Bildung hat mehr mit Wachsen als mit Machen zu tun

vlnr: Kaineder, Neuhofer, Klampfr, Außerwöger„Bildung #anders“ steht am 28. Sept 2020 auf dem Begrüßungsplakat zum Zukunftsgespräch im Bildungshaus Schloss Puchberg. Der OÖ-Bildungsdirektor Dr. Alfred Klampfer und die NMS-Direktorin Doris Neuhofer sind als ImpulsgeberInnen gekommen in einer Zeit, die durch Covid19 etwas aus der Bahn geraten ist.

„Es fehlt derzeit der Sicherheitsaspekt“, konstatiert gleich zu Beginn der für den gesamten Bildungsbereich zuständige Bildungsdirektor Alfred Klampfer, wenn er auf Verdachtsfälle, die mediale Berichterstattung und die täglich neuen Maßnahmen schaut. Die Realität erfindet sich gerade neu in Anbetracht der Veränderungen. Klampfer streicht vor allem den sozialen Aspekt der Bildung hervor und benennt die Erfahrung angesichts der digitalen Lernmöglichkeiten: „Der soziale Aspekt in seiner haptischen Form ist durch nichts zu ersetzen. Ziel ist, dass die Kinder gestärkt als Persönlichkeit hervorgehen.“ Klampfer beschreibt in seinen Ausführungen den radikalen Systemwechsel durch die Schulschließungen und die damit verbundene Umstellung auf digitales Lernen. Die Schulen haben aktiv die Schülerinnen und Schüler „gesucht“ via Internet und Telefon. Von 200.000 wurden 400 nicht erreicht.

Der Spalt darf nicht weiter aufgehen

„Die Kinder sind viel vernünftiger als wir glauben“, meint der Bildungsverantwortliche in Oberösterreich zum „Angstaspekt“. Eltern und andere Vorbilder sind dabei extrem entscheidend, wie die Kinder mit der Situation umgehen. Die Angst vor Versagen oder vor der Nichterfüllung der gestellten Aufgabe ist mittlerweile wieder höher als die Furcht vor dem Virus.  Zu sehen ist dort und da auch eine gewisse Verzagtheit der Eltern, dass ihre Kinder etwas versäumen. Mit Blick auf das Bildungssystem hält Klampfer fest, „dass es nicht so starr ist wie viele glauben und eine tiefgreifende Umstellung bewältigt wurde“. Er sieht viel Innovationskraft und Engagement bei den einzelnen Lehrerinnen und Lehrern. „Wir wissen, dass die Lehrkräfte seit März Besonderes leisten.“ Gerade der Bildungsbereich darf den Spalt zwischen Bildungsverlierern und -gewinnern nicht weiter aufgehen lassen.

Erfahrungsräume mutig öffnen

„Das Telefon läutet dauernd“, weiß die Direktorin der Neuen Mittelschule der Franziskanerinnen in Wels und bestätigt damit, dass es große Verunsicherungen und Unsicherheiten gibt. „Vieles bleibt an der Direktion hängen.“ Neuhofer schildert ihren prall gefüllten Schulalltag. Am Anfang der Schulschließungen befand sie sich in einem „luftleeren Raum, in dem sie niemanden und nichts gespürt hat“. Sie sieht Covid19 als Brennglas auf Situationen, „die längst eine Veränderung gebraucht hätten“. Schule steckt in gewisser Weise noch in der Industrialisierung und in der „produktiven Fließbanddenke im Fünfzig-Minuten-Takt“. Neuhofer verweist auf beste Erfahrungen, wenn unterschiedliche Altersstufen miteinander lernen. Die Digitalisierung hat gezeigt, „dass stille Kinder sich im digitalen Raum durch die persönliche Zuwendung leichter tun als im Klassenraum“. Strukturell betrachtet sieht die Pädagogin „Veränderung, Ungewissheit und Neuorientierung als tägliches Brot, das noch nicht wirklich schmeckt“. Sie wünscht sich, dass Schule Erfahrungsräume mutig öffnet und eine gute Fehlerkultur entwickelt. „Resilienz und gewisse Grundfähigkeiten sind nicht selbstverständlich.“ Daher braucht es eine Unterbrechung der Fortschrittsdynamik und der dauernden Flexibilisierung zugunsten von Stabilität und Erholung. Schule ist Begegnung. „Das braucht strukturell eine Vereinfachung, mehr Ruhe im System und einen Fokus auf das Wesentliche.“

Die Balance von digital und haptisch finden

Im Plenumsgespräch wurden Spannungsfelder benannt, in der Bildung derzeit stattfindet und wohin sie sich „anders“ entwickeln kann und könnte. Auch wenn „das Digitale“ gerade massive Änderungen bringt, bleibt online eine Ergänzung. Bildung bleibt „ein Begreifen“. Dass Bildung mehr mit Wachsen zu tun hat als mit Machen fand breite Zustimmung. Begegnung und Beziehung bleiben zentral. Die mögliche Individualisierung wird als Freiraum für Stärken, das eigene jeweilige Tempo und als persönliche Motivation gesehen. Dieses Hinschauen auf den konkreten Schüler, die Schülerin ohne dauerndes Messen und Zählen wird wichtiger werden. Dazu braucht es wieder mehr „Zusammenschwingen in gemeinschaftliches Tun“. Gerade diese Zeit hat den Wert der Langsamkeit, das Geerdet-Sein beispielsweise im Garten, die Familie und das Spielen in den Mittelpunkt gesetzt. Die Zeit wurde ein Stück zeitloser. Damit wird auch das neoliberal-kapitalistische Leistungs- und Machen-Prinzip relativiert. „Der Rahmen für Bildung darf nicht einfach der Markt sein.“