Aus der Finsternis dem Licht entgegen

Der Eingangshof im Stift St. Florian bei Linz liegt in gedämpftem Licht, die beiden Türme ebenso. Meine Schritte gehen langsam. Vorne sehe ich zwei Menschen wie zwei Schatten. Es ist kurz vor 22 Uhr. Ich bin da zum „Nachtdurchwandern“ von Karfreitag auf Karsamstag. Der Rucksack hat alles mit, was man auf 22 km braucht, wenn es vor ein paar Stunden noch richtig geregnet hat.  Zur Sicherheit auch ein Stirnlampe.

Der fast volle Mond leuchtet vom Himmel. Die Marienkapelle ist der Startpunkt. Ein paar Frauen und Männer sind schon da. Die KMB rund um Hannes Hofer hatte vor Jahren die Idee, diese besondere Nacht zu „durchgehen“. Die Rucksäcke stehen da, mein mitgebrachter Haselsnußstock ebenso, der mir in der Finsternis ein „Blindenstock“ sein soll. Wir setzen uns in die Bänke und ich spüre Gehfreudigkeit. Wir singen gemeinsam die Lieder durch, die wir am Weg bei den „Innehalte-Stationen“ anstimmen wollen. Im Zeichen des Karfreitagskreuzes starten wir, gemeinsam, mit einem inneren Gummiringerl verbunden, um niemand in der Dunkelheit zurück zu lassen. Mentale Verbundenheit. Die Schritte hören sich erwartungsvoll an, jetzt immer noch von Straßenlaternen begleitet. Erst im Wald draußen wird es finster, der Weg aber vom Mond ausgeleuchtet. Meine Stirnlampe bleibt arbeitslos angesichts des großen Lichtes vom Himmel. Beim „Auge Gottes“ unsere erste Trinkpause. Alle sind da. Mit dem „Effata, öffne dich“ lädt uns Hannes ein, die nächste Wegstrecke bis Ansfelden im dunklen Wald schweigend zu gehen, alle Sinne aufzumachen und sich einzulassen in die Dunkelheit. Der Waldweg braucht Achtsamkeit, große Wasserpfützen liegen am Weg. Ich höre die Schritte, das Knarren der brechenden Äste unter den Schuhsohlen, die Stille des Waldes, das leise Säuseln des Windes. Ich sehe wenig und doch genug, um guten Schrittes voranzukommen. Das Gefühl, wir gehen gemeinsam, erfasst mich erstmals in der Dunkelheit. Wir gehören zusammen, es wird und ist unser Weg. Dabei kenne ich so viele Gesichter gar nicht, die ich auch nicht erkennen kann. Es gibt sie, diese innere Zusammengehörigkeit. „Gemeinschaft“ ist der Grundgedanke des Impulses beim Pfarrhof in Ansfelden: „Miteinander essen können, miteinander Zeit verbringen können, ohne gleich Funktionieren zu müssen. Miteinander und nicht gegeneinander, teilen und nicht horten für sich, Hunger, Sehnsucht, Bedürfnisse wahrnehmen. Was ist der große Gewinn in einer Gemeinschaft? Wo müssen wir unsere Gemeinschaften für andere aufbrechen? In der Kirche, in unseren Familien? In unserem Land? Schließen wir jemanden aus? Wen sollen wir wieder hineinholen? Braucht jemand deinen Zuruf oder Anruf oder ein ermunterndes App-Wort?“ Gedanken und Anregungen für den weiteren Weg hinüber nach Berg, vorbei an der Fabrik.

Zwei Frauen stoßen kurz vor 2 Uhr nachts zu uns. Sie sperren uns die Kirche in Berg auf, den Pfarrhof und sind wunderbare Gastgeberinnen. Meinen Impuls zum Thema „Ohnmacht aushalten“ trage ich hierher. Zuerst aber die ganz einfache Frage an die Gastgeberinnen: Könnt ihr kurz etwas über eure Kirche und Pfarre sagen? Und sie sprudeln in einer Frische und Lebendigkeit, was sich in ihrer Pfarre alles tut, seit der Pfarrer plötzlich verstorben ist. Verschiedene und viele Menschen übernehmen Verantwortung, halten die Gottesdienste, eine 25-Jährige entdeckt beispielsweise dabei ihre Fähigkeiten im liturgischen Dienst. Und es sprudelt, dass richtig Freude aufkommt in mir, was sich da an Getauftenkirche tut, entwickelt, verlebendigt. Von Ohnmacht keine Spur, genau das Gegenteil. Frauen und Männer übernehmen hier die volle Verantwortung. Ginge auch nicht anders, weil der Pfarrmoderator (Priester) neun Pfarren hat, dazu ein Stift leitet und bei Polizei und Feuerwehr oberösterreichweit tätig ist. Wie geht also Ohnmacht und die Lebendigkeit dieser Pfarre jetzt zusammen? Ich stocke, weil ich sehe: Diese Pfarre hilft, Lebenssituationen „auszuhalten“, helfend einzugreifen, von Gott+ erzählen und das Leben gemeinschaftlich zu feiern. Mein Grundgedanke bleibt, der sich auch in der Kathpress wiederfindet, und ich lege ihn behutsam dazu: „Und wie jedes Jahr hoffen wir, dass die Ohnmacht der Friedfertigen und Gewaltfreien nicht im Grab endet. Dafür gehen wir, in diesen nächtlichen Stunden, durchwandern die ganze Nacht, loten die Dunkelheiten des Lebens aus, um am Morgen das zu erahnen, was wir mit Aufstehen, Auferstehen und Auferweckung feiern. Das Leben will leben, in Gerechtigkeit und Frieden mit allen.“ Wir alle spüren beim Aufstehen aus den Bänken (es fällt schon etwas schwer), dass hier in dieser Pfarre davon etwas lebendig ist. Die Gastgeberinnen gehen noch mit hinauf entlang der Krems bis kurz vor die Barackenkirche. Kein Regentropfen, etwas Wind und dort und da werden die Kilometer in den Füssen spürbar, auch sichtbar. Wir sind bei etwa 18 km.

Seit 1965 steht die Barackenkirche in Nöstlbach. Das orange Altarbild fasziniert mich schon von weitem durch die geöffnete Tür. Gerne nehmen wir Platz. In diese spürbare satte Müdigkeit wollen wir „Wege zum Frieden“  aufnehmen. Hannes zitiert ein Gedicht von Klaus Heidegger, Lehrer, Friedens- und Umweltaktivist, dazu KA-Präsidenten in Innsbruck.

„Vernünftig sind jene, die sich aus dem Staub machen
Weise sind jene, die die Flinte ins Korn werfen
Mutig sind jene, die nicht Stellung beziehen
Klug sind jene, die die Pfeile im Köcher lassen
Achtsam sind jene, die nichts im Schilde führen
Emphatisch sind, jene die nicht in die Bresche springen
Heldenhaft sind jene, die nicht bei der Stange bleiben
Lobenswert sind jene, die sich nicht am Riemen reißen
Zärtlich sind jene, die nicht auf Vordermann bringen
Die Zukunft gehöre jenen, die nicht mehr kriegerisch reden.“

Auch wenn um diese Zeit (ca 4 Uhr) die Ganglien im Kopf ruhen, so nehmen wir diese ungewöhnlichen Sichtweisen mit auf den Weg hinüber nach St. Marien. Die Schritte aufwärts sind schon langsamer geworden, das Tempo bedächtiger. Hinein ins Dorf mitBlick auf den Kirchturm meint ein Mitgeher: Das zieht sich aber. Das Ziel zieht und der Weg zieht sich. Im Pfarrgarten brennt das Feuer in der Feuerschale. Bravo, wir sind am Ziel. Wir stehen um das Feuer herum, singen ein Lied, werfen unsere Wünsche und drückenden Momente des Lebens ins Feuer. Franz Landerl spricht das Gebet zum Abschluß.

„Herr Jesus Christus, dies ist dein Tag und unser Tag,
der Durchbruch nach vorn in die Zukunft,
eine neue Zukunft, die Ewigkeitswert besitzt,
die durch den Tod zum Leben geboren wird,
die durch die Tiefe des Grabes in deine Höhe gehoben wird,
die Zukunft schlechthin für diese deine Welt, unsere Zukunft,
die niemand und nichts verdunkeln kann,
die niemand und nichts uns verbauen kann,
die niemand und nichts uns nehmen kann,
in dir auferweckt und befreit, sinn- und zielvoll,
ohne Todesgeruch, sondern als Wohlgeruch in dieser Welt,
ohne Resignation, sondern mit Sicht nach vorn,
ohne Gericht, sondern begnadigt, angenommen und frei.
Du hast die Spur gelegt durch den Tod zum Leben,
und in deinen Fußstapfen wollen wir gehen, Schritt für Schritt
heute, morgen.“

Daheim angekommen, lese ich diese Zeilen eines Mitgehers in einem Email. Es hat sich etwas bewegt, nicht nur bei mir: „Das war heuer ein besonderes Ostererlebnis. Gemeinsam in der Nacht unterwegs und die Natur mit allen Sinnen erleben. Sinnvoll leben, Gerüche, Geräusche, Natur im Mondlicht. Gedanke von Ohnmacht angesichts der Kriegserlebnisse gemeinsam zu tragen und Gemeinschaft mit Menschen zu erleben, die einem vorher wenig bekannt waren, aber jetzt mit ihnen durch das Gehen besonders verbunden. Ohnmachtsgedanken am Schluss dem wärmenden Feuer übergeben. Viele hoffnungsvolle Gespräche und Gedanken, die einem im Gehen lange begleiten, verbunden mit Menschen, die nicht gerade hier sind. Dankbar, das jemand mitgeht, weil alleine würde ich das nie machen. Gemeinsames Singen und Pausen genießen. Vogelgezwitscher und wärmendes Feuer mit Tee, ein schöner Empfang. Nur zufriedene Gesichter und Dankbarkeit spürbar für die Gemeinschaftserfahrung: das trägt mich wieder einige Zeit.“
Und bei mir verfestigt sich der Gedanke, ob das nicht eine gute Sache wäre, wenn sich das „Nachtdurchwandern“ von Karfreitag auf Karsamstag wie ein Netz über Oberösterreich legen möge.