Wir haben keinen Platz mehr für die, die nicht 120%ig funktionieren

Nach meinen Theologiestudium habe ich 1981/82 meinen Zivildienst bei der Heilsarmee in Linz in der Bethlehemstraße gemacht. Die Obdachlosen haben mein Studium in besonderer Weise „abgeklopft“. Später habe ich als Pastoralassistent in der Dompfarre alle „Sandler“ persönlich gekannt. Einen davon, Gottfried Aigner, haben wir in den Pfarrhof aufgenommen und für ihn habe war ich da, bis zu seinem Begräbnis, das ich als Armenbegräbnis organisert habe. Auf die Disputation „Obdachlos in Linz“ am Tag nach dem Festtag des Hl. Franziskus im Urbi war ich gespannt so wie viele andere auch.

Das Interesse ist groß, wenn es um Wohnungslosigkeit und um das Leben der Obdachlosen in Linz geht

Die Sozialarbeiterin Eva Eichinger vom Verein Wohnen in Steyr betonte eingangs, „das Wohnungslose in der Regel von der Herkunft weniger Polster mithaben.“  Deshalb müssen sie zwangsweise privat mitwohnen, in einer sozialen Einrichtung wohnen oder sind auf der Straße. Die Wohnungslosigkeit von Männern ist sichtbarer als die der Frauen. Der Anteil der jugendlichen Wohnungslosen steigt.

Ärztliche Versorgung bei den Barmherzigen Schwestern

Der Obdachlosenarzt und Geschäftsführer der Vinzenzgruppe OÖ Andreas Krauter sprach von etwa 100 bis 200 Patienten im Jahr, „die außerhalb des gängigen Gesundheitssystems behandelt werden.“  Krauter stellt dieselben Erkrankungen fest wie bei anderen Patienten.  Das Risiko zu Suchterkrankung ist höher. Auf der einen Seite haben Obdachlose nicht die Voraussetzungen wie E-Card für das gängige Krankenwesen und werden daher sofort wieder ausgestoßen. „Andererseits empfinden sie die Gesundheitseinrichtungen als „preußische Gesundheitskasernen“ und halten es darin nicht lange aus“, weiß Krauter aus Erfahrung.  „Es braucht daher eine neue Weite des Geistes für alle jene Menschen, die nicht den gängigen Normen entsprechen und nicht 100%ig leistungsfähig sind“, wünscht sich der Obdachlosenarzt.  Das erfordert auch ein couragiertes Eintreten von jedem von uns. „Dort, wo Not ist, heißt es zugreifen“, ermutigt Krauter. Das Vinzenzstüberl gibt täglich 100 bis 160 Essensportionen aus, vergibt warme Kleidung und Unterstützung.

Wieder selbständig leben können

Doris Ruiz Caballero von „Jobimpuls“ des Magistrates Linz erzählte, wie es gelungen ist, 20 Obdachlose aus einem Park so zu begleiten, „dass heute 15 davon wieder in ein Berufsleben eingebunden sind“. Ungefähr 300 Personen, davon etwa 80 mit Beeinträchtigung, werden so von der Sozialhilfe kommend betreut. Ziel ist immer, dass die Menschen wieder selbständig leben können.

Der Stachel im Fleisch der Kirche

„Kirche ist eine Mittelstandsgesellschaft“, meinte der ehemalige Betriebs- und Gefangenenseelsorger Hans Gruber: „ Die Kirche in ihren Hauptvollzügen ist nicht offen für Menschen aus der Unterschicht.“  So bleiben diese konkreten Obdachlosen, die auch in den Pfarren anklopfen, wie auch der Anspruch des Evangeliums „Ich war obdachlos“ ein Stachel im Fleisch der Kirche. Gruber stellt auch fest, „dass es heute in den Betrieben nirgends mehr einen Platz gibt für Menschen, die nicht 120% Leistung erbringen können. Denn das ist mittlerweile die Norm geworden.“ Er weist auch darauf hin, dass es in den 70-er-Jahren noch Baustellen gegeben hat, „wo man ohne Leumundszeugnis arbeiten konnte.“

Polizei will auf Augenhöhe kommunizieren

„Von den 20.000 Delikten in Linz treffen etwa 100 bis 150 die Obdachlosenszene“, weiß Oberst Christian Moser von der Linzer Polizei. Davon sind allerdings die meisten Übergriffe  auf Obdachlose.  „Wenn das Bild bei den Bewohnern von Linz da wäre, dass Obdachlose kriminell sind, dann müsste man viel Aufklärungsarbeit machen“, meint Moser.  Zu oft wird wegen Kleinigkeiten die Polizei gerufen. Die Erwartungen der Bewohner sind oft jenseits der Gesetzeslage „Allerdings gibt es auch einen Reifungsprozess. Viele finden nach wie vor den Anblick eines Obdachlosen abstoßend, man hat sich aber daran gewöhnt“, weiß der Linzer Polizist und betont, „dass sich Polizei und Obdachlose zum Großteil mit Namen kennen und auf Augenhöhe kommunizieren.“

Ein verläßlicher Platz im Hartlauerhof

„Wohnungslose wollen arbeiten und eine sinnvolle Beschäftigung“, weiß Ulrich Volmer vom Hartlauerhof in Asten. Dort können 14 Männer  in geordneten und verlässlichen Strukturen wohnen und in der Werkstatt einer sinnvollen Beschäftigung nachgehen. Integration braucht viele Stabilisierungsmaßnahmen und verlässliche Beziehungen. „Deshalb ist es auch gut, dass es viele professionelle Initiativen gibt“, betont Volmer und bedauert, „dass in der öffentlichen Wahrnehmung das Scheitern keinen Platz mehr hat in dieser auf Erfolg und Gesundheit getrimmten Gesellschaft.“

In der Disputation kamen auch Betroffene zu Wort und schilderten ihre Situation.  Ernst Gansinger weist als Moderator noch darauf hin, dass er hohen Respekt hat vor dem, „was in Linz im Bereich der Wohnungslosen geschieht.“ Es braucht nach seiner Erfahrung wesentlich mehr Zivilcourage gegen den jetzt gängigen „rechten Zeitgeist“.

Mitarbeiterinnen des KirchenInfoCenters werden in den nächsten Wochen immer dienstags Socken stricken, um damit Obdachlosen zu hefen.

Unter www.werhilftwie.at gibt es eine ausgezeichnete Informationsquelle, wer wem wie helfen kann.