Wann haben sie sich Gott nahe gefühlt

Die Antwort ist ganz ruhig gekommen: „Jedes Mal, wenn ich in die Kirche gehe, wenn ich einen Mitchristen treffe oder wenn ich helfe.“ Die Frage wurde bei der Einvernahme „meines“ Asylwerbers vor dem Bundesverwaltungsgericht in Linz von der jungen, fairen und sachlichen Richterin gestellt. Wann haben sie sich Gott nahe gefühlt?

Besondere Lehrstunden

Eigentlich sollte ich bei der Tagung „Mensch Talent Zukunft“ sein. Es ging dabei um „Persönlichkeitsentwicklung konkret“. Zwei Tage Vorträge, Workshops, Präsentationen. Für mich wieder einmal viele Begegnungen im diözesanen Umfeld. Doch es kam anders. Mein Freund und seit November 2015 immer noch Asylwerber M. I. (besser hier kein voller Name)  hat seine Vorladung zur zweiten Einvernahme bekommen. Er hat mich gebeten, wie bei der ersten Einvernahme „da zu sein“. Der Gerichtssaal war nüchtern, aber neu renoviert. Die Befragung und Verhandlung hat um 9 Uhr begonnen. Zu zweit sind wir da, um unserem „Klienten“ mental und spirituell beizustehen. Aus dem Iran nach U-Haften und Bedrohungen 2015 als „geborener Muslim“ geflohen und heute tatkräftiger Konvertit zum Christentum. Was hat sie am Christentum angesprochen, begeistert? „Die helfen einander. Das habe ich schon im Iran an meinem Arbeitgeber, einem armenischen Christen, gesehen und bewundert.“ Die ganze Fluchtgeschichte, die Situation daheim im Iran, die Schritte der Konversion wurden erörtert. Um 16 Uhr war die Befragung zu Ende. Von 9-16 Uhr haben wir zugehört, wie ein Mensch seine Wandlung, seine Flucht, seinen Wunsch, offen und sicher zu leben, seine Deutschkenntnisse und viele Lebensdetails der Richterin geschildert hat. Sieben Stunden lang – mit einer Mittagspause von 30 Minuten. Maria (sieh war auch als mentale Stütze da) und ich schauen uns öfters an (sagen dürfen wir nichts), mit welcher Ruhe der junge Mensch, der seine Familie im Iran hat, über seine „Lebensentwicklung“ gesprochen hat. Heute arbeitet er voller Eifer, was ein Asylwerber eben arbeiten darf. Eine für mich bewunderswerte Biografie, die dem Bruch durch die Flucht die Stirn geboten hat. Wie ist es ausgegangen, wurde ich bei der Tagung abends gefragt. Wir werden erst erfahren, ob dieser Bescheid positiv ist. Wenn nicht, hat M.I. klar zur Richterin gemeint, die ihn gefragt hat, was ihn erwartet, wenn er zurückkommt: „Sie werden mich sofort einsperren und in Folge umbringen.“ Man mag gar nicht daran denken, dass der Bescheid negativ daherkommt. Ein Detail. Die Richterin hat aus meiner Wahrnehmung maximal 1 % der Zeit Augenkontakt zum Asylwerber. Die meiste Zeit musste sie in den Bildschirm schauen, um die Verhandlungsniederschrift mit dem Schriftführer abzugleichen. Das war nicht ungut, aber ist ähnlich wie in der Medizin. Viele Ärzte schauen die PatientInnen nicht mehr an und haben keinen Blickkontakt mehr. Ein Patient hat einmal zu mir gement: „Der Arzt hat mein Knie nie berührt:“ Die nachfolgende Zeit bei der Tagung „Mensch Talent Zukunft“ hat eine ganz besondere Einfärbung gekommen. Die großen Referate habe ich versäumt. Die sieben Stunden bei Gericht waren wichtiger. Da war ein Mensch mit seinen Talenten, über dessen Zukunft jetzt entschieden wird. Hoffentlich gibt es Zukunft.