Je nachdem, wo man lebt

Hier in Wien habe ich von der Wohnung im 20. Bezirk drei Möglichkeiten, ins Büro auf die Freyung zu kommen. Da ist gleich neben der Haustür die U6, mit der ich zur Währingerstraße komme und von dort mit der Straßenbahn zum Schottentor. Wenn es beim Hinausgehen passt, dann fährt genau vor der Haustüre die Straßenbahn Linie 2 in die Taborstraße und von dort mit der U2 zum Schottentor. Oder ich gehe einige Schritte zur S-Bahnstation hinter dem Haus und steige am Praterstern in die U2 zum Schottentor um. Wenn ich einfach „dahingondeln oder -drödeln“  möchte, dann fährt die Straßenbahn Linie 2 weiter zum Schwedenplatz und von dort die Linie 1 zum Schottentor. Ein paar Mal habe ich das heimwärts schon gemacht, wenn ich mit der Seele baumeln wollte. Das dauert ungefähr 5 Minuten länger – das mit der Seele baumeln. Die anderen drei Varianten sind zeitlich plus minus 25 Minuten. Viele Möglichkeiten mit jedem Komfort um einen Euro pro Tag. Heute hat mich eine Email von den LALÀ’s mit einer Replik auf ihre Chinareise erreicht. Es hat mich insofern getroffen, weil es mir wieder einmal bewusst gemacht hat, dass es ein Glücksfall ist, wo man geboren wurde und wo man zu leben gezwungen ist. Hier ein Stück Wortlaut von ihrer 10-tägigen Reise.

Einerseits

„…. In den kommenden Tagen haben wir zwei völlig konträre Welten kennengelernt. Einerseits waren wir Gast in einer beeindruckenden, pompösen (Schein?)Welt. Eine Welt, in der alles strahlt und blinkt, neu und modern ist, angenehm und bequem. Eine Welt in der unsere Konzerte stattfanden, in der wir bejubelt, gefeiert und beklatscht wurden. Wir sahen das gigantische Opernhaus der Stadt, sangen in der Philharmonie, durften eine wunderschöne nächtliche Bootstour am Pearl River genießen und wurden auf Wunsch in jeden Starbucks oder Shop unserer Wahl chauffiert.

Andererseits

Andererseits gab es aber auch jene Welt, die wir von unserem Hotelzimmer im 31.Stock aus sahen. Hinter den überdimensionierten Einkaufszentren der Beijing-Road, auf die wir runtersahen, waren bitterste Slums. Die Leute saßen auf der Straße und hatten gar nichts.
Man kann sich die Armut und das Elend der Leute (und den Gestank in den Straßen) gar nicht vorstellen. Baracken, die als Unterschlupf dienen sollen, Kinder, die in Bergen von Plastik-Ramsch spielen, den die Eltern uns Touristen andrehen müssen, um für die Existenz ihrer Familie zu sorgen. Menschen, die den tage-alten, stinkenden Restmüll eines Restaurants mit bloßen Händen durchsuchen, weil sie Hunger haben.
Rostige Fahrräder, die meterhoch mit Plastik oder Karton beladen sind, die der fleißige Sammler vielleicht gegen ein paar Cent tauschen kann. Die Welten haben eigentlich keine Berührungspunkte mehr und stehen aber doch in direktem Zusammenhang zueinander. Hier leben bitterste Armut und unermesslicher Reichtum Tür an Tür. Das Schicksal entscheidet, ob Buben und Mädchen in Penthäuser oder Hinterhöfe hineingeboren werden…..

Und wir?

…. Nach einem Monat wieder daheim ist uns eines am meisten im Gedächtnis geblieben – wie gesegnet wir hier in Europa, in Österreich doch sind.
Wir haben ein freies Land in dem Frauen und Männer sagen dürfen, was sie denken, sich frei bewegen können, selbst entscheiden, wie sie ihr Leben gestalten wollen. Wir haben so viele Möglichkeiten und zu entfalten und unser Leben zu genießen. Wir haben ein funktionierendes Gesundheitssystem, wir haben saubere Supermärkte, haben Google, Youtube und Facebook. In hektischen Zeit vergessen wir oft, dass das eigentlich für viele Menschen nicht selbstverständlich ist.Wir freuen uns sehr über das positive Echo in den Medien, über die vielen Gratulanten und Freunde, die unseren Erfolg mit uns gefeiert haben. Und doch wollen wir euch allen auch noch mitgeben, dass ihr euch nicht nur für uns sondern auch für euch freuen könnt.“

Das werde ich bedenken und bedanken, wenn ich auf meinen vier Routen in die Arbeit bequem und mit Chauffeur hin und zurück fahre. Dort ein warmes und schönes Büro und wieder zurück ein warmes und gemütliches Daheim. Dann denke ich an Bad Leonfelden, den Bürgermeister, der für Asylsuchende vor Weihnachten nicht einen Funken einer „Route“ ermöglicht hat. „Zum Fremdschämen„, wie Bert Brandstetter es treffend benennt.

[Quelle kursiv: Newsletter von LALÀ am 12. 12. 12]