In diesen Tagen kommt mir immer wieder die Geschichte unter, die ich als Erzieher im Petrinum 1979 erlebt habe. Ins Gedächtnis gerufen wird sie mir beim Lesen des Buches von Alan Webber „Rules of Thumb“. Außerdem habe ich dieser Tage von einem Organisationsberater gehört, dass jene Firmen und Organisationen auf Zukunft hin besser aufgestellt sind, die mit dem Bild der Expedition arbeiten und weniger mit „stabilen Daseinsformen“. Die Solidarität der Ägypter steht noch dazu im Raum. Alles das erlebe ich auch immer wieder beim Gehen: In der Bewegung liegen viele Lösungsbilder, damit Menschsein gut gelingen kann.
Gedachte und gelebte Solidarität
1979 hat es im Petrinum „das gemeinsame Studium“ gegeben. Als „Präfekt“ habe ich alle in den Studiersaal zusammengerufen, habe selber meine Skripten geholt und dann war es eineinhalb Stunden still. Das war die Voraussetzung für intensives Lernen. Auch an einem Samstag nachmittag habe ich wie vorgesehen um 16.30 Uhr zum Studium gerufen. Die Begeisterung hielt sich in Grenzen. Schönes Wetter, der Fussballplatz und anderes stand dagegen. Wiederwillig sind alle gekommen, in die beiden nebeneinander liegenden Studiersäle. Es wurde nur widerwillig ruhig. Bin ich im Studiersaal A gewesen, hörte ich aus B alle gemeinsam rufen: „Wir wollen nicht studieren.“ Darauf ging ich schweigend in den Raum B. Da hörte ich aus A genau dasselbe. So ging ich schweigend und ruhig 2-3 Mal hin und her. Dann war es ruhig, „muxmäuschenstill“ bis 18 Uhr. Alle waren gespannt, was ich kurz vor dem Abendessen sagen werde. Bis dahin habe ich kein Wort verloren. Ich selber konnte in dieser Stille gut meine Theologie studieren.
Hättet ihr gemeinsam gerufen
Kurz vor dem Abendessen habe ich dann meine „Erklärung“ abgegeben und ihnen den Wert der Solidarität verdeutlicht: „Hättet ihr in beiden Sälen gemeinsam gerufen, dann hätte ich nicht gewusst, wie ich dem begegnen soll. So aber ward ihr entsolidarisiert und ich konnte allein durch meine Anwesenheit euch still machen. Wenn ihr im Leben etwas erreichen wollt, dann müßt ihr alle GEMEINSAM rufen. Das ist Solidarität.“ Die damals 14-Jährigen haben gestaunt, weil ich mit keinem Ton oder Unterton geschimpft habe, sondern das zum Anlass nahm, ihnen die Solidarität zu erläutern.
Die Erfahrung am Wandertag
Ich selber habe mich einige Tage immer wieder gefragt, „ob sie das verstanden haben und was ist, wenn sie das tatsächlich anwenden“. Ich war skeptisch bis zu dem Augenblick, wo sie von einem Wandertag auf die Gis mit ihrem Klassenvorstand zurückkamen. Einige erzählten mir. Sie hatten keine Lust, so weit zu gehen (siehe 15 Jahre alt). So haben sie beschlossen, dass sie in Lichtenberg nicht mehr weitergehen. Alle haben sich auf die Straße gesetzt und sind trotz mehrfacher Aufforderung durch den Klassenvorstand nicht mehr weitergegangen. Er ist verzweifelt und wusste sich nicht mehr zu helfen. Sie waren solidarisch und der Klassenvorstand konnte nichts mehr machen. Sein „Glück“ war, dass nach längerer Zeit eine Mädchenklasse der Kreuzschwesternschule auch auf die Gis ging und dort vorbeikam. Da sind einige der Burschen „schwach und unsolidarisch“ geworden, wie sie nachher zu mir meinten. Sie haben sich den Mädchen angeschlossen und der Klassenvorstand kam nun doch mit allen auf die Gis. Er ist aber nächsten Tag zu mir gekommen und hat sich bitter beschwert, „dass ich ihnen einen solchen Blödsinn beibringe“.
Heute bin ich froh, dass ich schon zu der Zeit ein wenig außerhalb der „üblichen pädagogischn Box“ versucht habe, den Schülern vielleicht Lebenswichtiges mitzugeben. Und Solidarität gehört doch wohl dazu, oder?