Im digitalen Gasthaus sind Wanzen angebracht

Er hört in Echtzeit zu

Er hört in Echtzeit zu

Legendär ist der Ausspruch und die Einschätzung der Kabarettisten Michael Niavarani und Viktor Gernot im Programm Musterknaben zu Facebook: „Facebook ist Stasi auf freiwilliger Basis.“ Schon alleine die Tatsache, wie Nia seinen Laptop streichelt spricht über das Naheverhältnis zur digitalen Welt. Diese 12 Minuten sind ein kompaktes Lehrstück über das ambivalente Verhältnis von digitaler und haptischer Welt. Das Bild vom „digitalen Gasthaus“ hat mir immer geholfen, die Vorgänge, Einschätzungen, Entwicklungen, „Neu-Formatierungen des Menschen“ aus einer haptischen Erfahrung zugänglich zu machen. Sitzt wer 24 Stunden im Gasthaus? Wenn ein Siebenjähriger einen ganzen Tag alleine im Gasthaus ist, wird man ihn fragen: Wo sind deine Eltern? Das Gasthaus ist voller Gerüchte, schönen Erinnerungserzählungen, Halbwahrheiten und chaotisch in Gang gekommene „Habts schon ghört?“. Große Geschäfte werden im Extrazimmer angebahnt oder gar entschieden. Google muss jetzt Inhalte löschen, wenn der Nutzer es will. Aus einer Bibliothek kann ich ein Buch entfernen. Aus einem Gasthaus ein Gerücht? eine falsche Geschichte? Wer ins Gasthaus geht und sagt – „Das dürft ihr nicht mehr sagen“ – hat die Multiplikation der Verbreitung schon angestoßen.

Wanzen werden eingebaut und Mikros umgehängt

„BND will soziale Netzwerke live ausforschen“ – lese ich in der Süddeutschen. Und weiter: „Der (deutsche) Bundesnachrichtendienst will künftig soziale Netzwerke wie Twitter und Facebook in Echtzeit ausforschen können, noch während die Nutzer aktiv sind. Bei der Begründung seiner Pläne macht sich der BND nach Informationen die Argumente der US-Geheimdienste zu eigen.“ Stopp: Was passiert da? Wie kann ich das erklären? Da kommt das Bild von digitalen Gasthaus wieder Anwendung. Ich weiß: Bilder sind Teilwahrheiten und doch treffen sie den Kern oft direkter als eine wissenschaftstheoretische Erklärung. Bilder und Gleichnisse lassen auch Raum für eigene Erfahrungen und Einschätzungen. Bilder zielen auf die persönliche Urteilskraft, auf das Gewissen. Was tut also der BND? Er hat mit den Streaming-Analysen das digitale Gasthaus „verwanzt“. In Echtzeit „hört und schaut er zu“. Den Gästen im Gasthaus wurde (ohne dass sie es merken) am Eingang ein Mikrofon umgehängt (also beim Hochfahren des digitalen Endgerätes). Das will auch Facebook in den Grundeinstellungen: Alles offen, Mikro ein und direkt über die Anlage des Gasthauses an alle übertragen. Das erklärt, warum es so wichtig ist, die Privatshpären-Einstellungen zu bearbeiten. Die „Profis“ lachen über solche „Klarheiten“. Vielen Endnutzern sind die „Implikationen der digitalen Welt“ nicht zugänglich, nicht bewusst oder sie nehmen sie in Kauf. Außerdem: Viele verlassen das digitalen Gasthaus und lassen das Mikro eingeschaltet. Oft bis ins Schlafzimmer. Der BND wird das Schnarchen hören und analysieren. Beim Kommunikationstag am 3. Juni 2014 in Wien werden ich am Podium diesen Zugang, dieses Bild, dieses Gleichnis zur Diskussion stellen.