Die Gesellschaft muss eine tragende Wir-Norm erarbeiten

Algiers Point liegt am Mississippi gegenüber dem French Quarter und wurde von Afrikanern und Franzosen um 1800 besiedelt. Der Stadtteil war nicht geflutet, dafür vom Wind schwer beschädigt. Der Bus bringt mich über die wirklich hohe Autobahnbrücke und zurück komme ich mit der Fähre.

Die Dämme haben gehalten – aber derWind

Auf meinem Weg durch diesen Stadtteil komme ich an der Methodistenkirche vorbei. Reges Treiben vor der Kirche veranlasst mich, hineinzuschauen. Ein Mann begrüßt mich sehr freundlich. Er erzählt mir: „Wir haben kein Wasser gehabt, dafür hat uns der Wind sehr viel zerstört. Unsere Kirchenfenster waren vorher aus 86 Farben. Jetzt sich es noch 54.“ Voller Stolz posiert der Finanz- und Gebäudeverantwortliche der Kirche vor „seinen Fenster“. Den Zusammenhalt in der Gegend findet er sehr gut. Es ist immer etwas los. „Es gibt auch viele Junge hier“, meint er zufrieden. Hier wird alles getauscht. Den Stadtteil erlebe ich als belebt, aber doch auch entvölkert. Geschäfte sind leer. Vor jedem dritten Haus ein Schild, wer dieses Haus „bewacht“. Security-Firmen sind einer der Hauptarbeitgeber ist mein Eindruck. Luftballone tauchen auf und ich mache mich kundig. Auf einem Parkstück wird nachmittags eine Geburtstagsfeier stattfinden.

Nicht gerade bescheiden
Mitten unter den einfachen Häusern die katholische Kirche, gegründet 1793. Backsteinziegel und riesengroß. Heute wirken diese katholischen Gebäude überdimensioniert. Ich verweile längere Zeit in diesem für mich schönen und ansprechenden Raum. Die vielen Bänke passen für mich nicht zur afrikanischen Beweglichkeit. Über jedem Predigststuhl ist hier eine Muschel mit der Taube. Ich probiere aus, wie hier „das Predigen“ ginge. Ein Community-Garden-Projekt finde ich auch hier in diesem Stadt. Aber ehrlich: Nicht wirklich gepflegt und die Aktivsten sind wahrscheinlich die Hühner. Mich wundert wirklich, dass das Auto so viele Quadratmeter bekommt und ein Gemüsegarten eine echte Rarität ist. Die Idee mit den Gärten zur Selbstversorgung finde ich in so einer Stadt genial. Es ist nur die Frage, ob die Menschen das wollen und angehen. Ihre tiefste Ursprungshandlung ist: Mach nichts selber, was du nicht kaufen kannst. Kein Weg ist zu kurz, um nicht mit dem Auto dorthin zu kommen. Genau diese Haltung darf nicht länger nach Österreich importiert werden. Vielleicht ist es schon zu spät. Das führt mich wieder zum Buch, das ich in Raten lese.

Die Gesellschaft muss eine tragende Wir-Norm erarbeiten

Es wird in Zukunft darum gehen, dass auf narrative Art eine neue Wir-Norm etabliert wird. „Freiheit kann nicht länger Freifahrt sein, Abschöpfung bis zur Raserei zu betreiben, um sich dann, nach Gefährdung aller anderen Verkehrsteilnehmer, inmitten einer Massenkarambolage in zerknäulten Leitblanken wiederzufinden“, lese ich auf Seite 103. Es wird eine neue Rückbindung an Werte, an sinnvolle Tätigkeiten und an eine tragende Gemeinschaft brauchen. Diese Rückbindung muss nicht zu Religion und Gottesglaubenführen: Es heißt wechselseitige  Teilnahme am Prozess einer gemeinsamen Statik. Wie wir uns verhalten, wird weniger Bedeutung bekommen, sondern DASS wir uns zueinander verhalten, in Beziehung bringen und halten. Dazu wird gehören, dass wir konsequente und enkeltaugliche persönliche Verantwortung übernehmen. Mit meinen Namen und Leben übernehme ich die Verantwortung. Das gilt auch für Politiker und Bischöfe wie für Konzernbosse und Supermarktkassierin. Ich persönlich glaube: Das Bewusstsein der persönlichen Verantwortung muss uns heilig sein. Ich erinnere mich noch an das Gespräch mit Prof. Taschner im Cafe in Wien, wo er sinngemäß meinte, dass die Kirche nichts anderes tun soll, als den Menschen immer an diese risikoreiche persönliche Verantwortung zu erinnern und in darin durch Gemeinschaft zu stärken. Ich denke dabei an das Projekt „Netzwerk Bildung Feldkirchen“, das ich begleiten darf, wo es im Endeffekt auch im persönliche Begegnung und um eine „Wir-Norm“ gehen wird. Diese Wir-Norm ist nicht auf Papier geschrieben, sondern drückt sich viel mehr in Soft-Facts aus wie auf der Bühne (siehe Kirchschlag) oder durch Musik. Da bin ich wieder hier, in New Orleans.