Heilige sein und werden: Anstosser, Türöffner, Tiefwurzler

Meine Ansprache zu Allerheiligen 2010 in der St. Anna Kirche in Kirchschlag:

„Liebe Schwestern und Brüder im Glauben an die Auferstehung!

Es klingt unglaublich, aber im Film „Am Anfang war das Licht“ P.A. Straubinger Menschen über die ganze Welt verstreut vor, die Jahre bis Jahrzehnte überhaupt nichts mehr gegessen und zum Teil getrunken haben. Er stellt zum Beispiel einen Schweizer und einen Saalfeldener vor, die seit mehreren Jahren ohne Essen und damit auch ohne Stuhl leben. Die interviewten Wissenschaftler, Ärzte sagen am Anfang unisono: „Das gibt es nicht.“ Je länger der Film aber geht, umso mehr beginnen sie zu staunen und auch zu fragen: Wenn es das gibt, dann verändert das unsere derzeitige Welt der Wissenschaft, der Medizin. Ganz am Schluss bleiben ihnen offene Fragen und der Filmemacher findet eine Antwort auf dieses „Phänomen“.  Mit meinen eigenen Worten und auch ein Stück persönlicher Erfahrung gesagt: „Wir begrenzen unser Bewusstsein, unser Denken zu viel Sichtbares und Messbares und schneiden uns so von der ganz großen Quelle der Energie und des Glaubens ab, dem „Himmel“ wie wir es nennen oder der großen göttlichen Energie wie es andere nennen. Diese Menschen leben vom Licht, von der Gnade, von Gott her.

P.A. Straubinger, der Filmemacher, ist durch einen Heiligen auf dieses Thema gestoßen. Er hat gelesen, dass Nikolaus von der Flüe mehr als 20 Jahre nichts gegessen hat. Er lebte als Einsiedler um 1450 in der Schweiz. Das war der Anstoß für den Ö3-Filmkritiker, selbst über Jahre mit der Kamera die ganze Welt zu bereisen und solche Menschen aufzusuchen. Ein Heiliger war der Anstoß dazu.

Heilige sind und waren immer ein Anstoß, ein Anstoß für uns alle. Das Fest aller Heiligen am 1. November kam im 8. Jahrhundert aus Irland und England auf den europäischen Kontinent und hat sich bald allgemein durchgesetzt.  Allerheiligen ist wie ein großes Erntefest. Die Frucht, die aus dem Sterben des Weizenkorns wächst und reift, sehen wir, bewundern wir und können wir auch selber sein. Darin sind uns die Heiligen ein Anstoß, eine Ermutigung, eine Hilfe, WegbegleiterInnen.

Heilige sind Türöffner in eine Welt hinein, die uns nicht automatisch geöffnet ist. Wenn ich die Seligpreisungen höre, dann läuft fast automatisch das rein weltliche Gegenprogramm mit. Wer hungert, soll arbeiten, wer trauert, wird seinen Grund haben, ohne Gewalt und Ellbogen geht nichts, Barmherzig? Da tanzen sie dir bald auf der Nase herum, Reines Herz – das ich nicht lache. Frieden, ja  wenn ich meine Interessen durch habe, können wir darüber reden, für jemand anderen einstehen oder gar Nachteile in Kauf nehmen? Ich stehe für mich.

Heilige stehen und standen immer für eine neue Welt, so wie Gott sie gedacht hat, wie Jesus sie den Menschen eröffnet hat. Heilige legen uns die Spur in diese neue feinfühlende Welt, die einen besonderen Blick für das Wesentliche und das Kleine, das Gebrochene hat. Die „Mitte am Rand“ war einmal ein Slogan. Wir wissen aber auch: Die Kirche selber hat solche Türöffner in die neue Welt oft verfolgt, weil sie die gängige – von der Welt geprägte – Kirchenmacht nicht anerkannt haben.

Heilige sind auch Tiefwurzler. Sie erahnen und leben aus der Kraft der Tiefe. Franz Jägerstätter wurzelte ganz tief ein in die Welt Gottes und ließ sich nicht irritieren oder verführen vom „warmen Wind der Nazi-Propaganda“. Ebenso Edtith Stein und viele andere in dieser Zeit. Sie reden den Leuten nicht nach dem Mund und stellen sich eigenverantwortlich den Herausforderungen der Zeit. Ein Pater Sporschil, eine Ute Bock, Menschen der St. Anna Pfarre in Steyr sind heute Tiefwurzler, die nicht lange fragen, ob das jetzt gelegen ist, sondern einfach einstehen, weil sie aus der Tiefe der neuen Gerechtigkeit Gottes ihre Kraft und Energie schöpfen.

Ich freue mich schon, dass ich morgen bei der Tagung „Zivilcourage“ im Parlament in Wien dabei sein darf. Einen Tag nach Allerheiligen passt dieses Thema sehr gut, auch für mich. In den ersten Jahrhunderten des Christentums, unseres Glaubens, ist der Weg der Kirche voller Märtyrer, die ihr Leben für ihren Glauben, der damals neu und ein Ärgernis für die Herrschenden war, lassen mussten. Wer in Rom in den Katakomben war, bei den Gräbern der Märtyrer,  konnte wahrscheinlich auch diese Kraft des Widerstandes spüren. Aus einer tiefen Wurzel kann couragiertes Handeln erwachsen, nicht verbittert, sondern klar und rein im Anliegen.

Ich lade heute ein, den eigenen Namenspatron oder Namenspatronin wieder einmal genauer „anzuschauen“. Wie weit war er oder sie ein Anstoß, Türöffner in eine neue Welt und Tiefwurzler mit Zivilcourage in seiner oder ihrer Zeit.

Wenn wir heute hier Allerheiligen feiern, dann vergessen wir nicht, dass Gott in der Taufe einen heiligen Kern, eine Berufung in uns hinein- oder freigelegt hat.

Bitten wir darum, dass es uns gelingt, offen zu werden für diese heilige Berufung, die Gott in uns hineingelegt hat. So sei es.“

1 Kommentar

    • Veronika Pernsteiner auf 2. November 2010 bei 20:01

    Danke, Ferdl, für Deine Allerheiligen-Ansprache! Sie ist für mich eine spirituelle Bereicherung für den heutigen Abend!

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