Resilienz, Aufbruch und Synapsen

Winter

Was der Mensch braucht? Drei „Dinge“: Anerkennung, sinnvolle Tätigkeit und Zugehörigkeit. In den letzten drei Online-Veranstaltungen, die ich von Oberösterreich über die Steiermark und Burgenland als Impulsgeber gestalten durfte, war das die tief liegende Ankerfrage. Dabei ging es im Resilienz und Glaube, um den zweiten Aufbruch und eine neue pastorale Vernetzung. Eine fragmentarische Zusammenschau.

Wer die retardierende Covidzeit als Anstoss sieht, wieder etwas genauer auf ihr oder sein Leben als ganzes zu schauen, wird die Biografiephase „zweiter Aufbruch“ sehen. Je nach Alter vor sich, gerade drinnen oder hinter sich. So um 55 herum schleicht oder drängt sich diese Unruhe stiftende Frage in das Leben: War das alles? Man denkt an die Kinder außer Haus, die Berufssituation mit wenig neuer Perspektive.  Andere werden durch Krankheit gestossen, aus dem Beziehungsleben geworfen oder verlieren den „Job“, der, wie sich herausgellt, mehr ist als nur hakeln war. Gerade in solchen Übergangszeiten drängt sich die Frage in den Vordergund: Was braucht der Mensch wirklich? Kurzum: siehe oben.

Mikro-, Meso- und Makroebene

Jeder und jede lebt auf drei Ebenen, ist dort mehr oder weniger eingebettet, verknüpft, verbunden, getragen, inspiriert, „an-erkannt“, mit „sinnvoller Tätigkeiten“ verwoben und imZusammenhalt und Solidarität „zugehörig“. Wir nennen diese drei Ebenen „Sozialpotential-Ebenen“. Sie sind entweder ein tragfähiges Netz für anstehende Veränderungen, weil Loslassen können leichter ist und Freiheit, Selbstbestimmung, Souveränität in Verbundenheit  („We are“) möglich sind. Die Betrachtung der drei Ebenen kann allerdings auch ein „löchriges, zittriges Gebilde“ hervorbringen. Wenn das so ist, wird das Festhalten-müssen gestärkt, weil Absturzgefahr droht, das Sicherheitsbedürfnis nicht gestillt ist und lieber Abhängigkeiten in Kauf genommen werden.

Bei der Mikroebene sprechen wir von etwa drei bis zwölf Personen. Solche Menschen sind „wirklich nahe Lebens-FreundInnen“, jederzeit verfügbar, heben das Telefon jederzeit ab, diesen Personen kann ich vorbehaltlos vertrauen und bei ihnen darf ich von Herzen weinen.

Bei der Mesoebene spreche ich vom „erweiterten Freundeskreis“. Hier geht es um die feingliedrige Verbundenheit in Vereinen, in einem Chor, beim Sport, den Hobbys, Interessensgruppen, der Pfarre, beim Gang auf den Berg, ist eine wohlwollende Nachbarschaftlichkeit. Bisher war die Begrüßung ein Handschlag. Die Bitte um einen kleinen Gefallen wird wohlwollend gleich gehört. Humor und Herzenswärme prägen diese Beziehungen, der neoliberale „Tauschgedanke“ hat sich in solche Beziehungen noch nicht eingenistet. Musik, Bühne, Bewegung und Soziales lebt  der Mensch hier in allen Facetten und mit Leidenschaft aus. Diese Mesoebene ist durch Covid derzeit „voll ausgebremst“ und trübt daher die Seelen der Menschen schwer ein. Der Anerkennungsfluss stockt, die gemeinsamen Tätigkeiten ruhen und das damit immer aktualiserte Dazugehören findet keinen Ausdruck.  Das jetzt mögliche „Digitale“ fühlt sich in diesen Tagen mittlerweile ziemlich „kalt“ an. Heute sprechen wir von der „Corona-Erschöpfung“. Sie kommt auch daher, dass gerade von dieser stillgelegten Mesoebene keine nährenden Energien zufliessen können.

Bei der Makroebene kommt das große Ganze in den Blick. Das geht vom Bergdorf, dem Stadtteil, der Kirche, der Religionsgemeinschaft, der Politik, dem Staat in seiner Grundausrichtung, der Firma als ganze bis hin zu den sozialen Netzwerken, die uns zwar ganz nahe kommen, aber doch fern bleiben in ihrem Makrogehabe. Das Netz der Arbeitslosen- oder Krankenversicherung  trägt. Konkrete Personen sind „Bekannte“, die einem in der Unübersichtlichkeit helfen können.

Bei der Betrachtung des eigenen Lebens in oder auf diesen Ebenen stellt sich heraus, dass das Entweder-Oder hier keinen Platz hat. Es ist das UND, das zwischen den Ebenen dahinbalanciert, Ränder erfühlt und Zwischenräume zum Klingen bringt. Ist als Kleinkind oder alter Alter die Mikroebene wichtig, so sind in jüngeren und mittleren Jahren („rush hour“) eher die Mesoebene wichtig. Altern hat für eine Teilnehmerin am Seminar geheißen, „einem zunehmenden Rückzug aus der Mesoebene positiv zuzustimmen“.

Woher nährt sich das Leben?

Resilienz ist in den letzten Jahren ein „Modewort“ geworden. Widerstandsfähigkeit in „niederschlagenden Lebenssituationen“ wird heute erwartet. Wenn fünf Menschen umfallen, stehen nicht fünf auf. Heute wird das Aufstehen aus eigenen Kräften verherrlicht. Individuelle Resilienzkraft kann das, Erfolgreiche werden uns „vorgestellt“. Es gibt aus meiner Sicht auch ein Aufstehen, ein Aufrichten in den „aufrichtenden Verbündungen“ auf diesen drei Ebenen. Es ist kein Aufstehen der wenigen Schnellen, Starken, Gewiften oder gar Frechen, sondern ein Erheben zusammen mit allen, gerade auch mit denen, die viel weiter unten anfangen müssen. Es ist ein Aufstehen, Aufrichten entlang der Grundannahme, dass es ein gutes Leben für und mit allen gibt. Das braucht andere Vernetzungen, Verbündungen als die Netzwerke der Reichen, Tüchtigen und Leistungsträger.  Wir dürfen und müssen uns eingestehen: Nicht jede Krise ist eine Chance und Glück ist keine Leistung.

Das anerkennt ein conviviales Leben, das durch Gastfreundschaft erblüht, die glückliche Genügsamkeit kennt, das Anerkennen von Grenzen kann, sich persönlich berühren lässt, den Hilferuf der Notleidenden und Schwachen hört und den „Tod zum Bruder“ (Franz von Assisi) hat. Das „We are“ erleben sie als Nahrung, Nährung auf diesen drei Ebenen. Ein technogen geprägtes Leben hingegen baut auf Maschienendenken wie in der „Megamaschine“ von Fabian Scheidler ausgeführt, der Algorithmus steuert das Leben in Kombinationen von 0 und 1, der Blechporno (Auto, Technik) ist allgegenwärtig, Wachstum die einzige Zukunftschance in der Krisenbewältigung, alle Lebensbereiche werden auf das „I am“ ausgerichtet und optimiert. Der Wandel und die Transformation hin zum sozial-ökologisch-spirituellen Welt- und Menschenbild werden verächtlich gemacht. Umwelt wird nicht als Mitwelt gesehen und Auseinanderdividieren als Herrschaftsinstrument wieder mit Erfolg eingesetzt.

Resilienz wird entlang von Synapsen gestärkt, die im Aufbruch immer hin zum Du, zum Anderen, zum Fremden reichen. Die Lebensquellen liegen in den Begegnungen und Beziehungen.