Sie leben den Sonntag mit und in der Familie

Der Bus hält vor der Kirche im Viet Village. Habe ich mich letztens über die großen Asphaltflächen gewundert, verstehe ich heute: Der Parkplatz ist übervoll. Ich gehe ich die Kirche hinein und staune nicht schlecht: Die Kirche ist auch bis auf den letzten Platz gefüllt. Es ist schon die dritte Messe heute. Ich selber gehe dann in die vierte um 11 Uhr.

Gemeinsame Zeichen helfen

Ich sehe einen ganzen Block voller Kinder und Kids, die weiße Hemden und Halstücher wie bei uns die Pfadfinder tragen. Ich spreche einen älteren Jugendlichen an und frage, was das bedeutet. Er erklärt mir kurz, worum es geht: „Wir sind gut organisiert. We train the children and the kids to get  better people.“ Wie das geht? „Wir machen Camps, haben wöchentliche Treffen mit Singen, Spielen, Basteln. Das Wichtigste aber ist, dass sie von Jesus lernen“, steigt in sein Auto und bringt ein paar Kids heim. Ich selber denke mir, wie wichtig für junge Menschen diese Gemeinschaft ist, auch die äußeren Zeichen, die sie aus meiner Sicht mit einem gewissen Stolz tragen. Überhaupt: So viele Junge und Familien mit kleinen Kindern. Genau diese Strukturen halten sie zusammen. Auch Frauen gehen in langen bunten Gewändern. Alle sind „sonntäglich festlich“ gekleidet.  Der 40-köpfige Chor singt jeden Sonntag und hauptsächlich schwungvolle Lieder. Es gibt keine Orgel, sondern Klavier und Keybord.

They are very generously

Ich gehe auf eine junge Ordensschwester zu, die Karten verkauft. Was ist der Grund für diesen Zusammenhalt hier in dieser Gegend? „They are very generously. Everybody helps each other. A good neighbourhod ist he first.“ Da müssen die Bewohner um 1957 aus Nordvietnam auswandern wegen ihres Glaubens und sie gründen hier das Viet Village. Sie habe Bedrohung erlebt und sind als Glaubenszeugen ausgewandert. Das hält Generationen, hoffen sie. Diese Großzügigkeit und Freigiebigkeit hat interessanter Weise zu großem Wohlstand geführt. Mein Buch, Vom Ich zum Wir, wurde hier längst schon geschrieben. Hier gibt es Wir-Werte und Wir-Normen. Hier schaut jeder auf jeden und so kommen sie gemeinsam weiter als jeder einzeln. Diese gemeinsame Identität ist die Quelle der Gemeinsamkeit. Sie haben binnen kurzer Zeit ihre gefluteten Häuser und Gegend ohne Hilfe von der Regierung wieder bewohnbar gemacht. Wir hören das Evangelium von den Talenten. Hier wurden sie nicht vergraben und auch nicht einfach nur zum individuellen Eigennutzen vermehrt. Ein Commons im klassischen Sinne. „Ein Geschenk“, wie eine Frau meint.
Nach der Messe sind alle relativ schnell wieder weg. Es staut auf die Straße hinaus.

Vernetzte Familien

Vor den Häusern stehen eine Menge Autos.  Die Dominikanerin hat mir angedeutet: „Diese Menschen hier leben den Sonntag in der Familie, sprich auch Großfamilie und dazu gehört die Messe wie das Amen im Gebet. Das machen auch die Jungen mit.“  Sie werden auch in der Gottesdienstgestaltung gebraucht, als KommunionspenderInnen oder zum Absammeln. ES waren Jugendliche, die als Kommunionspender einbezogen wurden. Ein schönes Bild. Ein Mitglied des „Pfarrrates“ betont noch, „dass die Familien keine Inseln sind, sondern sehr gut vernetzt und in Verbindung leben.“ Ich denke: Diese Leute habe verstanden, dass die Familie die kleinste Zelle ist und doch nicht ausreicht für ein geglücktes Leben.“ Ich denke an das Frühstück BEI UNS in Kirchschlag und wie dort auch die jungen Familien und die Älteren „ihr Leben teilen“. Es braucht mehr Orte, wo der Mensch, die Familie, die Alleinerzieherin spürt: Ich bin nicht alleine! Das ist der Dienst einer „Pfarrgemeinschaft“. Hier kann ich Hilfe in Anspruch nehmen, wenn ich sie brauche und hier helfe ich, wenn ich gebraucht werden. Das entsteht am ehesten durch klare, schlichte, eindeutige Rollen und Dramaturgien als Anregung und viel Freiraum, damit sich jeder und jede so einbringen kann,  wie er oder sie ist. Der jesuanische Impuls bedeutet eigentlich immer: Du bist wie du bist und das ist gut so. Leben wir gemeinsam.

Warten auf den Bus

Am Sonntag mit dem Bus unterwegs sein bedeutet Geduld üben. Beim Umsteigen muss ich wieder warten. In mir taucht ein wenig Ärgerlichkeit auf. Da kommt ein etwa 60-jähriger Schwarzer auf mich zu.  Wir beginnen ein Gespräch. Er wohnt in dieser Gegend. Das Wasser stand ca. 2 Meter. Er kam nach 4 Monaten wieder zurück. Viele sind nicht mehr gekommen. Die Häuser wurden mit Hilfe der Stadt wieder hergerichtet. Andere wurden abgerissen. „Es fehlen die Jungen und die Arbeitsplätze“, meint er und erklärt mir, dass er von einer kleinen Pension lebt. Er kommt hierher zur Busstation und „trinkt seine Flasche“ (Schnaps). Daheim wartet seine Frau. Er kann nirgends hingehen, weil er kein Geld hat. Er schaut gepflegt aus. Innerlich ist er leer – ohne Perspektive. Wir reden noch über die Tauben, die Saints (Football), die Musik im French Quarter, dass normalerweise hier kein Tourist vorbeikommt,… und da kommt der Bus. Ich steige in. Er trinkt aus seiner Flasche. Und ich denke an das Kind im Bus heute früh.