Loch oder Pforte

Zweiundzwanzig Menschen tauchen nach und nach am Bildschirm auf. In diesen Tagen nichts Ungewöhnliches. Silvia und Helmut haben zum ersten Online-Taize-Gebet eingeladen. Ich stelle meinen Account zur Verfügung und erlebe dafür eine nährende Stunde mit Liedern, Gedanken, Gebeten und Wünschen. Der Text von White Eagle über Loch oder Pforte geht mir seit gestern nicht mehr aus dem Sinn.

Der Moment, den die Menschheit gerade erlebt, kann als Pforte oder als Loch betrachtet werden. Die Entscheidung, ins Loch zu fallen oder durch die Pforte zu schreiten, liegt an Euch.“ Es liegt also an mir, an uns, ob wir dem „Umbau“ den Vorrang geben oder dem „Wiederaufbau“. Dieser Tage habe ich bei FridaysforFuture ein solches Plakat gesehen. Umbau statt Wiederaufbau. Wiederaufbau sagt indirekt, dass wir im Loch sind. Die Medien sind voll dabei, das Loch zu beschreiben, uns ins Loch zu ziehen. Mit täglichen Zahlen-Lawinen treiben sie uns hinein. Im Text hat es weiter geheißen: „Wenn ihr das Problem bedauert und rund um die Uhr Nachrichten konsumiert, nervös, voll Pessimismus, werdet ihr in dieses Loch fallen.“

Aber

Aber wenn ihr die Gelegenheit ergreift, um euch selbst zu betrachten, Leben und Tod zu überdenken, für euch und andere Sorge tragt, dann werdet ihr durch die Pforte gehen. Sorgt für euer Zuhause, sorgt für euren Körper, verbindet euch mit eurer spirituellen Heimat. Wenn ihr euch um euch selbst kümmert, kümmert ihr euch gleichzeitig um alle anderen. Unterschätzt nicht die spirituelle Dimension dieser Krise. Nehmt die Perspektive eines Adlers ein, der von oben das Ganze sieht mit erweitertem Blick. Ja, es liegt eine soziale Forderung in dieser Krise, aber ebenso eine spirituelle. Beide gehen Hand in Hand.“ Meine Gedanken schweifen hin zu LaudatoSi, wo dieser Übergang hin zu einem sozial-ökologisch-spirituellen Menschen- und Weltbild angesagt ist. Diese drei Begriffe greifen ineinander. Sozial und ökologisch klingen für viele Menschen noch plausibel. Aber spirituell? Dieses „geöffnet-sein“ hin auf die Verbundenheit mit den und dem Anderen und allen Dimensionen des Seins bis hin zu Gott ist vielen Menschen fremd geworden. Eigentlich schade, weil wir 22 gerade jetzt nicht nur online verbunden sind, sondern in Gedanken, in der Dankbarkeit, im Vertrauen, in der Compassion, im Gebet. „Ohne die soziale Dimension fallen wir in Fanatismus. Ohne die spirituelle Dimension fallen wir in Pessimismus und Sinnlosigkeit.

Lerne Widerstand

Nimm deine Werkzeugkiste und verwende alle Werkzeuge, die dir zur Verfügung stehen. Lerne Widerstand am Vorbild indianischer und afrikanischer Völker.“ Ja, der Blick hinaus lehrt uns Demut und nimmt jede wehleidige Überheblichkeit. Wir sehen dort, wie unser Lebensstil hier seine scheußliche Wirkung entfaltet: „Wir wurden und werden noch immer ausgerottet, aber wir haben nie aufgehört zu singen, zu tanzen, ein Feuer zu entzünden und Freude zu haben. Fühle dich nicht schuldig, Glück zu empfinden in diesen schwierigen Zeiten. Es hilft überhaupt nicht, traurig und energielos zu sein.“ Das ist jetzt doch recht leicht hingesagt. Auch in unserer Abschlußrunde meint Josef, wie wichtig es ist, den Humor und die Freude nicht zu verlieren. Und doch ist richtig, was im Text weiter gesagt wird: „Es hilft, wenn jetzt gute Dinge aus dem Universum kommen. Durch Freude leistet man Widerstand. Denn wenn der Sturm vorübergezogen ist, wird jede und jeder einzelne von euch sehr wichtig sein, um die neue Welt wieder aufzubauen. Dafür ist es wichtig, stark und positiv zu sein. Und dafür gibt es keinen anderen Weg,  als eine schöne, freud- und lichtvolle Schwingung zu bewahren. Das hat nichts mit Entfremdung (Weltfremdheit) zu tun.  Es ist eine Strategie des Widerstands.“ Widerstehe, ist die letzte Botschaft am Ende des Textes. „Singe, tanze, wiederstehe durch Kunst, Freude, Glauben und Liebe.“ Es war unser aller Wunsch gestern abends: Bleiben wir geöffnet für die Pforte hinein in eine neue Welt, die auf uns wartet und von der die „Loch-Betreiber“ so wenig verstehen, sie nicht einmal erahnen. Erlauben wir uns gemeinsam, diese Lockdown-Zeit dafür zu nutzen, in unseren Ritualen das Suchen dieser Vision auszuführen. “ Welche Welt möchtest du für die Menschen, mit ihnen und für dich erschaffen?“ Diese gemeinsame Stunde war gut. Ein stärkender Zusammenklang. Danke.