Die Natur ist keine Bühne

Bayern„Es gibt heute dreijährige Kindergartenkinder, die auf einem ganz normalen Waldboden Schwierigkeiten haben zu gehen“, weiß die erfahrene Kindergartenpädagogin, die sich dem Thema Kinder im Wald verschrieben hat. Mir fallen dazu zwei Begebenheiten ein. Vor mehr als 25 Jahren bin ich jedes Jahr mit meiner Firmgruppe zu Frau Molterer in der Spittelwiese 15 gegangen. Sie war weit über 90 Jahre. Sie hat aus ihrem Leben erzählt und die Jugendlichen waren dabei immer total aufmerksam. Frau Molterer war von ihrem Lebensvorzeichen ein positiver Mensch, obwohl sie es nie leicht hatte und viele Hindernisse und Schwierigkeiten überwinden musste. Am meisten hat mich allerdings immer ihre Einschätzung in Richtung „heutiger Jugend“ (damals von 25 Jahren) beeindruckt: „Ihr jungen Leute habt es heute viel schwerer als wir in unserer Jugend. Wir hatten zwar nichts, aber wir hatten einander. Außerdem hatten wir Boden und Dreck unter den Füssen. Ihr habt nur mehr Asphalt. Ihr seid sozusagen die Asphalt-Kinder.“ Sie hat das nicht abwertend gemeint, sondern eher ermutigend: Geht hinaus in die Natur, auf die Berge, in den Wald.

Das Waldhaus und die Kinder

kinderimwald_1Bei meinem 24-tägigen Weitgehen im Mühlviertel, am Goldsteig und auf der Via Porta im Frühjahr 2012 bis hinauf ins Kloster Volkenroda bin ich im Bayrischen Wald nach einem langen Gang durch einen Wald am Waldrand auf eine Hütte getroffen. Es war Ende März und ich war etwas überrascht, dass dort etwa 25 Kinder „herumgekugelt“ sind, am Waldrand, weit hinunter auf der Wiese und rund um die Hütte. Als Local Detective war ich natürlich neugierig. Was ist das? Wer ist da? Wer ermöglicht den Kindern am Vormittag in der Vormittagssonne diesen Freiraum in der Natur? Es war ein privater Kindergarten, der als einzigen Stützpunkt diese kleine Hütte hat und sonst die gesamte Zeit im Wald, auf der Wiese, in der Sonne und im Regen verbringt. Ich selber war schon tagelang durch Wiesen und Wald unterwegs. Die Seele hat sich durch die wunderbaren Naturbilder genährt. Bewegung ist uns angeboren und Körper und Seele finden im Gehen den „Ur-Rhythmus“. Jetzt treffe ich diese Kinder. Sie dürfen. Sie probieren. Sie spielen. Alleine und gemeinsam. Erleben“hautnah“ Sonne und Regen. „Gefällt es euch da?“, habe ich zwei Kinder am Waldrand nach einem langen Gespräch mit der Kita-Pädagogin gefragt: „Wir bleiben da, bis die Sonne ganz weit dort drüben ist.“ Und sie zeigen ganz fachmännisch nach Westen.

Boden oder Bühne

kinderimwald_2„Wir wollen mit den Kindern zu viel“, haben schon viel PädagogInnen gemeint. In der „Bildungsmaschinerie“ ist das genaue Gegenteil im Gange. Kinder werden durch Bildungs-Programme geführt oder sogar getrifen, sie lernen, mit Fremdbestimmung fertig zu werden. Oft habe ich den Eindruck, Werbung, Fernseher und Internet vermitteln ein Bild, als ob es darauf ankäme, auf der Bühne des Lebens zu bestehen. Wir lernen Spielabläufe und Rituale, wie wir uns am besten darstellen und die Goldmedaille erringen. Rankings everywhere. Die Gesellschaft schürt in einem fort: Es ist  nie genug. Wir dürfen also nie bei uns selbst sein. Bist du mit dir und anderen zufrieden, dann kann etwas nicht stimmen. Laufen. Die digitalen Räume haben ohnehin eine eigene Geschwindigkeit und wollen den Menschen nicht zu sich kommen lassen. Vorgestern nimmt ein Freund im Kaffeehaus sein Handy zur Hand und schreibt auf Twitter #microlangeweile, während ich unterwegs bin zum Ort der Orte. Gerade für Kinder gilt: Dort, wo es langweilig oder fad wird, besteht im Umfeld der Natur und Gemeinschaft die Chance, dass etwas ganz Neues entsteht, auftaucht, entdeckt wird. Wenn Christine ihren Beruf und ihre Berufung darin sieht, Kinder im Wald ein neues Leben zu eröffnen, dann weiß sie aus Erfahrung: Kinder entdecken dort ihr eigenes, ganz persönliches Leben, ihre Fähigkeiten, Grenzen und Talente.  Und das gemeinsam. Das macht Spaß. Für alle. Und Boden unter den Füssen.

Kinder im Wald