Tag15: Wir haben viel zu viel gearbeitet

15_traun1_IMG_4570#Klimapilgern ist ein Gehen dem fluiden Element entlang. Es fließt. Links das Wasser und daneben ein schmaler Pfad. Ein Stück gehen die mehr als dreißig KlimapilgerInnen schweigend dahin. Die Sonne wurde von einem kräftigen Ostwind freigeweht. Immer wieder das Glitzern des Wassers, das Rauschen der Wellen. Der Weg führt der Traun von Wels nach Lambach entlang. Ich genieße diese Strecke. Sie ist neu für mich und eine Frau meint etwas nachdenklich: „Warum fahren so viele Menschen so weit fort, wenn es da in unserer Nähe so schöne Platzerl gibt?“ Wir reden länger darüber, was Werbung und Medien in den Köpfen der Menschen vermögen. Es wird eine ganz tiefe Unzufriedenheit mit dem Hier und Jetzt geschürt. So entsteht die Sehnsucht nach dem ganz Anderen, obwohl ich das Eigene noch gar nicht kenne. Das wird 15_baum_IMG_4561gepaart mit einem Art touristischen Herdenstatus („In …. musst du gewesen sein.“) gekoppelt und dem „Billigflieger“ zugeführt. Das große „Weglaufen“ kann beginnen. Beim Alleingehen kommen mir die Massen an Fluggästen unter und die Erwartung, „dass Wirtschaft wachsen muss“. Und einige Sekunden später höre ich in meinem Kopf, dass bisher 7 % der Weltbevölkerung in einem Flieger gesessen sind. Undenkbar, wenn nur 20% die Idee eines Urlaubes „unseres Formates“ ins Auge fassen. Für die Welt, das Klima und den Menschen ginge das voll ins Auge. Die Welt würde den Menschen abwerfen.

Zurück zum fluiden Element

Vom Bildungshaus Puchberg sind wir fast eine Stunde durch die Stadt Wels gegangen. Gehsteige, Straße, Autos und Asphalt. Die alte Traunbrücke ist das Signal, dass weitere PilgerInnen wie Margit Hauft oder Pia, die uns immer wieder am Wochenende begleitet, 15_hauft_IMG_4543dazukommen. Das ausschließlich feste Element durch die Stadt wird durch das fluide Element Wasser ergänzt. Meine Erfahrung ist, dass ich viel leichter und beschwingter gehe, wenn Wasser im Spiel ist. Das ist auch in den Bergen so. Die vielen Bäche im Virgental in Osttirol sind ein belebendes Element, das mir im Toten Gebirge irgendwie fehlt. Wasser, das fluide Element, ist ein Lebensmittel, das nicht nur zum Trinken, sondern auch für meine Seele gut und wichtig ist. Zu vieles ist in unserer Gesellschaft ausschleißlich kristallin, fest geworden. Ein Beispiel: Das Geld hat sich verfestigt und ist nicht mehr das fluide Tauschmittel für reale Produkte oder Dienstleistungen. Bei der Familiensynode habe ich (gezwungener Maßen durch das Klimapilgern) von  Ferne betrachtet den Eindruck, dass Papst Franziskus den Beton der Hierarchie durch fluide synodale Elemente umspült, ja wesentliche Fragestellungen wie die Wiederverheiratet-Geschiedenen in das fluide Element des 15_asphalt_IMG_4536Gewissens setzt. Es bewegt sich. Und #LaudatoSi ist ein gelungener Impuls, das starre kristalline, alleine technische Menschenbild durch das fluide Element der Spiritualität und Verknüpfung zu relativieren, ja von dort her zu entwickeln. Das fluide Element haben wir vergessen. Das synodale Element wurde in der katholischen Kirche in den Jahren vor Franziskus sogar desavouiert. Das macht uns auch das Thema und die Realität der Flüchtlinge so schwer: Viele können deshalb mit der derzeitigen Flüchtlingsbewegung so schwer umgehen. Auch der Radfahrer am Damm an der Traun.

Wir dürfen uns nicht wundern, wir sind selber schuld

15_trans_IMG_4587Vor mir ist die über dreißigköpfige Pilgergruppe hintereinander in diesen schmalen Traunweg eingebogen. Ich bin ganz hinten und ein Radfahrer fragt mich: „Seid ihr da mit Flüchtlingen unterwegs?“ Ich schaue der Gruppe nach und denke mir: Ja, so könnte es ausschauen. Wäre eine denkbare Variante. Er gesteht, dass er sich mit der „Flüchtlingswelle“ schwer tut, obwohl er vor 20 Jahren einen Flüchtling aufgenommen hat. „Wo führt das alles hin?“ Ich versuche ihm wie vielen anderen in solchen Situationen das „Why“ zu erklären: Krieg, Gewalt, starre und tödliche Gesellschaftssysteme, Lebensmöglichkeit, Überleben wollen. Er denkt laut mit seinem Fahrrad stehend: „Wir sind ohnehin selber schuld. Wir haben viel zu viel gearbeitet. Wir haben zwar materiellen Reichtum aufgebaut, aber vieles an 15_lambach_IMG_4602Zwischenmenschlichem ist dabei verloren gegangen. Die Kinder und Jungen sind ausgeblieben oder weggezogen.“ Er deutet auf die Häuser hinter ihm: „Die Häuser sind fast leer. Keine Nachkommen. Wir brauchen Menschen, die das weiterführen.“ Ich frage ihn: „Und warum wehren wir uns gegen die, die das tun könnten?“ Er ist nachdenklich: „Die Flüchtlinge können viele Dinge viel besser wie unsere Leute, die dann keine Arbeit mehr bekommen.“ „Die eigene Schwäche schürt also unsere Angst?“ Er nickt. Die Gruppe ist längst im Auwald verschwunden. Ich muss hinterher. Wir verabschieden uns und er meint: „Ist eh wichtig was ihr da tut. Alles Gute.“ „Nur keine Angst. Gutes Weiterradeln.“ Er lächelt, dreht sich um und tritt in die Pedale. Das Leben ist ein Hin und Her von „fluiden und kristallinen Elementen“. Auch in den Gesprächen. Wichtig bleibt das Hin und Her. Der Blick auf den Weg ist mindestens so wichtig wie der Blick in das fließende Wasser. Einfach schön heute. Wäre schade, wenn der Mensch diese Welt verlieren würde. Als Grundlage.