Lebe ich oder werde ich gelebt

IMG_3866Da fallen einem so Bücher in die Hand, weil andere an einen denken und meinen, es passt zu mir. Der Geburtstag hat mir das Büchlein „Regelrecht verrrückt“ in die Hände gespült. Danke. Es geht um die Benediktsregel für Optimisten. Das war der Link für den Schenker, weil er mich kennt. Orden, Regel, Optimist. Stimmig.

Das Kapitel „Zeit“

„Immer weiter, immer schneller, immer hektischer – man hat weder Ruhe noch Gelegenheit, in sich hineinzuhören.“  So beginnt das Kapitel getitelt mit „Zeit“. Der Alltag wird als laut beschrieben. Das Wort hektisch kommt vor und ich mag es nicht. Die innere Stimme wird angesprochen, gelassen werden und die Uhr einmal nicht brauchen. Die Sehnsucht heute. Das stimmt alles. Und dann bin ich geneigt, hier lange zu zitieren: „Wo aber findet der Mensch Orte, an denen er zur Ruhe kommen und sich dem Zeitdruck entziehen kann? Für stressgeplagte, termingehetzte Frauen und Männer scheint es unvorstellbar, sich für einige Tage in ein Kloster zurückzuziehen, um intensiv zu spüren, zu erspüren: lebe ich oder werde ich gelebt?“ Dann wird das Klischee geschildert, das viele abschreckt: Hinter Klostermauern hausen Menschen, die allem Weltlichen entsagt haben und völlig vergeistigt sind. Wer sich dann doch auf das Abenteuer Kloster einlässt, ist keinesfalls verrückt, sondern rückt vielmehr in eine besondere Atmosphäre ein.

Das Diktat der Zeit

IMG_3865„Vielleicht rümpfen manche die Nase: Ist ein solcher Ausstieg nicht gefährlich? Kann das einen Karriereschaden anrichten? Tage ohne Terminkalender, ohne Handy, ohne Computer und Internet, Stunden ohne das Diktat der Zeit? Im Kloster scheinen die Uhren anders zu ticken. Für manche klösterlichen Gast fällt es wie Schuppen von den Augen: Mönche und Nonnen verschenken Zeit an andere, wenn sie stundenlang singen und beten. Sie teilen Zeit, wenn sie mit Gästen reden, ihnen zuhören, offen für ihre Anliegen.“ Es geht weiter, dass auch in den Klöstern Uhren sind. Die Zeit hat dort aber eine andere Qualität. „Sie wird nicht vertrödelt, nicht totgeschlagen, sondern diszipliniert und verantwortungsvoll genutzt.“ Der Rhythmus der Zeit von Arbeit, Lesen und Gebet gibt eine neu Qualität. Da wird es leichter zu leben anstatt gelebt zu werden. Da besteht die Chance, das zu hören, was in einem drinnen steckt.

Du hast es in dir

Foto: Katrin Bruder

Foto: Katrin Bruder

Ich lege das Buch zur Seite. Die Zeit schreitet dahin. Um 21 Uhr beginnt der Film: „Madame Mallory und der Duft von Curry“ am Fleischmarkt. Eine wunderbare Geschichte einer indischen Familie, die in Frankreich „landet“. Der Sohn ein wunderbarer Koch. Es geht um Sterne. Um Konkurrenz und Annäherung. In jedem Fall hört der junge Koch von seiner Meisterin nach dem Verkosten des Omlett’s: „Du hast es in dir.“ Gemeint hat sie das Gespür für das Kochen, für einen Meister im Kochen. Wem wird das heute zugesagt: Du hast es in dir. Lebe das aus, was in dir steckt. Interessant am Film auch, dass der begnadete Koch alte Rezepte neu würzt. Er kommt aus Indien. „Sie können doch nicht einfach ein 200 Jahre altes Rezept verändern.“ Darauf sagt er aus sich heraus: „Vielleicht sind 200 Jahre schon genug.“ Da bin ich wieder bei den Regeln der Orden, bei den Ritualen, den „jahrhunderte alten Rezepten“, den Gewohnheiten. Es geht nicht um die Veränderung, sondern darum, ob das herauskommen darf, was in den Menschen heute drinnen steckt. Die tiefe Berufung. Im Film war es der Koch. Im Buch bin ich noch nicht ganz fertig. Im JAHR DER ORDEN wird es irgendwie auch darum gehen. Neues und Altes neu abschmecken.