Es war kalt, gut und wichtig

Zelt aufbauenDie Domglocken läuten. Es ist 6 Uhr früh. Die Ohren wecken die Augen. Im Zelt ist es kalt geworden. Im doppelten Schlafsack drinnen auf der doppelten Unterlage auch. Zehen bewegen, die körperlichen Regionen der Reihe nach anspannen. Alles beweglich, aber kalt. Die Gedanken gehen nach Griechenland, nach Bosnien. So erwachen Menschen in den Flüchtlingslagern dort, ohne Komfort-Backup. Ich liege da, weil ich nicht möchte, dass sie dort so liegen müssen. Wir haben nämlich Platz. Wir hätten Platz. Unsere Zelte stehen als Aufforderung an die Regierung da: Machen wir auf und holen wir zumindest einige in die menschliche Wärme und Würde. #Moria

„Die Bilder sprechen für sich! Danke allen, die ein Zeichen der Solidarität gesetzt haben und sich für die Evakuierung der Lager in Griechenland und für die Aufnahme von geflüchteten Menschen in Österreich einsetzen.“ Das schreibt Monika Weilguni. Wer Monika kennt, kennt eine der Personen, die sich in Flüchtlingsfragen wirklich ausgekennt, immer jemanden weiß. Aus jahrelanger persönlicher Erfahrung mit Flüchtenden im Dickicht der rechtlichen Winkelzüge und entlang angstmachender Narrative. Sie ist einer der Motoren, die den Widerstand nicht verstummen lassen will gegenüber der hartherzigen Abschottung an den Grenzen der EU. Und heute sind über 30 Zelte da. Auf mein Pappschild habe ich geschrieben: „Die türkise und blaue Herzverhärtungsmaschinerie stoppen“.  Es wird nicht nur nicht aufgenommen, sondern bestens integrierte Kinder abgeschoben. Auf Twitter sind die Hashtags dazu #Tina und #Zinnergasse. Recht brutale Hartherzigkeit wird um drei Uhr früh von dort dem Land „vorgeführt“. Der Gedanke lässt mich in meinem Schlafsack noch mehr frieren. Der Schlaf war in dieser Nacht ohnehin nicht der feste Freund. Kurz gekommen, wieder gegangen. Und nochmals kurz gekommen, um von den Glocken wieder vertrieben zu werden. Es war eher ein Dösen in der windigen Kälte. So stelle ich mir das aussichtslose Warten auf Lesbos, Karatepe oder in den Lagern Bosniens vor: Dahindösen in der sich verlierenden Menschenwürde.

mahnwache

Das Herz auf Barmherzigkeit aufwärmen

Es hat relativ lange gedauert, bis beispielsweise die österreichischen Bischöfe aus dem türkisen Vor-Ort-Helfer-Narrativ aufgewacht sind. Am Domplatz bringt der Linzer Bischof Manfred Scheuer am Abend Tee und kommt am nächsten Tag zu Stunde der Mahnwache. Danke für beides. Die Präsidentin der Katholischen Aktion OÖ Maria Hasibeder hat zusammen mit ihrem Mann Otto das Zelt neben mir aufgeschlagen. Wir sind uns einig, dass es Zeichen braucht, die den Aufruf an die Bundesregierung durch persönliche Entbehrung untermauern. Die Kälte der Nacht steht für mich auch für die Kälte großer Teile der Bevölkerung. Der „Ritt auf der Flüchtlingswelle“ hat dem Bundeskanzler Stimmen gebracht. Macht durch Ausgrenzung, Sündenböcke, die getrieben werden. Die Menschewürde wird nach Grenzverlauf vergeben. Hilfe vor Ort ist die Gewissensberuhigung. Dass sie dort nicht ankommt, ist zweitrangig. Lange sitzen wir am Abend um einen provesorischen Heizstrahler (Ein offenes Feuer wurde polizeilich verboten), erzählen uns gegenseitig unsere Motivation zum „Hier-Sein in der Kälte“, ordnen die Dinge politisch je nach Ansicht und Blickwinkel, teilen unseren Ärger und unsere Hoffnungen. Die Direktschaltung in das Flüchtlingslager in Griechenland zeigt nochmals mehr, wie wichtig unser Zeichen ist. Die Direktschaltung in die anderen Städte zu „24 Stunden Menschlichkeit“ erhöht das solidarische Grundwasser. Auch dort viele Menschen, die das Außentor Österreichs aufdrücken wollen, damit ein paar Hilfsbedürftige hereinschlüpfen können. „Helft den Menschen leben“ hängt auf ein Transparent geschrieben über dem Zaun. Eine Familie kommt spät abends noch mit einem großen Topf Früchtepunsch. Heiß und gut. Das hat uns gut getan.

Die „guten Morgen-Zurufe“ waren irgendwie verhalten, etwas eingefroren. Schon um acht Uhr kommen Menschen und bringen Kaffee, Tee und Frühstück. Menschen, die auch mit uns sein wollen, aber in der Kälte nicht können. Die Gespräche gehen wieder los. Junge Studierende nähren uns im Halbstundentakt mit Gedichten, Erzählungen und Impulsen. Die ersten Zelte werden wieder abgebaut. Ich selber nehme den Öffi-Bus um 11 Uhr heimwärts. Ich genieße die Heinfaht im warmen Bus, schaue aus dem Fenster, genieße daheim ein gutes Mittagessen und einen wärmenden Sonntagsschlaf auf der Couch. Eine solche „wärmende Heimfaht“ aus den katastrophalen Zuständen in den Grenzlagern in der EU wünsche ich ganz vielen Menschen. Herr Bundeskanzler, lassen sie ihr Herz warm werden in Richtung Barmherzigkeit. Darauf liegt nämlich Segen. Auf derWarmherzigkeit.

Und Woche für Woche werden wieder Zelte aufgestellt, in Linz am Domplatz von Samstag 12  bis Sonntag 12 Uhr  – bis die Regierung hört und Warmherzigkeit ermöglicht.