Die zweifache Angst der Politiker und Entscheider

Dieser Tage habe ich in einem Blog von Rainer Haudum „Pfarrliche Systeme in Veränderung“ gelesen. Eine ausführliche Darstellung, wie in der Diözese Linz über Jahre verankerte „believes“ (nach NLP Glaubenssätze) sukzessive unterspült werden, damit das alte System erhalten bleibt. „Es soll angepasst werden“ (heißt es) und natürlich nur mit Zustimmung der jeweiligen „Pfarre“. Was tun aber, wenn die systemische Vorgabe einen Priester als unabdingbar vorgibt und diese nicht in ausreichender Zahl oder auch Qualität vorhanden sind? Unter diesem Systemdruck sagt eine Pfarre sehr bald und „freiwillig“: Ja, wir wollen uns zusammen legen. Wohlgemerkt: Legen.

Wie ist das in der Welt der Politik?

In unseren vielen informellen Gesprächen, die wir derzeit einzeln oder auch in Meetings zur Zukunft und zu einem Briefing als Handlungsanleitung für die Politik führen, ist der systemische Wandel auch immer ein Thema. Die jetzt handelnden Politiker und Entscheidungsträger wollen im Grunde und in der Substanz auch nichts anderes, als das Bestehende unbedingt zu erhalten. Das ist das Gefühl und die Wahrnehmung. Natürlich wird eine gewisse „Zukunftsaura“ dazugebastelt. Aber im Grunde soll alles so bleiben, wie es ist, nur ein wenig besser. Immer wieder dann die drängende Frage: Warum ändert sich da nichts?  Nach den mentalen Infrastrukturen von Harald Welzer schlägt das „Faktum“ (die bestehenden Systeme) die „Veränderung“. Wer Zeit gewinnt, hat dem „Bisherigen“ schon zum Durchbruch verholfen. Das Bestehende bleibt stehen und „nichts geht weiter“.

Politiker können gar keine Veränderung wollen. Außer

Immer wieder höre ich von Menschen, dass die Politiker (es sind meist Männer) von der Angst regiert werden. Von einer doppelten Angst. Es ist die Angst, die eigene Position oder Macht zu verlieren. Es ist auch die Angst, nicht dort hinauf zu kommen, „wo ich mich heute schon sehe“. „Struggle“ – der dauernde Kampf um die Macht und den Aufstieg. „Diese“ Angst um den Verlust der Position ist noch klar ersichtlich. Eine zweite Angst kommt allerdings dazu. Es ist die Angst, dass das System, das meine Position ermöglicht, als Ganzes ins Wanken gerät und einstürzt. Politiker spüren dass, das Parallelwelten entstehen, auf die sie keinerlei Zugang haben, die selbst aber konstitutiv Gesellschaft konstruieren. Es entsteht eine Ideenwelt, die sich nicht beherrschen lässt. Stichwort: Social Media. Das macht Angst und Angst lähmt, lässt erstarren oder erhöht die Geschwindigkeit des Hamster-Rades. Die Medien (selbst von der doppelten Angst getrieben) sind die Bühne dafür. Wenn wirklich neue Ideen auftreten, dann werden diese in alte Schläuche abgefüllt, damit die doppelte Angst nicht zu groß wird. Ideen sind dann wieder systemimmanent. Geschafft.  Wonach sich Menschen wirklich sehnen, sind „staatsmännische“ (natürlich auch Frauen) und „angstfreie“ Politiker und Entscheidungsträger, die etwas wagen, nicht nur oben in  den Eliten agieren und das Risiko nicht scheuen, „wieder ganz unten anzufangen“.

Übrigens: Von dort weg werden derzeit die wirklich neuen Systeme aufgebaut, vor Ort, zusammen mit den „gefriendeten“ Weg- und Zeitgenossen und hellwach der Zukunft gegenüber in einer Haltung des „NUR GAST AUF ERDEN“ (siehe Heini Staudinger). Gott sei Dank sehe ich auch Politiker, die am Boden gehen und nicht von der doppelten Angst getrieben sind. Das macht Hoffnung.