Gestochen unscharf

Ich lese gerne die Wiener Zeitung. Für viele ist es das Amtsblatt. Klingt verstaubt. Ist es nicht. Aus meiner Erfahrung hat sich die Zeitung zum Themen-Setzer entwickelt. Ruhig und unspektakulär werden Hintergründe beleuchtet und Themen zu Papier gebracht, die woanders später das Zeitungslicht erblicken. Da wird nicht Meinung gemacht, sondern Fakten gezeigt, verknüpft und Blickwinkel dargestellt. 360°.

Der Sonntag wird dem Markt geopfert

sonntagDas ist aber nicht das Thema. Es geht nicht um die Zeitung, sondern darum, was ich heute drinnen lese. Da ich alle Tageszeitungen „lese“, sehe ich wieder, was ich mit der Wiener Zeitung habe. Auf Seite 4 hebt Thomas Seifert unter dem Titel „Ohne de Segen der EU-Gläubiger geht in Griechenland nichts mehr“ ein paar Original-Zitate der Vereinbarung (aus meiner Sicht: des Diktates) hervor. Unterschrieben und mitbetrieben vom österreichischen Finanzminister Schelling: „Verabschiedung ehrgeiziger Produktmarktreformen….Empfehlungen, unter anderem zu verkaufsoffenen Sonntagen, Schlussverkaufsperioden,….“. Die EU zwingt Griechenland das Geschäftsmodell der Großkonzerne auf inklusive der Sonntagsöffnung. Der Sonntag ist ein europäisches Kulturgut. Durchatmen. Entschleunigen. Zeit, den Mammon in die Schranken zu weisen. Besuchszeit und Arbeit nur dann, „wenn es sein muss um des Menschenlebens willen“. Wir sehen: Die neoliberale Markt-Dikatur wird mit aller Gewalt und mit Milliardenzahlungen  in Griechenland hineingezwungen. Der Sonntag wird und muss dem Markt geopfert werden. Insofern sind sie gestochen, die Empfehlungen, aber unscharf, weil an der Seele der Menschen und dem solidarischen Gemeinwesen vorbei. Der Staatsstreich ist den EU-Finanzministern gelungen. Der Staat und die Menschen werden marktkonform gemacht. Da wird jetzt scharf gestochen. Und: Schelling greift damit auch in Österreich den Sonntag an.

Alles sehr entlarvend

liegeDann sind die Vorgaben zur Privatisierung. Da bin ich in einer anderen Zeitung gelandet. Der Standard blickt auch immer etwas kritisch auf „die Dinge“. „Verkauf im Schneckentempo“ lautet die Überschrift. Während anderswo von solidarischer Ökonomie, von Gemeingütern, von sozialer Verpflichtung und Commons die Rede und die Praxis ist, wird hier zum europäischen Ausverkauf geblasen. Die Großbanken und Fonds hecheln nach dem Geld, die eine Insel um die andere einbringt. Da steht: „Eine ihrer Luxusperlen ist der Staat immerhin losgeworden: Den Astir Palace, eine Hotelbauruine im Besitz der National Bank of Greece im südlichen Athener Vorort Vouliagmenis, erwarb im vergangenen Jahr eine Investorengruppe aus den Golfstaaten und der Türkei für 400 Millionen Euro. Der angrenzende „Astir Beach“ ist schon in privater Hand. Wer in Athen abends in gediegener Gesellschaft Abkühlung von der Sommerhitze sucht und 25 Euro für eine Strandliege zahlen möchte, ist dort gut aufgehoben.“ Das ist gelungene Privatisierung vom Feinsten. Da gäbe es auch ein paar Strände in Wien, im Salzkammergut. Unvorstellbar. Wir spüren, dass selbst bei uns diese „ausgrenzende Privatisierung“ zu weit gegangen ist. Wären auf der Tauplitz nicht die Bauern mit 51% in der Mehrheit, hätte der Privatinvestor dort längst die ganze Gegend abgesperrt. Vorgestern erzählt bekommen. Wer 128 Millionen in die Jagdpacht investiert, möchte schließlich alleine „regieren“. Bauern, haltet die Ohren steif. Für uns alle.
Was lernen wir derzeit? Alles sehr entlarvend. Die Frage bleibt, ob die Geldeliten die Medien wieder zurückkaufen können in die marktkonforme Berichterstattung. Es wird noch ein paar Werbeeinschaltungen mehr geben müssen. Und wir KonsumentInnen können darauf reagieren wie immer: Auch gestochen unscharf.

 

 

3 Kommentare

  1. Bin grade auf deine Seite gestoßen und finde die Artikel sehr interessant! Werde jetzt gespannt weiter lesen, freu mich schon also weiter so!

    • kaineder auf 14. Juli 2015 bei 14:36
      Autor

    Danke.

    • Norbert auf 15. Juli 2015 bei 07:27

    Servus Ferdinand,

    absolut treffend recherchiert und kommentiert.
    Kann deiner Analyse nur zustimmen.
    Vielen Dank dafür.

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