Die Sünde der Distanz und bedingungslose Akzeptanz

Es ist warm, angeblich sehr warm für viele Menschen. Wer unter einem Baum sitzen darf und die Woche nach getaner Arbeit etwas Revue passieren lassen kann wie ich, wird Gedanken, Erfahrungen und Emotionen vorfinden. Meine Woche hat Alltägliches , vielleicht sogar Banales und wieder Beeindruckendes gebracht. Ein Video mit Angela Merkel und einem Flüchtlingsmädchen hat in den Social Media unglaublich Furore gemacht. Cecily Corti hat in Kremsmünster über ihr Engagement bei VinziRast erzählt und die Kleine Schwester Janine hat mir einen Text über ihre Erfahrungen aus ihrer Freundschaft mit Gefangenen geschickt. Eben beeindruckend.

Die Eliten halten Distanz

Frau Corti

Frau Corti

Frau Corti hat die ZuhörerInnen im Kaisersaal von Kremsmünster am Nachmittag schwer beeindruckt. Der Applaus nach ihrem Vortrag hat einfach nicht aufhören wollen. Es ging um Leid. Und sie hat ganz praktisch geschildert, wie sie zu ihrem Engagement von Pfarrer Wolfgang Pucher „verführt“ worden ist. Sie ist ihm in Wien begegnet und er hat dort von der „Sünde der Distanz und der bedingungslosen Akzeptanz“ gesprochen. Das hat sie angerührt. „Jede und jeder ist mit einer unglaublichen Macht ausgestattet worden. Es ist die persönliche Entscheidung eines jeden und einer jeden: Was führt diese Macht, unser Potential in Richtung Liebe?“ Und sie ist überzeugt: „Dort, wo ich selber anpacken kann, da bin ich gefragt. Es liegt an jedem einzelnen von uns, wie es mit der Welt weitergeht.“ Szenenwechsel. Ich gestehe: Ich möchte ja nicht in der Haut von Frau Merkel stecken. Das Video zeigt aber diese unglaubliche Distanz, die PolitikerInnen zu konkreten Menschen entwickelt haben. Ich will hier in keinster Weise richten, sondern einfach nur einmal wahrnehmen. Die Politik hat – mit allen Ausreden geschmückt – die Realität, die konkreten Menschen aus dem Blick, aus der Wahrnehmung verloren. Sünde kommt von „absondern“. Sie haben sich (zum Großteil) in ihrer Macht von Liebe, Zuwendung, Empathie abgesondert. Manche sagen, dass sie sonst „das Geschäft“ nicht aushalten. Was ist das für ein Geschäft geworden, wenn nur mehr mit der Sünde der Distanz geatmet, gesprochen, gehandelt werden kann? Erschütternd auch die Erfahrung des zurückgetretenen griechischen Finanzministers Varoufakis. Hier nachzulesen. Einfach zum Wahrnehmen.

Der Mensch lebt von Beziehung und Akzeptanz

Sr. Janine in der Mitte

Sr. Janine in der Mitte

Ich selbst habe während meiner Zeit, wo ich viel direkten Kontakt zu Obdachlosen hatte (Zivildienst, Dompfarre), erleben dürfen, dass diese Menschen für nichts dankbarer sind als für die Begegnung auf Augenhöhe und ohne Bedingungen. Sie haben ganz genau gespürt, ob sie sein durften, wie sie sind. Frau Corti hat das so geschildert (Vortrag ist hier zum Nachhören): „Es geht um freie Zuwendung, um wenig Kontrolle und wenig Regeln. Bedingungslose Akzeptanz. Der Mensch soll sich so angenommen fühlen, wie er gerade ist.“ Es erinnert mich an die Schwestern in New Orleans, die genau das den Homeless-People im „homeless shelter“ gegeben haben. Und die Kleine Schwester Janine schreibt in ihren Aufzeichnungen, die noch nicht veröffentlicht sind: „Wir sind weder Sozialarbeiterinnen noch Seelsorgerinnen, sondern nach dem Wunsch Bruder Karls (Charles de Foucauld) möchten wir Freundinnen werden denen, die keine Freunde haben. So versuchen wir einfach zu tun, was man in dieser Situation für seine Freunde tun würde. Es geht vor allem um Nähe und Treue, darum, mitzufühlen und  Zeit zu schenken, zuzuhören, beizustehen, kleine Dienste zu tun. Staunend und dankend dürfen wir hören und schauen, was Gott tut, oft auf scheinbar verwüstetem ausgetrocknetem Boden. Das Erlebte ist oft so intensiv und das Anvertraute so kostbar, dass es schwierig auszudrücken ist, ohne es zu verraten.“ Beeindruckend und demütig dankbar für solche Begegnungen. Das wollte ich einfach erzählen.