Das Fragezeichen ist die Frage

KatrinDie FURCHE hat mich wieder einmal zu einem DIESSEITS eingeladen. „Lebendige Kirche?“ wurden meine Überlegungen entlang meines Buches getitelt. Die Headline muss in die Seite passen, die Länge, ein Eyecatcher soll sie sein, zum Weiterlesen animieren. Das Fragezeichen dahinter ist sich gut ausgegangen. Zurecht. Und doch wieder nicht. Fragezeichen und Rufzeichen bilden in meinem Leben eine Ellipse.

Schon wissen: „Der kleine Bruder des Glaubens ist der Zweifel.“ Oder die Aufforderung an die Wand gesprüht: „Hinterfragt alles!! Warum??“ Das Leben besteht aus Ausrufen, Hören und Hinterfragen. Mit meinem Buch, das ich als Ermutigungsbuch entlang des inneren Rufzeichens – wie begeisterte, lebendige Gemeinschaft geht! – geschrieben habe, bleibt doch das Fragezeichen. Geht das in der jetzigen römisch-katholisch verfassten Kirche überhaupt? Jenes Bild und Erscheinen von Kirche als Herrschafts- und rituelle Volkskirche, das uns derzeit immer noch und oft sehr brüchig entgegenkommt, wird es in Zukunft nicht mehr in dieser Breite und Dynamik geben. Das Fragezeichen ist daher berechtigt und die Frage. Aber: So wie sich die Natur, der bayrische Wald als Ganzer nach dem Sturm und dem Borkenkäfer gerade neu erfindet, so sind wir gerade Zeugen bei der Neuerfindung der Kirche mit den Potentialen von Freiräumen, Personen und Ressourcen. Wenn diese Entwicklung in den Fokus rückt, würde eher das Rufzeichen passen. Wir können mutig und ungeniert anpacken, wenn es darum geht, neuen Wein in neue Schläuche zu füllen und zusammen mit den Vielen dem sozial, ökologisch, spirituell geöffneten Menschen wieder Verbundenheit, neue Verbündungen und Gemeinschaften zu ermöglichen. Es gibt nichts Schöneres für einen Menschen als den Satz zu hören: „Du gehörst dazu.“ Gerade in diesen Zeiten der vielfältigen Einsamkeiten.

Hier der ganze Text, der in der FURCHE 46/2020 nachzulesen ist:

„Für das Pfarrzentrum im Bergdorf Kirchschlag bei Linz haben wir 2008 nach dem großzügigen Neubau 90 Schlüssel an verschiedene Verantwortliche von Gruppen, Initiativen und Diensten ausgegeben. Diese „verteilte und zugemutete Schlüsselgewalt“ für viele Engagierte in der Pfarrgemeinschaft wurde auf der einen Seite bewundert, andererseits wurde diese „Vertrauenszumutung“ als „zu weit“ gesehen. „Das kann nicht gut gehen“, war der Verdacht. Nach mehr als zehn Jahren bestätigt sich: Es ist gut gegangen. Es hat sich bewährt. Die Zumutung einer Verantwortung lässt Verantwortung wachsen. Das ist jene innere Logik, die in Folge eine vielfältige Lebendigkeit ermöglicht. Da gäbe es jetzt viele Beispiele zu erzählen.

Ob eine Veranstaltung, eine Organisation oder ein soziales Lebewesen Zulauf hat, entscheiden die Menschen nach einem ganz einfachen Prinzip: Geht es dort lebendig zu? Spielt sich dort das Leben ab? Sind das lebendige Menschen oder steife, gar tote, die sich aus Gewohnheit oder reiner Pflichterfüllung treffen? Der Franzose Jean Cocteau hat beobachtet: „Die meisten Menschen leben in den Ruinen ihrer Gewohnheiten.“ Andere raten heute ganz ungeschminkt: „Wenn du ein totes Pferd reitest, dann steig ab.“ Kirche in der Nähe der Amts- und Hierarchiekirche erscheint heute vielen Menschen als totes Pferd, eine große Ruinenstadt von Gewohnheiten, Machtinteressen und dazugehörigen Marketingmaßnahmen. Menschen sehen und erleben das als institutionelles Gehabe, nicht als Lebendigkeit.

Meine vielfältigen Beobachtungen, Begegnungen und Erfahrungen zeigen mir lebendig machende Dynamiken von Organisationen, Vereinen, Bewegungen, Initiativen und spirituell geprägten Gemeinschaften. Diese Dynamiken können wir uns wie Resonanz- und Klangräume vorstellen. Ist dort ein froher und tiefer Klang spürbar, hörbar, fühlbar, dann folgt daraus der freie Atem des gemeinschaftlichen und leidenschaftlichen Engagements. Durch „Mitmachen“, „Vernetzen“ und „Verstehen“ wächst jene Lebendigkeit, die auf Menschen wir ein Magnet, anziehend wirkt.

Bei Musik, auf der Bühne, in Bewegung und im sozialen Tun entfaltet der Mensch beim „Mitmachen“ seine leidenschaftlichsten Kräfte. Entlang von (vor)gelebten Werten, tiefen und frohen Ritualen spürt der Mensch seine Zugehörigkeit und Solidarität im vielfältigen „Vernetzen“. Das „Verstehen“ beantwortet in heutiger und leicht verständlicher Sprache und Bildern das Was, das Wie und das Wofür, Warum, Wozu eine Gemeinschaft da ist. Und genau hier gilt es genau hinzuschauen, die jeweilige „Körpersprache“ anzuschauen. Der hl. Franz von Assisi sagt schon: „Wenn du predigen gehst, dann ist das Gehen die Predigt.“ Gerade für den Raum des Verstehens müssen Sprache, Symbole, Rituale und Räume, Gebäude eine unbeschwerte Körpersprache sprechen. Subtile Signale von „geschlossen und schwer“ sind da häufiger als „geöffnet und zugänglich“. Siehe 90 Schlüssel.

Die Kirche ist nach neuesten Untersuchungen die einzige Institution, die in der Covid-Krise nicht an Vertrauen zugelegt hat. Das hat aus meiner Wahrnehmung mit ihrer mangelnden Lebendigkeit und Problemlösungsorientierung zu tun. Der Kirchenleitung geht es mehr um Präzisierung der Vorschriften und weniger um kreative neue pastorale Wege angesichts der Covid-Einschränkungen. Wenn der liebe Gott mir nur zwei Worte zugestehen würde, um die Herausforderungen der heutigen Zeit im kirchlichen und gesellschaftlichen Kontext zu beschreiben, dann wären das: Mut und Synapsen. Mut verbinde ich mit der Kraft, persönlich Verantwortung zu übernehmen für meine und gemeinsame Schritte in die Zukunft. Synapse sagt uns, dass Wirklichkeit und Identität in der Verbindung, in der Anschlussfähigkeit liegen. Die Identität des Baumes liegt nicht nur in der Wurzel, sondern genauso in der osmotischen Anschlussfähigkeit zur Umgebung, zu Licht und Luft hin. Gerade in kirchlichen Milieus ist der „Wurzelfokus“ weit verbreitet, wird geradezu exzessiv zelebriert und es herrscht Angst vor neuen Synapsen. Das Andere, das Fremde, das Ungewöhnliche, das uns schwer Herausfordernde macht uns lebendig, vertreibt Bequemlichkeit und träge Gewohnheit. Es braucht weniger Wurzel-, sondern mehr Synapsen-Spiritualität.
Deshalb rufe ich der Kirche zu: Gebt Raum, Freiraum für neue Begegnungen, ungewöhnliche Verbindungen, Verbündungen. Lasst begnadete und brennende, begeisterte Menschen in euch wirken, auch wenn sie im ersten Hinsehen überhaupt nicht zu euch passen. Nehmt Widerstand als besondere Lebensdynamik in euch auf. Staunen und Dankbarkeit werden Platz nehmen und Lebendigkeit. Gerade die pfingstliche Geschwisterlichkeit auf Augenhöhe hebt dem Menschen die Flügel und beschwert sie nicht länger mit Nabelschau, Selbstmitleid (Die Welt ist schuld) und moralinsaurem Geschwätz.

Was ist zu tun? Die Menschen wollen an den Lebenswenden mit den Sakramenten und Sakramentalien gestärkt und getröstet werden. In Notsituationen suchen sie konkrete Hilfe, Nächstenhilfe. Das wird erwartet, professionell, persönlich, beziehungsorientiert und gottgetränkt. Wenn der männliche Klerus das zum Teil nicht tut, nicht mehr tun kann, dann sind alle Getauften – Frauen und Männer – gefragt, ihre Fähigkeiten und Charismen gemeinschaftlich „einzuleben“. Jetzt. Nicht lang nachfragen und warten. Das Leben wird am Boden gelebt, nicht in den kirchenrechtlichen und liturgischen Verengungen und Spitzfindigkeiten. Verantwortliche und GestalterInnen in sozialen Lebewesen wie der Kirche und in den Pfarrgemeinschaften sollten mit mehr Mut, den Blick auf das Gemeinsame gerichtet die Gesetze und Vorschriften lesen. Was ist möglich, ist die leitende Frage und nicht: Was ist erlaubt? Mit diesem freien und verbündenden Mut zum Dienst an den Menschen lassen sich unendlich viele Wege und Möglichkeiten ausfindig machen. Das ist dann lebendiges Leben, das anzieht.“

Link zum Artikel in der FURCHE.