Kein Wort für Armut und Entwicklung

4_vkDer Friedhofgang liegt hinter mir. Eine tiefe Traurigkeit und Schwere wurde durch die Liturgie und mit den Musikstücken über den wunderschönen sonnenbeschienenen Waldfriedhof gelegt. Ich denke an New Orleans, wo an diesem Tag Fröhlichkeit am Friedhof herrschte. Diese Menschen hier sind angekommen – auch mein Vater und meine Großeltern – und wir dürfen uns aus unserem Glauben heraus darüber freuen. Die ganze Verwandtschaft kommt, sich um das Grab zu versammeln. Mein Neffe Stefan hat heute seine Welthaus-Gäste aus Bolivien Iván Fernando Lahor und Juan Manuel Laura mitgenommen. Sie stehen am Grab mit dabei als gehörten sie schon immer zu unserer Familie. Nachher treffen wir uns in unserem kleinen Haus zum jährlichen Verwandtschaftstreffen unter dem Motto: Ist die Hütte noch so klein, passen doch wieder alle rein. 25 Personen heuer und die beiden Gäste aus Bolivien. Beim LALA-Konzert in Steyr sind wir einander erstmals begegnet. Es ist uns eine Ehre, sie unter unserem Dach zu haben. Auch sie sagen: Bei uns in Bolivien wird zu Allerheiligen am Friedhof getanzt.

Spezialisten des „guten Lebens“

2_stSprachlich erleben wir unsere Begrenzungen. Einzig spanisch. Aber Kathi und Michaela sind dessen mächtig und so können wir uns gut austauschen. Es dauert ohnehin nicht wirklich lange und dann tun wir das, was alle Menschen verbindet: singen. Unsere Gäste sind Gäste von Welthaus hier in Österreich. In ihrer Partnerschule in Haag erzählten sie von ihrem „guten Leben“ in Bolivien. Was mich am meisten beeindruckt hat: In ihrer Gegend in Bolivien kennen sie im Sprachschatz die Wörter „Armut“ und „Entwicklung“ nicht. Es ist dort undenkbar, dass Menschen, die für uns hier „herausfallen“, dort nicht von der vernetzten gemeinschaftlichen Struktur mitgetragen werden. Dort ist niemand arm, weil jeder und jede an den Möglichkeiten teilhaben kann, die alle vorfinden. Unser Gesellschaftssystem kennt diese „intrinsische Kraft des Zusammenhaltes“ nicht mehr. Der „Markt“ hat diese Art der Verbindung unter uns zu einer Geschäftsbeziehung gemacht. Versicherungen, Hilfseinrichtungen usw sind die organisierte Folge. Beide Gäste singen, summen mit und haben ein Lächeln in ihrem Gesicht. Der Schuldirektor und Musiklehrer für 700 Kinder und Jugendliche von 5-18 sitzen bei uns. Das Wort „Entwicklung“ fehlt ihnen auch. 3_stSie sehen alles im Wachsen und im Vergehen. Was wir Nullwachstum nennen, ist dort in Bolivien die nachhaltigste Form zu leben. Mir kommt der Titel der Freitagzeitung in den Sinn: „Wirtschaft steht still“. Gemeint ist, sie wächst nicht. Aber sie steht doch nicht still. Hallo. Wo ist das Wording mit uns hingekommen? Die indigenen Völker in Bolivien können für uns die Lehrmeisterinnen sein im „Balance finden“ von „viel mehr wesentlich weniger“. Acht kleine Kinder treiben sich spielend durch das Haus und ich denke mir: Schön, dass sie diesen bolivianischen Geist „mitatmen“. Und wieder stimmt die Erfahrung zu 100%: Fremde sind Freunde, die ich noch nicht kennengelernt habe.