Sie gehören nicht mehr dazu

„DIE ZEIT“ flattert heute mit der Post ins Haus. Natürlich denke ich immer spontan, wenn doch die Zeit in dem Ausmaß, was das Format der Zeitung ist, anwachsen könnte. Es lohnt sich aber immer, die Zeit für DIE ZEIT zu dehnen und zu nehmen. Natürlich wären da auch süddeutsche Zeitungsgegenden bis hin nach Zürich zu NZZ. Heute ist DIE ZEIT hereingeflattert und die Headline, der Aufmacher, der Hingucker lautet: „Ich gehöre nicht mehr dazu.“ Aber bevor Seite 13 und 14 auftauchen, blättere ich noch über Schäubles Sager: Das ist Blödsinn – drüber. Dann Seite 13. Ja. 13. Es geht um ein Konto in der Schweiz und Steuerhinterziehung und im weiteren Sinne den Fußball. Aber nicht direkt.

Es war der Kick, pures Adrenalin

DIE ZEITDas Interview beginnt mit der Frage: Bereuen sie? „Ja, ich bereue das, unendlich.“ Das klingt jetzt nicht nur nach Lebensbeichte. Das wird eine. Weiter: „Ich habe eine große Torheit begangen, einen Riesenfehler, den ich so gut wie möglich korrigieren will.“ Da fällt mir der Bäcker Gragger von Ansfelden ein, der beim Workshop ‚Scheitern‘ in Göttweig auch von seinem Konkurs 2002 gesprochen hat und stolz war, dass er nach diesem Desaster noch alle MitarbeiterInnen, Kunden und Lieferanten hat und niemanden zu Schaden gekommen ist. Jahre hat er dafür gearbeitet, sein Versagen zurückzuzahlen. Dort habe ich den personifizierten gelebten Wert der Ehrlichkeit vor mir gesehen. Aber zurück zu Hoeneß und seinem Beichtgespräch mit den zwei Beichtvätern und der Beichtmutter von der ZEIT. „Wissen sie, nur eine Sache ist wirklich gut an meiner katastrophalen Situation. Ich hatte all die Jahre ein schlechtes Gewissen wegen dieses Kontos in der Schweiz. Und damit ist jetzt Schluss. Das ist die große Erleichterung.“ Ich höre das Durchatmen und das Aufatmen. Fast möchte man dazuhören. Ego te absolvo! Aber das ginge zu schnell. Da ist über die Jahre viel im Unterbewusstsein an dieser Person geformt worden. Das kann man nicht einfach „weglösen“.

Ich schwitze und wälze mich

KKHDas Interview geht weiter. Ein gejagter und gefangener Mensch, obwohl er keinerlei Fessel an sich hatte. Nein: Das  Geld. Die Gier. Der Kick. Adrenalin pur. In die Mitte des Interviews rück ein Satz, der diese unglaubliche Unfreiheit der „Viel-Haber“ beschreibt: „Ich schwitze in der Nacht, ich wälze mich. Und denke nach, denke nach und verzweifle.“ Jetzt wird es heiß. Warum spricht er mit niemanden über diese „heiße Last“? Da gibt es eine Heerschar von „professioneller Hilfe“ bis hin zu SeelsorgerInnen, die genau dafür da sind. „Ich gehöre nicht mehr dazu“ wird getitelt. So stelle ich mir das längst vorher vor. Er hat schon längst nicht mehr zu den normalen freien und beziehungsfähigen Menschen gehört, weil „diese Welt“ gar nicht zur „Welt der Menschen“ gehört. Sie gehören alle nicht mehr dazu. Sie haben sich abgesondert und treiben sichg abseits des Lebens durch die Hölle, wie man an Hoeneß sehen kann. Dann erinnere ich mich an jenden Bankmanager, der jene Kunden betreut, die zwischen 10 und 20 Millionen „eingelegt“ haben. Stress pur für diese Leute. Ich habe damals zu ihm gesagt: Du arbeitest in der Hölle. Er hat verhalten geschmunzelt. Ich erinnere mich an einen Kaffeehausbesuch in Linz, wo ein Mann mit dem STANDARD am Nebentisch recht laut und deutlich mit seinem Anleageberater telefoniert, „weil meine Wertpapiere angeblich nur bis 20.000 EUR staatlich abgesichert sind“. Der Kaffee hat ihm nicht wirklich geschmeckt und sein Gesicht war „verspannt“. Festhalten. Nur nicht loslassen. Sie gehören alle nicht mehr dazu – zum Leben.

[DIE ZEIT vom 2. Mai 2013, Nr. 19]