Mehr als 857.000 Flüchtlinge durch einen kleinen Bahnhof

1IMG_2904Damit kein Missverständnis entsteht: Hier möchte ich nicht die Geschichte der Vertreibung der Sudentendeutschen neu beleuchten oder gar neu erklären. Es war nur so, dass ich gestern von einem Mitpilger am Nachmittag von Waldsassen nach Wiesau in der Oberpfalz zum Bahnhof gebracht wurde. Der Zug hatte Verspätung. Es bleibt Zeit, als Local Detective den Augen und Ohren Raum zu geben. Ich gehe um das Bahnhofsgebäude und stoße dabei auf eine Stele mit Metalltafeln, die an die Zeit von 1946-1952 an diesem Bahnhof erinnert.

Sie haben es geschafft

IMG_2902Auf den Tafeln wird erinnert, dass durch diesen Bahnhof von 1946-1952 857.000 Flüchtlinge „geschleust“ wurden. Ich stehe davor, betroffen. Dann rechne ich. Wenn das sechs Jahre sind, dann sind das im Schnitt etwa 140.000 jedes Jahr gewesen. Wie groß damals Wiesau war, weiß ich nicht. Heute sind es etwa 4.000 EinwohnerInnen. Die im Nachbarland ausgewiesenen Mitbürger wurden in Viehwagons transportiert, in Baracken untergebracht und dann weitergeleitet. Ich habe eine Vorstellung dazu, weil meine Schwiegermutter auch dazu gehörte. Was mich in der Nachmittagssonne so nachdenklich stimmte? Damals war die Zeit nach dem Krieg eine viel schwierigere, die Menschen hatten selber kaum das Lebensnotwendigste und dann nehmen sie alleine über diesen Bahnhof kommend fast 860.000 neue MitbewohnerInnen in Deutschland auf. Insgesamt waren es über 3 Millionen. Sie haben es damals geschafft.

Die Fahrkarte nach Hamburg

1IMG_2900Heute stehen auch drei Asylwerber beim Fahrkartenautomaten in Wiesau. Ich gehe auf sie zu und frage sie, ob ich helfen kann. Sie wollen nach Hamburg und brauchen eine Fahrkarte. Ich helfe auch ihnen die Fahrkarte nach Regensburg auszudrucken. Die drei jungen Männer stecken ihr Geld in den Schlitz. Sie fahren mit gültigen Fahrkarten. Es kommt mir eine Frau in Linz in den Sinn, die vor ein paar Tagen gemeint hat: „Ja, jetzt füllen sie alle Züge mit den Flüchtlingen an und wir, die wir Fahrkarten haben, bekommen keinen Platz.“ Schon am Dienstag Abend bei der Herfahrt von Linz nach Regensburg hat mir die Schaffnerin im ICE wertschätzend erklärt: „Die haben alle Fahrkarten, viele auch 1. Klasse.“ Es ist ein Vorurteil, dass die Flüchtlinge keine Fahrkarten haben. Mit denen ich in den letzten Wochen zusammen gereist bin, hatten alle gültige Fahrkarten. Meine drei Sitznachbarn aus dem Irak wollten nach Hamburg und weiter nach Schweden. Möge es ihnen gelingen. Und uns, dass wir uns öffnen und innere und äußere Mauern abreißen, damit Begegnung möglich wird. Heute ist das große Konzert am Heldenplatz für #refugeeswelcome von der Volkshilfe initiiert. Zehntausende sind am Platz. Hoffentlich bleibt das bei der Wien-Wahl keine Minderheit. In Wiesau leuchtet ein AI-Plakat auf unseren Bahnsteig herüber? „Jeder Mensch hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu erhalten.“ Gut, dass immer mehr Medien die Blicke weiten und konkrete Menschen, die auf der Flucht sind, zu Wort kommen lassen. Auch die ZEIT in ihrer letzten Printausgabe.