Die Thesen, das Pilgern und ein grünes Band

Es wird ernst. Die höheren Berge des oberen Mühlviertels tragen noch „weiß“. Der Rucksack liegt noch völlig entleert am Boden. Die Schuhe sind gesalbt. Die Geh- und Bleibe-Sachen liegen in Reih und Glied auf der Ofenbank. Die versprochene Sonne ist heute Spätzünder. Die Temperaturen sagen in der Anfangszeit eher weniger Schweißperlen voraus. Zwei Anrufe sichern den ersten Schlafplatz und ergeben vielleicht einen Pilgerkollegen in der Gegend von Freyung. Wir werden sehen.

Was treibt dich ? Was zieht dich ?

Meine ehemalige Deutschprofessorin Sr. Roswitha Reischl ist 86 Jahre. Der heutige Besuch bei ihr in Bad Mühllacken war wieder einmal aufbauend und erhellend. Sie hat ein ganz tiefes Gespür für Menschen, die ihr gegenüber sitzen. Sie bezeichnet es selber als ganz großes Geschenk, „dass sie geistig immer noch so fit ist“. Ja, sie ist hellwach. Vor allem hat sie eine unglaubliche spirituelle Tiefe und manchmal habe ich den Eindruck, sie ist eigentlich schon angekommen. „Ich kann nicht mehr viel tun, aber meine Schüler und viele andere Menschen kann ich noch mitnehmen vor Gott. Wenn doch viel mehr Menschen begreifen und erfassen könnten, dass ihnen Gott mit ganz weiten und offenen Armen gegenüber steht. Sie müssten dem Glück nicht nachjagen, sondern es einfach annehmen.“ Das ist ihre Erfahrung und sie fragt auch mich: Was treibt dich nach Wittenberg, was zieht dich dorthin? Ich erkläre ihr mein Vorhaben und sie lächelt immer Milde bis sie meint: „Da müsste man noch mitgehen können“. Es stehen berufliche Entscheidungen an. Die intensive ehrenamtliche Tätigkeit im meiner Heimatpfarre geht nach 10 Jahren zu Ende. Eine einjährige berufliche Erfahrung soll gut eingeordnet werden, ohne dass man angesichts der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung „verweifelt“. Die tiefe persönliche Berufung soll für mich sichtbar werden. Ein Freund schreibt heute in einem Email: „“Ich wünsch Dir eine innige Zeit guten Fusses. Mögen alle Deine Gedanken immer um Dein Herz kreisen. Sei umarmt.“ Danke.

Der Weg

Die Karten habe ich zusammen, um den Weg zu finden. Eine grobe Planung habe ich vorgenommen. Auf den Grenzgang am grünen Band freue ich mich besonders. Ziel ist Wittenberg, die Stadt der Thesen, die Luther in der Form gar nicht angeschlagen hat, wie wir immer gelernt haben. Er hat die 95 Thesen in eine „Zeit der Abhängigkeit und des spirituellen Geschäftes“ (Ablasshandel) formuliert. Gottes Gnade ist gratis, ein Geschenk. Vielleicht verleitet mich der Weg entlang des grünen Bandes, des ehemaligen Eisernen Vorhanges, auch zu Thesen. Noch dazu, wo ich erstmals die Karwoche gehend und unterwegs erlebe. Wir werden sehen. Es gibt hier keine „Vorgabe“, höchstens ein „Drang, Erfahrungen, Sichtweisen und Einschätzungen thesenhaft zusammenzufassen.“  Schon die Bilder der vergangenen Pilgerfahrten lassen mich durchatmen und die Sehnsucht nach dieser weiten Bewegung immer mehr erwachen. Gelassenheit macht sich breit. Nicht ich baue das Leben, sondern das Leben kommt mir entgegen. Für mich als Pilger wird im Laufe des Weges immer klarer werden woher. Das Leben ist ein Geschenk, das Geschenk Gottes an mich, an uns. Glück, Erfüllung und Dankbarkeit sind die Folge. Das vermute und erhoffe ich.

 

 

1 Kommentar

  1. Herzlich willkommen – soeben in die Liste katholischer Blogger eingebaut!

    http://www.bloggerliste.blogspot.com

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