Gehört die Stadt den Autos, wird sie gesichtslos wie Baton Rouge

Schon der Ausspruch eines Freundes „Geh nicht nach Amerika – geh nach New Orleans“ hat mich heute früh veranlasst,  die Stadt zu verlassen, um einen „Vergleich“ zu haben. Darüber werden jetzt natürlich alle Amerikabegeisterten und Amerikarundreisenden herzhaft lachen.  Da fährt er einen Tag in die Bundeshauptstadt von Lousiana, Baton Rouge, und glaubt, etwas über Amerika sagen zu können. Wir werden sehen.

Die Sümpfe charakterisieren diesen Bundesstaat

Die Fahrt mit dem „Swift-Bus“ in die ca. 130 km (80 Meilen) entfernte Hauptstadt des Bundesstaates Baton Rouge ist beeindruckend. Gehört habe ich, dass der Amerikaner alles dem Auto „darbringt“, vor allem breite Straßen. Wir fahren allerding sicher 1/3 der Strecke auf Brücken über die Sümpfe des Mississippi. Der Mensch hat sich hier den Sumpf konkret etwa 6 Meter untertan gemacht, damit er mit seinem Auto „frei“ ist. Die Sümpfe sind wirklich beeindruckend. Darum ist „Seafood“ das wirklich lokale – und schmeckt auch ausgezeichnet. Der Bus ist halbvoll und die Hin- und Rückfahrt kostet 10 $ – eigentlich ein Geschenk. Genutzt wird er eher von Schwarzen, von Älteren und Ärmeren. Auch der Greyhound-Bus (so erzählen Mitbewohner) ist vorwiegend von „Vagabundierenden und Ärmeren“ benutzt. Die Identität einer amerikanischen Seele wird definitiv durch eine Auto und ein Flugticket bestimmt – entweder im Haben oder in der Sehnsucht danach.

Die gesichtslose Stadt Baton Rouge

Wer einen Tag Zeit hat, kann natürlich nicht durch die ganze Stadt wandern. Es geht schnurstracks ins Zentrum. Dort stehen riesige Gebäude. Dazwischen sind breite Straßen und unglaublich viel Parkplatz. Die unteren Etagen sind für das Auto bestimmt. Nirgends finde ich kleine Geschäfte und erst im Shaw-Center hat ein Restaurant offen. In New Oleans undenkbar. Dort gehört das Erdgeschoss den kleinen unzähligen Cafes und Geschäften.  Christoph Chorherr hat in seinem Buch „Verändert!“ das auch beschrieben. Wo das Erdgeschoss dem Auto gehört (Garagen etc.),  dort wird eine Stadt oder ein Stadtviertel „gesichtslos“. Und genauso erlebe ich heute die Hauptstadt im Zentrum: ausgestorben und autofrei. Ich bin ganz fest überzeugt, dass wir dem Auto wieder Platz und Rang ablaufen müssen. Das Fahrrad ist eigentlich „das“ Verkehrsmittel des urbanen Menschen und die Füße sollten wir auch nicht unterschätzen, wie weit und gesund sie uns tragen. Den Besucht gerettet hat die Aussicht  (trotz Nebel) vom Regierungsgebäude, der Park und der Besuch des Gottesdienstes in der St. Joseph Church. Diese Kirche ist sein 50 Jahren Bischofssitz. Alles erinnert mich an die Zeit in der Dompfarre Linz, auch das Pfarrcafe. Die Kirche ist halbvoll und der Chor singt in liturgischen Gewändern. Es sind verhältnismäßig viele junge Paare, die „verliebt“ in den Bänken sitzen und sehr aufmerksam mitfeiern. Die Diözese Baton Rouge hat nach Katrina die Erzdiözese New Orleans mit Infrastruktur und Personal tatkräftig unterstützt.

Nebel und Nachdenklichkeit in New Orleans

Ich steige aus dem Bus am Abend wieder aus und ein schwüler Dunst schlägt mir entgegen. Die Thanksgiving-Beleuchtung ist seit gestern schon überall angebracht. Der feiner Nebel legt eine ganz bestimmte, nachdenkliche Stimmung über die Stadt. Wie ich mit der Straßenbahn zurückfahre, muss ich an Canny denken. Es war damals im November noch kein Strom da und alles war finster. Das muss wirklich „enterisch“ gewesen sein.  Ich selber bin ob meines bevorstehenden Abschieds auch ein wenig wehmütig, aber zugleich auch freudig auf Daheim. Dieses aufmerksame Vagabundendasein auf der unteren Stufe einer Stadt hat mich sehr verlangsamt, dem Wesentlichen angenähert und dankbar gemacht. Wer sich mit großer Offenheit auf die Menschen und diese Stadt zubewegt, der wird gefunden – von der Stadt. Es ist etwas ganz anderes, einem Homeless ins Gesicht zu schauen, mit ihm zu reden und zu essen, als Studien, Statistiken und Berichte über ihn zu machen. Jede Begegnung hat mich genährt, ganz gleich mit wem. Ich bin heute schon dankbar für diese Zeit hier, weil sie mich sehr ehrlich und ungeschminkt in und hinter das hiesige Leben geführt hat. Auch für die Ideen und Anregungen, die ich nun mit nach Hause nehme und noch „ordnen und strukturieren“ werde, bin ich dankbar. Diese Stadt hat ein „Gesicht, hat viele Gesichter“, die stolz sind auf ihre Stadt. Die Musik, die Kunst begründen eine gewisse „Ausgelassenheit“. Diese Menschen denken das Leben trotz des harten Schicksalschlages „leicht“ (easy), das strahlen sie aus und das bekommen sie wieder zurück. Diese „Leichtigkeit“ ist in einem tiefen Vertrauten und oft auch Glauben begründet und wird in den verschiedensten „Communities“ gepflegt. Sie nehmen nicht alles so ernst, legen nicht alles auf die Waagschale, rechnen auch damit, dass etwas schief gehen kann. Selbst die Rauferei (die erste, die ich erlebt habe) gestern in der Street Car war sofort bereinigt und ein Schwarzer hat schon wieder seinen Spaß gemacht. Hier werden die Probleme nicht vertieft oder gepflegt, sondern das gute, leichte Leben in den Mittelpunkt gestellt. Take it easy – das nehme ich in jedem Fall mit. Und gibt es da nicht ohnehin eine Weisheit, das Unveränderbare vom Veränderbaren zu unterscheiden? In den Lebensweisheiten wachsen.