Weltanschauen am Pinzgauer Marienweg

Zur Murnauer ScharteDie Normalvariante des Pinzgauer Pilgerweges macht einen tagelangen großen Bogen. Wir gehen die viertägige Direttissima, „Berg und Tal“. In Stuhlfelden oberhalb des Schlosses darf man die Abzweigung „nach oben“ nicht übersehen. Der Weg ist markiert durch zusätzliche ovale Pickerl auf den gelben alpinen Wegtafeln. Neunzehn Rücksäcke wollen getragen werden. In Zell am See ist Treffpunkt und in Lofer „verlieren“ wir einander wieder, aus ganz Österreich und Liechtenstein kommend.

„Treffpunkt Bahnhof Zell am See“, steht auf der Ausschreibung von Weltanschauen. Alle da. Wir nehmen für die ersten Kontaktaufnahmen die „Seeseite“ des Bahnhofes. Das Wetter ist so, dass die Badehose oder der Badeanzug vibrieren sollten. Der Stadtrundgang zeigt uns eine Stadt, die vom Tourismus geprägt ist und doch noch recht „leer“ wirkt. Die internationalen Gäste, vor allem aus dem arabischen Raum, lassen noch auf sich warten. Der Stadtrundgang zur Kirche, den Stadtplatz hinauf zum Stadtamt mit Rosengarten und durch die Fußgängerzone hinunter zum See lässt die ersten Plaudereien am Weg aufkommen. Wir kennen einander noch nicht. Die Pinzgauern Lokalbahn in der Schmalspurausführung schaukelt uns bis nach Stuhlfelden. Das Aussteigen schon ein kleines Erlebnis, weil die Türen immer wieder zugehen. Auch die letzten drei TeilnehmerInnen haben festen Boden unter den Füssen. Da sind wir. Das Platzhaus ist unsere erste Herberge. Vor dem Haus angekommen, kommt uns ein älterer Herr „in die Quere“. Wie es für Weltanschauen gehört, fragen wir ihn nach dem Leben „hier und jetzt“. Es stellt sich heraus, dass wir mit dem Altbürgermeister im Gespräch sind, bis 2004 36 Jahre im Amt und ein engagierter Vernetzer rund um den Nationalpark Hohe Tauern. Mein „Local Detective“ bewährt sich und wir haben gleich ersten Originalsichtweisen unter uns. Die Gespräche sind längst angelaufen. Mit jeder Begegnung dieser Art werden sie „angereichert“. Fremdes bereichert.

Zell am See

Stadtamt Zell am See mit Rosengarten

Pingauer Lokalbahn

Pinzgauer Lokalbahn

Stuhlfelden

Wir treffen den Altbürgermeister

Hinauf und hinunter

Der Schlaf war gut, das Frühstück genauso. Gestärkt suchen wir die Kirche des ältesten urkundlich erwähnten Ortes im Pinzgau auf. Der morgendliche Impuls kommt von Eugen Drewermann aus dem Publik Forum mit den zwei Grundbotschaften: Angst gebiert Gewalt und bedingungsloses Gottvertrauen Liebe. Alles mündet hinein in die Einladung: „Öffne dein Herz und höre.“ Wir singen, mehrstimmig. Es klingt zusammen. Der Aufstieg ist im Morgennebel. Auf halber Höhe strahlender Sonnenschein, dann ein Zwischenstopp auf der Bürglhütte, bevor es zur Murnauer Scharte ansteigt. Auf 1.960 m haben wir 1.100 Höhenmeter hinter uns. Warmer Wind umweht uns, wir bleiben länger sitzen, genießen die Aussichten in alle Richtungen, nach Süden den Großvenediger und Großglockner. Genau das öffnet das Herz und lässt neu hören, vor allem aufeinander, weil eine Teilnehmerin im Finale zur Scharte Krämpfe bekommen hat. Warten, massieren und der Einsatz aller vorhandenen „Mittelchen“ haben alles wieder ins Lot und ins Gehen gebracht. Die Kraft der Gruppe, der Zusammenhalt und die Fähigkeiten einzelner zeigen sich hier. Es gibt diese „Kraft des gemeinsamen Gehens“. Das „mentale Gummiringerl“ bringt das zum Ausdruck. Niemand muss zurückbleiben. Über schöne Wege geht es hinunter, hinaus aus dem Tal. In Vorderlengau, in der Bio-Pension Vorderlengau finden wir unsere Herberge. „Pepi“ wird der „junge Wirt“ gerufen. Er ist der Koch und wir essen hervorragend, biozertifiziert und praktisch alles aus der eigenen Landwirtschaft gemacht. Die nachhaltig-ökolgisch geprägte Seele jubelt. „Weltschmecken“ wäre an diesem Abend vielleicht das Schlüsselwort.

Über Stuhlfelden

Im Oberpinzgau

Murnauer Scharte

Auf der Murnauer Scharte

Bio Pension

Pepi in der Bio-Küche

Vorbei und hinüber

Die Körper, die Füsse, manche Blase, dort und da ein Wehwehchen kommen zum total regional gemachten Frühstück. Nich nur das Gehen lässt „verschmerzen“, auch diese kulinarischen Morgengrüße aus der Bio-Küche. Dazu ein Wetter, das kühler geworden ist und alle Regengüße in der Nacht erledigt hat. Vorbei an den unendlich vielen Hotelbetten von Hinterglemm und Saalbach steigen wir auf zum Spielberghaus. Im Schweigen tun wir es, weil uns der Morgenimpuls von Dalai Lama gesagt hat. „Ein ständig erregter Geist stellt ganz einfach nicht den notwendigen inneren Raum zur Verfügung, um in eine Selbstreflexion einzutreten.“ Der wunderbare Pfad kombiniert mit dem Atmen am Weg hat diesen inneren Raum geöffnet, meinten einzelne Teilnehmerinnen und Teilnehmer  oben auf 1.300 m vor der Mittagsrast. „Das war jetzt wunderbar.“ Oder: „Fein war das.“ Über eine Stunde lang genißen wir im Bleiben, um dann recht flott die Grenze Salzburg Tirol zu überschreiten und nach Hochfilzen hinüberzugehen, vorbei an einem aufgelassenem Magnesitbergwerk und unter der aktiven Magnesitseilbahn durch. Ein Sturz macht einem Oberschenkel zu schaffen. Aber es geht, geht weiter. Gott sei Dank nichts Ernsthaftes. Als Guide danke ich den „Schutzengeln“. In Hochfilzen spüren wir die Müdigkeit, ein Stück Erschöpft-Sein und setzen uns in die Maria Schnee Kirche. Auch hier geht sich ein mehrstimmiger Gesang aus. Das „fairHOTEL“ ist unser Ziel, das wir alle gemeinsam erreichen. Im benachbarten Gasthaus warten etwas länger auf das Abendessen und merken, dass unser Geist seine „Erregtheit“ irgendwie verloren hat. Beim Blick aus dem Fenster zu späterer Stunde sehen wir: Es regnet, nein, es schüttet. Alle schlafen.

Saalbach

Rast und Aufbruch in Saalbach

Wegmarkierung

Ein Pickerl als Wegmarkierung

Hochfilzen

Im Gespräch mit einer Bäuerin

Durch und an

Der Besitzer des fairHOTEL ist beim Frühstück da und erzählt, warum er das erste „Passivhaus Hotel“ in Tirol 2014 errichtet hat. „Damals haben viel die Nase gerümpft, heute sind wir ganz im Trend der Nachhaltigkeit.“ So schnell werden Pioniere nicht immer belohnt. „Bei uns sind vor allem eher sportliche Leute“, meinte er und wir haben es als Balsam auf die gehenden Seelen gehört. Der Morgenimpuls sagt uns, dass wir anhand der unbändigen Kraft der Natur lernen können, dass es auch eine unbändige Kraft der Liebe aus dem Evangelium gibt. „Hier erfindet sich Kirche neu“ und wir gehen diesem Neuen in unserem Pilgern nach. Über eineinhalb Stunden gehen wir hinauf zum Römersattel, durch das Biatlon-Gelände und den Truppenübungsplatz. „Am Weg bleiben“, steht angeschrieben. Gelbe Tafeln sagen uns das immer wieder. Am Sattel oben legen wir uns in die Wiese, die Sonnenstrahlen genießend und die Berge betrachtend. Es kommt ein Bundesheer-Auto, bleibt stehen und ein junger Soldat deutet auf die Tafeln. Ob wir das nicht gelesen haben, seine fragende Haltung. Wir haben das nicht auf den Meter genau genommen. Hätten wir aber sollen. Wir sind natürlich einsichtig, ruhig, ja gesprächig. Und so ergibt sich ein langes Gespräch über den Truppenübunsplatz, die Biatlon-WM  oder diese Gegend hier. Ein schönes Weltanschauen-Gespräch. Alle“Rechthaberei“ ist verschwunden. Ein Dialog und fairer Austausch. Am Schluss sperrt er uns noch das Gitter auf, damit wir recht bequem aus dem Gelände hinauskommen. Uns wird wieder einmal die alte Weisheit klar vor Augen geführt: “ Wie du in den Wald hineinrufst, so kommt es zurück.“ Vorbei an der Vorderkaserklamm und dem Naturbadeareal kommen wir ins „Lofer-Tal“. Die Wasser sprudeln hinunter, in denen wir unsere Füsse kühlen, die Ohren mit Wassergesängen berauscht werden. Am Radweg neben der Bundestraße gehen wir bis St. Martin bei Lofer und merken: Autos und Motorräder zerschneiden jeden hörenden Raum. Zermürbende Schritte, die in einem Gastgarten „Ruhe finden“. Von dort schweigen wir die letzten 300 Höhenmeter hinauf in unser Ziel: Maria Kirchental. Ein Kraftplatz, ein heilsamer Ort, ein Pilgerziel der besonderen Art. Nach mehr als 65 Kilometern und doch einigen Höhenmetern gratulieren wir einander, fallen einander um den Hals und ein Wort liegt in der Luft: „geschafft“. Die Basilika hört unser Singen, unser Beten und schaut auf unser Dasein jetzt, hier. Im Gasthof beziehen wir die Zimmer, stärken uns am wunderbaren Abendessen, manche gehen noch der untergehenden Abendsonne nach. Andere richten ihren Blick auf Österreich – Italien. Ich selber schlafe im Kloster. Kein TV, kein WLAN  und Null Empfang. Am Morgen die Tatsache. 2:1. Schade.

fairhotel

Rast im fairHOTEL

Schlucht

Durch die Schluchten

Maria Kirchental

Ankommen in Maria Kirchental

Abendstimmung

Haus der Besinnung

Auslaufen lassen

Schon vor dem Frühstück haben einzelne die Sonne begrüßt, die sich an diesem Ort im Winter für einhundert Tage nicht zeigt. „Aushalten“ muss man das, meinte der Wirt. Und Sr. Bärbel, die wir nach dem Frühstück „unter der Linde“ treffen, spricht immer wieder von diesem besonderen Ort. Die drei Schwestern von den Missionarinnen Christi sind hier, um den Ort durch und mit dem Haus der Besinnung zu inspirieren. Atemtherapeutin ist Sr. Bärbel und ihre Kollegin Bewegungstherapeutin. Man kann einfach kommen und ein paar Tage im Gästehaus bleiben. Sogar eine Einsiedelei ist im besonderen Gebäudeensemble und steht für einen persönlichen Rückzug zur Verfügung. „Wieder einen tiefen und weiten Atem aufnehmen“ könnte der Slogan sein. Wir gehen in den Gottesdienst. Danach schultern wir die Rücksäcke ein letztes Mal, lassen einen letzten Blick auf Maria Kirchental fallen und gehen auf dem Jakobsweg hinunter nach Lofer, lassen das Gehen irgendwie auslaufen. Wir trödeln ein wenig. In Lofer verlieren wir einander wieder in den öffentlichen Bussen nach Salzburg und Zell am See. Übrigens: Die Salachtal-Card gilt als Fahrkarte. Der Abschied fällt schwer. Es ist unglaublich, was Gehen kann, in Beziehung setzt, innerhalb so kurzer Zeit. Solche gehenden Beziehungen heilen.

Gespräch unter der Linde

Im Gespräch mit Sr. Bärbel

Jakobsweg

Am Jakobsweg nach Lofer

Lofer

Ein Blick zurück und in den Himmel in Lofer

Weltanschauen

SPIRIWALK to Linz