach St. Severin. Mir ist klar, dass die Krankenhausseelsorge ein ganz wichtiger Dienst der Kirche ist.

Vor 14 Tagen bezogen

Ich wundere mich, dass Licht in den neu errichteten Häusern am Gelände der ehemaligen Frauneklinik ist. Vor 14 Tagen sind die Leute eingezogen. In dieser Gegend ist die Pfarre Linz St. Severin. Franz Stauber weiß ich genau zuzuordnen. Zwei Mädchen weisen mir den Weg und meinen: „Dort gehst du  links, du siehst das Licht und da sind noch einige beim Kartenspielen.“ So war es auch. Pfarrer Parteder hat mit einigen Damen noch einen Schnapser gespielt. Ein neues Pfarrcafe wurde vor 2 Jahren zwischen Kirche und Kindergarten gebaut. Einladend und gemütlich. Der Pfarrer geht mit mir noch in die dunkle Kirche, macht Licht, erzählt von der Totenwache heute abends und der Messe nachher. Die Kirche ist im Grundriss eine Elipse, so wie sie für alles auch in meinem Kopf ist. Die Frauen haben noch einen Kaffee gemacht und wir sitzen gemütlich zusammen. Über die neuen MitbewohnerInnen in der Pfarre können sie noch nichts sagen. Beim Weggehen sehe ich, dass der schöne Kirchenraum außen im Finstern steht. Mein nächstes Ziel ist die Stadtpfarre.

Eine zweite Messe kann nie schaden

Um 8 Uhr früh habe ich in Herz Jesu die Messe mitgefeiert. Nun nähere ich mich der Ur-Pfarre von Linz, der Stadtpfarre. Der Platz ist schön beleuchtet und ich muss an die ganzen Troubles wegen der Tiefgarage denken. Die Kirche ist schon geschlossen und mein Blick auf den Turm zeigt mir, dass die Turmmusik auch nicht mehr spielen wird. Mein Weg führt in den Pfarrhof, wo gerade der Provisor Reinhold Kern jemand verabschiedet, mich dann begrüßt und meint: „Ich habe jetzt eine Messe.“ „Da könnte ich mitgehen“, meine ich. Er sagt spontan: „Eine Messe hat noch nie geschadet.“ Ich gehe zur zweiten Messe heute in den kleinen Saal. Gut geheizt. Der Organist, so stellt sich nachher heraus, war schon mindestens 35 Mal in Assisi, „nicht zu Fuss“, wie er betonte, aber immer in den Semesterferien.  Ich stelle fest: Mein Aufmerksamkeitspotential ist heute erschöpft und ich gehe in den Domherrrenhof schlafen. Eine wunderbare Suppe, den Nachtslalom im Fersehen und den Laptop am Tisch – so geht der Tag zu Ende.  Es waren heute für mich recht bekannte Orte und Pfarren. Das Gehen ermöglicht doch am ehesten einen neuen Zugang.

Welche Frage bleibt?

Ein Gesprächspartner meint: Sollten wir als Kirche nicht ganz neue Wege gehen? Wer weiß. Und dann entdecke ich an mir selber, dass es nicht leicht ist, aus früheren Zeiten „Bekanntes“ neu zu sehen. Und doch ist die Voraussetzung für ein neues Sehen die eigene Einstellung und der eigene Zugang. Es liegt an der Kirche selber, an den Verantwortlichen, sich eine neue Sicht anzueignen.