Widerstand leben und Alternativen zeigen

eu_info„Wir freuen uns, Ihnen die Mai Ausgabe Nr. 182 von Europeinfos zukommen zu lassen. Sie können die gesamte Ausgabe als PDF HIER herunterladen.“ Ich wurde eingeladen, für diese Nummer einen Artikel zur Zukunft der Orden zu verfassen. Dieser Newsletter geht an alle EntscheidungsträgerInnen in der EU und wird vom Brüsseler Büro der Bischofskonferenz erstellt. Ich möchte euch meine Überlegungen nicht „vorenthalten“:

Widerstand und Alternativen leben und zeigen

999_IMG_7956Ordensleute leben ein Modell, das in Europa unglaublich gesellschaftsrelevant und zukunftssichernd ist.

„Wo sind die Schmerzpunkte der heutigen Gesellschaft?“ Diese Frage treibt die Präsidentin der Vereinigung von Frauenorden in Österreich, Sr. Dr. Beatrix Mayrhofer, in Vorbereitung auf das 50-Jahr-Jubiläum der Vereinigung im Jahr 2016 um. Dahinter steht die Überzeugung, dass Orden immer einen konkreten Auftrag in der heutigen Gesellschaft erfüllen. Die Gründungen waren zum Großteil mutige und unkonventionelle Zugänge zur Not, zur Schieflage der jeweiligen Zeit. Und wie ist das heute? Hier in Europa? «Viel mehr wesentlich weniger» heißt eine Gesprächsreihe von Ordensleuten mit unkonventionellen Meinungsbildnern in Österreich. Da ist der Schuhproduzent und Finanzrebell Heini Staudinger genauso dabei wie der Schriftsteller Alfred Komarek, der Musiker Toni Knittel aus dem Lechtal in Vorarlberg, die Extrembergsteigerin Gerlinde Kaltenbrunner, die Psychotherapeutin Rotraud Perner oder die Salzburger Landes-Politikerin Astrid Rössler. Die auf Video aufgezeichnete Gesprächsreihe (http://www.ordensgemeinschaften.at/wesentlich ) spürt einzig und alleine der Frage nach: «Wo ist der Platz der Ordensfrauen und Ordensmänner in der heutigen Gesellschaft?» Die Titel der jeweiligen Gespräche sind eine Bestandsaufnahme gesellschaftlicher Befindlichkeit und als Alternative formuliert. Da geht es um «Mut zum Widerstand», «Weniger ist wesentlich mehr», «mehr lokal», den «kanalisierten Menschen», den «Status aus dem Weniger» und «mehr die eigene Berufung leben». Oder anders gewendet geht es um die Frage: was brauchen wir, auch in Europa, um authentisch und verantwortungsvoll zu leben? Der Vorsitzende der Männerorden in Österreich, Abtpräses Christian Haidinger OSB, hat das benediktinische Maßhalten vor Augen: «Es braucht ein neues Ausbalancieren von Mehr und Weniger, orientiert am Wesentlichen.»

Das Jahr der Orden 2015 ist ein Glücksfall, ein Kairos

In den Zielsetzung der österreichischen Orden heißt es im Masterplan zum Schwerpunktjahr: «Orden nehmen Verantwortung in Hinblick auf gesellschaftliche Themen wie Bildung, Gesundheit, Kultur und bei offensichtlichen Schieflagen im Bereichen wie Soziales, Spiritualität, Internationales wahr und stellen diese ‚ins öffentliche Licht’. Einzelne Neuaufbrüche und Transformationsprozesse werden pointiert ins Gespräch gebracht. Die Dynamik von Bewährtem und Neuem wird ausgelotet.» Wenn 78% der 3.800 Ordensfrauen über 65 Jahre sind und sich mehr als die Hälfte der 1.950 Ordensmänner längst im Pensionsalter befindet, braucht es Mut und Kraft, sich neu mit einem ‚Out-of-the-Box-Denken’ der Zukunft zu widmen. Das von Papst Franziskus ausgerufene Schwerpunktjahr entwickelt durch diese neue anregende Aufmerksamkeit zwei Richtungen: Den Blick nach innen, in die Verfasstheit und die Zukunftsfähigkeit der Gemeinschaften selber sowie ihre Kooperationsfähigkeit, ihre «Synapsenfähigkeit im Netz der vielfältigen Gemeinschaften». Die Gesellschaft und vor allem die Medien entwickeln eine neue Aufmerksamkeit, ein Interesse am Ordensleben. Ordensfrauen, die Prostituierten bedingungslos einen Weg aus der Prostitution öffnen, vernetzen sich selbst bedingungslos. Die kontemplative Lebensweise des Einsiedlers von Saalfelden lockt Menschen an, die ihr Sein neu sehen wollen. Das Gebet in und für die Menschen wird neu zugänglich. Das Tun und Dasein der Ordensleute wird interessant, wahrgenommen, neu wertgeschätzt.

Eine Alternative zeigen und vorzuleben versuchen

Wir leben heute in einer total ökonomisierten Gesellschaftsordnung. Alles wird am Mammon, am Geld ausgerichtet. Von den Ordensleuten wird immer sehnsüchtiger «Widerstand und Alternative» erwartet. Ein Beispiel: Der Privatbesitz spielt bei den Ordensleuten keine Rolle in einer Zeit, wo alle dem Besitz im individuellen Verständnis nachjagen. Das Ordensleben ist demgegenüber vom Community-Gedanken der Bibel geprägt. «Sie hatten alles gemeinsam.» Dieser Text aus der Apostelgeschichte ist heute vielleicht für viele unverständlich und doch spüren alle, dass Sharing, Co-housing und Gemeinwohlökonomie Schlüsselbegriffe der jungen Generation sind. Da können Ordensleute viel Wissen und Erfahrung zur Verfügung stellen und zugänglich machen: Leben nach klaren Werten, eingebettet in den Rhythmus der Rituale und auf Gemeinschaft und Solidarität ausgerichtet. Auch wenn sie eine nur eine vergleichsweise kleine Gruppe sind: Ordensleute leben ein Modell, das in Europa unglaublich gesellschaftsrelevant und zukunftssichernd ist. Das Lebensmodell nach den evangelischen Räten heißt wahrscheinlich heute: «einfach-ehelos-hören». Die Einfachheit der Armut, die Ganz-Verfügbarkeit von Gott her für die Menschen, und der Gehorsam gegenüber der gemeinsamen Aufgabe und dem Auftrag sind beispielhaft:, Sie sind ein Leuchtturm in einer Gesellschaft, die von Einsamkeit, Karrieredenken, Konkurrenz, Schnelligkeit und dauernden Rankings geprägt ist. Darum sagt auch der Musiker und Poet Konstantin Wecker in einem Gespräch im Stift St. Florian: «Geht in die Gesellschaft ohne Besitz.»

Freiraum für Gott und den Menschen öffnen

Wecker erhofft sich einen Anstoss: «Wie kann heute jemand für die spirituelle Welt geöffnet werden, dem jeder Zugang zum Nicht-Rationalen versperrt ist? Wahrscheinlich nicht, indem man Heiligenbilder verteilt. Es muss einen anderen Weg geben.» So wird nicht gesehen, wie viele Menschen sich sozial engagieren. Empathie existiert, aber sie findet sich nicht wieder in der Hierarchie der gesellschaftlichen Werte. Wecker sieht in den Orden einen Ort, der vielem Raum gibt – auch der Nutzlosigkeit: «Im Tun mit Hingabe und im Gebet verlassen wir die Zeit. Das Korsett unseres Zeitempfindens braucht eine Öffnung.» Weckers Wunsch an die Orden: «Der Gesellschaft den Spiegel vorhalten. Aus der Empathie heraus das Liebevolle leben. Das tätige Mitgefühl.» Ordensleute entdecken selbst diesen Wert und Anspruch und nehmen die Zivilgesellschaft mit auf die «Entdeckungsreise». Das braucht Europa – mit den Ordensleuten.

Ferdinand Kaineder, Theologe, Kommunikationslotse und Leiter des Medienbüros der Ordensgemeinschaften Österreich www.ordensgemeinschaften.at