Ich kann sie doch nicht so da stehen lassen

9IMG_2659Der Zug kam später an in Regensburg. Der Anschlusszug nach Wiesau in der Pfalz war weg. Der nächste geht über eine Stunde später. Warten am Bahnhof. Die Zeit vergeht recht schnell, weil ich Flüchtlingen helfe, dem Automaten Fahrkarten nach Hamburg Altona zu entlocken. Es geht weiter. Der Zug ist fast voll. Es sind Lederhosen und Dirndlkleider mit mehr oder weniger fröhlichen Menschen eingestiegen. Woher? Oktoberfest. Ankunft in Wiesau um 23.11 Uhr. Der nachmittägliche Anruf bei einem Taxler hat gelautet: Da steht ein Taxi vor dem Bahnhof oder es ist die Nummer angegeben, die sie anrufen können.

Niemand hebt ab

9IMG_2681Wir steigen aus. Es ist die ganze Fahrt schon finster. Draußen. Drinnen ist es zum Teil halblustig. Oktoberfest. Auf der 1 1/2 stündigen Fahrt leeren sich die Sitzplätze. Ich lese im Tagebuch von meinem Gehen am Grünen Band 2012. Ab morgen werde ich das dreitägige Klösterreich-Pilgern zum Jubiläum begleiten. Die Via Porta ist unser Pfad. Ein drittes Mal bin ich in der Zisterzienserinnen-Abtei an der tschechischen Grenze. Das erwartet mich morgen. Ich freue mich darauf. Aber heute muss ich noch die 12 Kilometer von Wiesau nach Waldsassen schaffen. Der Zimmerschlüssel ist hinterlegt. Alleine: Weit und breit kein Taxi, kein Auto. Ich rufe drei Mal die Nummer auf der Tafel. Es hebt niemand ab. Ich stehe da. Alleine. Die Straßenbeleuchtung ist matt. Was tun? Meine Erfahrung aus dem Gehen: Es gibt für alles eine Lösung. Ich gehe in Richtung Stadtmitte. Schon bald ist links eine Pension angeschrieben. Die Haustüre ist hell, alle Fenster aber dunkel. Hier bleiben ist die Idee und morgen früh weiterkommen.

Ich wollte nur schauen

9IMG_2711Aber wie hineinkommen? Einfach anläuten. Ich bleibe gelassen, weil ich ganz fest drinnen spüre: Es gibt eine Lösung. Ich sehe sie nur noch nicht. Ich schlendere etwas verloren vor dem Haus. Ein weißer kleiner Kastenwagen steht davor. Es geht jemand herum. Ich starte los auf diese Person, ob er eine Idee für mich hat, „weiterzukommen“. Ich frage ihn, ob er von hier ist. „Nein, ich wohne in dieser Pension.“ Ich gestehe ihm, dass ich noch um diese Zeit nach Waldsassen gehöre. „Das wird schwierig, da kann ich nicht helfen. Auch bei uns in der Pension ist niemand mehr da. Sie sehen, alles finster.“ „Gut“, sage ich, „ich werde schon irgendwie weiterkommen. Danke.“ Ich sage aus dankbarem Herzen „Danke und gute Nacht“ und drehe mich um, ziemlich ratslos. „Halt, ich kann sie doch nicht so hier stehen lassen. Kommen sie, steigen sie ein, ich fahre sie nach Waldsassen.“ „Echt? Das wäre fein.“ Er räumt gleich den Beifahrersitz frei und lässt mich einsteigen. Den Rucksack verstauen wir hinten bei den technischen Dingen. Wir starten los. Wir erzählen einander auf der 12 km langen Fahrt ein wenig von unserem Leben. Er ist Güterwagen-Kontrollor bei der DB. Seine Aufgabe ist es, die zusammengestellten Güterwagen zu überprüfen, ob technisch alles OK ist. Er ist aus Thüringen und übernachtet hier in der Pension. Er wollte nur schauen, ob beim Auto alles abgesperrt, in Ordnung ist. „Ja, und ein bisschen Luft wollte ich noch schnappen.“ Ich erzähle von meinem Vorhaben morgen, von meinem Gehen 2012 und 2013 mit der Pilgergruppe von Weltanschauen hier ab Waldsassen. Wir hätten 100 km fahren können. Das Gespräch wurde immer persönlicher. „Hier links, dort ist die Basilika.“ Wir haben die Abtei und das Gästehaus St. Joseph erreicht. Es ist schnell gegangen. „Was bin ich schuldig?“. „Nichts.“ „Danke, sie sind ein Engel.“ Den Namen haben wir nicht ausgetauscht. Er fährt in die Dunkelheit und ich suche meinen hinterlegten Schlüssel, den ich sofort finde.