Pilgern im Wir von Waldsassen nach Volkenroda auf der Via Porta

1_IMG_501423 Personen brechen auf. Wir kennen einander nicht, nur zwei Ehepaare sind jeweils einander vertraut. Welt der Frau hat eingeladen und das Reisebüro Weltanschauen war mit der Vorbereitung der Reise betraut. Die Chefredakteurin Christine Haiden erhöhte die Zahl für drei Tage auf 24. Ich durfte als Weg- und Pilgerbegleiter „mitgehen“. Meine Erfahrungen vom März und April 2012 (24 Tage) flossen als eine der internationalen Routen in das Buch „Neue Wege“  ein. Die erste „Reise“ sollte ins Kloster Volkenroda führen. Insgesamt standen 9 Tage zur Verfügung. An acht Tagen sind wir insgesamt mehr als 150 Kilometer gegangen, bei jedem Wetter.  Die „vorgenommen und geplanten“ Strecken auf der Via Porta sind wir gepilgert. Alle sind am Ziel zu Fuß angekommen. Das war bewegend, nicht nur für mich.

Gehen führt Menschen zusammen^^

2_IMG_5076Die erste Fuß-Strecke von Mitterteich hat nach einer 4,5 stündigen Busfahrt alle in Bewegung gebracht. Nicht wenige waren dabei, die noch nie mit Rucksack mehrere Tage unterwegs waren. Zwei waren schon alleine wochenlang als Pilger am Jakobsweg unterwegs. Unterschiedlichste Voraussetzungen für unsere gemeinsamen Tage. Die Erfahrung lehrt, dass sich in den ersten drei Stunden eigentlich alle „Begrenzungen“ (Blasenandeutungen, Rückenbeschwerden, Rucksackgewicht) zeigen. Jetzt heißt es, sie gut und positiv in der Gruppe auf den Weg hin zu transformieren. In der Abtei Waldsassen kommen alle an. Wir sind in Bewegung und bekommen eine wunderbare Bleibe. Sr. Sophia zeigt uns des nächstens die wunderbare Bibliothek und somit war die Welt rein äußerlich wieder in Ordnung. Es zeigt sich: Es geht für und mit allen.
[Mitterteich – Abtei Waldsassen]

Weites Gehen ist heilsam

3_IMG_5132Von Waldsassen brechen wir etwas gespannt auf nach Hohenberg an der tschechischen Grenze. Erstmals begegnen wir dem „grünen Band“ und der unglaublichen Naturvielfalt bei unserem Gehen und Pilgern im weitläufigen Gelände. Das Wetter ist uns gnädig und lässt uns im Trockenen gehen. Beim Gespräch mit der Leiterin des internationalen Jugendbildungszentrum stellt sich heraus, dass gerade diese Ecke Bayerns durch die Pleite der Keramik und Glasindustrie („Man bekommt ja heute alles billigst aus China.“) mit groben Problemen zu kämpfen hat. Die frühere Jugendfürsorgerin weiß genau bescheid über den Drogen-Umschlagplatz in dieser Gegend. Wir spüren: Unser Pilgern ist ein „Welt anschauen“. Das stundenlange Gehen hat müde und hungrig zugleich gemacht. Das gewohnte Mittagessen wurde individuell überbrückt. Eine abendliche Runde im Sinne von „Zeit für Jetzt“ war sehr persönlich und jede und jeder schilderte die Motivation für das Mitgehen und woher er oder sie kommt. Tief berührt und bereichert gehen wir früh schlafen. Ein großer Schritt zum Wir, zum  Zusammenwachsen zu einer Pilgergruppe ist geschehen. Es wird schon gesungen.
[Waldsassen – Hohenberg]

Weite Wald- und Feldwege und Improvisation

4_IMG_5274Der Geh-Motor ist bei allen angesprungen. Schmerzhafte Begleiter in Form von Blasen oder leichten Rückenschmerzen sind mit dabei. Aus Erfahrung sage ich: Das ist normal in einer so großen Gruppe. Mit Erfahrungen und Material wird einander das Gehen leichter gemacht. Mein Impulse führen auch dorthin, das ganze Leben zu sehen. Ich selber spüre die kleine Zehe. Wohlgemerkt: Spüre und sie schmerzt nicht. Die erste Geh-Etappe beschließen wir in Marktleuthen. Der Bus bringt uns nach Lehesten am Rennsteig in Thüringen direkt in den Schieferpark. Der ehemalige Geschäftsführer gibt uns einen sehr persönlichen Einblick in die Zeit des Schieferabbaues, des Rückganges und schließlich der Schließung und Flutung der Grube. Wir spüren seine inneren Schmerzen. Wehmut liegt im kalten Raum. Wir schauen wieder ein Stück Welt ganz authentisch und erlebbar.
[Hohenberg – Marktleuthen]

Es muss auch geregnet haben

Hier stand der StacheldrahtWer nur bei Sonne unterwegs ist, hat das halbe Pilgerleben versäumt. Deshalb hat es am vierten Tag in aller Frühe stark geregnet. Wir haben uns alle regenfest gemacht. Wir gehen trotz starkem Regen. Eine eigene Erfahrung. Noch dazu an dem Tag, wo wir mehrmals die Todesgrenze und das ehemalige Sperrgebiet durchpilgern. Zeit, ein weniger stiller zu sein und die Gespräche auf diese dunklen Jahre der Grenzziehung zu lenken. Ein Mahnmal für die umgekommen Flüchtenden lässt uns ruhig werden. In Spechtsbrunn übernachten einige, andere in Lichte. Sie ist jener Teil unserer Gruppe, „der im Lichte war“. Der Wirt lässt uns wissen, wie voll die Gaststube früher war und wie wenige heute in diese Grenzregion kommen. „Früher war nicht alles schlechter“, ergänzt er unverbittert unser „Wissen“. Es hat auch nicht den ganzen Tag geregnet, auch wenn es der Regentag war.
[Lehesten – Spechtsbrunn]

Der Wald als Schutzmantel

6_IMG_5393Früh am Morgen brechen wir auf. Der Nebel begegnet der Sonne über Spechtsbrunn. Das weite Land wird mit Wattebauschen berührt. Eine zarte Stimmung liegt in der Luft. Unser Morgenimpuls geht über und mit diesem Land, das so lange eine Trennlinie war. Ab jetzt bleiben wir am Rennsteig in Thüringen. Die Wege sind nass und doch so wunderbar. Der Wind lässt die Bäume über uns wanken, nicht aber unser Füsse und unsere mentale Kraft. Ein schönes und starkes spirituelles Band hält unsere Gruppe zusammen, ein „mentales Gummiringerl“. Der Aussichtsturm steht da. Im Nebel. Wer hinaufgeht, kann den Nebel noch viel deutlicher Sehen. Das tut unserer positiven Stimmung keinen Abbruch. Der Wald schützt uns heute. Der Nebel hat seine Reize und in Limbach glauben wir am Ziel zu sein. Nein. Das Gasthaus Thomas Müntzer ist 2 km in Richtung Tal. Ein Neuaufbruch ist auch für 2 km gar nicht so leicht. Dafür erleben wir einen gesprächigen und taffen Wirt, der als ehmaliger Heimleiter des Hauses privat investiert hat und eine tolle Arbeit macht.
[Spechtsbrunn – Limbach Gasthaus Müntzer]

Wehmut am Fenster

7_IMG_5457Der Tipp des Wirtes ermöglicht uns einen wunderbar gleichmäßigen Aufstieg zurück zum Rennsteig. Es muss ein alter Weg hinunter in die Mühle gewesen sein. Kaolin wurde hier abgebaut und in der alten Mühle im Tal gemalen und so wieder zurück zur Verarbeitung gebracht. Auf der Friedrichshöhe, der kleinsten eigenständigen Gemeinde mit ca. 30 Einwohnern, kehren wir ein im Gasthaus „Zum Rennsteig“. Eine allgegenwärtige Bezeichnung. Nach unserer Rast warten wir vor der Tür zusammen und einige beginnen zu singen. In Sekundenschnelle war eine Mehrstimmigkeit da. Die alte Wirtin steht am Fenster und hört sichtbar wehmütig zu. Genau das muss früher oft der Fall gewesen sein am berühmtesten Weitwanderweg Deutschlands, „Am Rennsteig“. In Masserberg angekommen, kommt uns der Bus schon entgegen, der uns nach Behringen überstellt.
[Limbach – Masserberg]

Gott vergessen

8_IMG_5596Das Schlosshotel Behringen nimmt uns auf. Wir besuchen den evangelischen Pfarrer der Gemeinde. Das offene und ehrliche Gespräch lässt uns die Welt wieder neu schauen. „Die Menschen haben vergessen, dass sie Gott vergessen haben.“ Das trifft. Sonntagsgottesdienste werden nicht mehr regelmäßig gefeiert, weil keine Mitfeiernden kommen.  Leere Riten finden keine Menschen. Er selber ist ein bunter Vogel. Er kann gut mit der Jugend. In der Baude am Weg nach Weberstedt erzählt uns der Hüttenwirt, „dass der Uwe sehr viel bewegt, vor allem bei der Jugend.“ Für mich ist fast unerträglich, die Sonntagsgemeinschaft zu verlieren. Der Übergang durch den Nationalpark „Hainich“ ist nächsten Tag unglauchlich nährend. So viele Farben ist der Herbstsonne im größten Laubwald Deutschlands vergoldet auch die eigene Seele. Den Abend in der Herberge verbringen wir singend und fast ein wenig „ausgelassen“. Wir spüren, dass wir schon nahe am Ziel sind.
[Behringen – Weberstedt]

Ankommen und ganz tief durchatmen

9_IMG_5814Die letzen 23 km waren freudig und „zach“ zugleich. Die erste Hälfte war  auf Gehwegen zwischen den Ortschaften bis nach Altengottern. Dort haben wir in einem Gemeindezentrum etwas zu trinken bekommen. Es war kalt und der Bodennebel hat sich in die Kleidung und das Gemüt eingeschlichen. Die letzten 11 km gingen entlang von riesigen Feldern. Vögel und Insekten haben hier keinen Raum. Wir stellen uns alle Natur vielfältiger vor. Auch die landwirtschaftliche Nutzung sollte das berücksichtigen. Die letzten 2 km geht es bergan zum Kloster Volkenroda. Zwetschkenbäume halten uns auf. Die Natur will uns noch nähren, bevor wir „freudig müde und andächtig“ die fast unscheinbare Klosteranlage betreten. Wir gehen in die die älteste erhaltene Zisterzienser-Kirche, die heute das Zentrum der ökumenischen Kommunität ist. Wir setzen uns einfach nieder und atmen durch. Wir sind da. Einige haben Tränen in den Augen, weil sie es geschafft haben. „Dankbarkeit“ ist das Wort, das uns erfasst und weniger „Leistung“. Wir beten das Vater unser und singen mehrere Lieder. Wir sind 91_IMG_5834zusammen gegangen, gewachsen. Im mehrstimmigen Singen spüren wir das „Wir“, das sich entwickelt hat. Sr. Johanna zeigt uns die Pilger-Unterkunft, den Christus-Pavillon und das Kloster. Lothar lädt uns ein, an der „Sonntagsbegrüßung“ teilzunehmen. Ein tiefes Ritual in Anlehnung an das Judentum. Singen, beten, Kerze anzünden und Agape bei Brot und Wein. Am Sonntag feiern wir noch den Gospel-Gottesdienst mit. Ein wunderbare Stimmung und ein ganz kräftiger Ort im vereinten Europa. Frau Ulrike Köhler, die Initiatorin des Wiederaufbaues und Mitglied der Kommunität von Ledigen und Verheirateten sitzt vorne mit ihrem Mann und zwei der sechs Enkelkinder.
[Weberstedt – Volkenroda]

Bitte um Verständnis bei den MitpilgerInnen: Es lässt sich nicht alles in Worte fassen.

Kloster Volkenroda

Via Porta

Abtei Waldsassen

 

 

 

 

 

 

1 Kommentar

  1. Danke Ferdl für diesen eindrucksvollen und stimmungsvollen „Reisebericht“. Ich habe schon beschlossen: nächstes mal bin ich selber auch dabei und organisiere nicht nur im Hintergrund. Christoph

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